Expertin für Bioethik: Palliativbetreuung darf kein Luxus sein
Gudrun Sailer - Città del Vaticano
„Interessant und neu“ für eine Vatikankonferenz sei gewesen, „dass auf dem Panel Positionen vertreten wurden beispielsweise von den Kollegen aus Holland, aus Belgien, teilweise auch von den Kollegen aus Deutschland, die für die Legalisierung der Tötung auf Verlangen, der Euthanasie bzw. des assistierten Suizids eingetreten sind. Die Debatte ist da durchaus heiß gelaufen. Insgesamt hat man aber gemerkt, bei aller Wertschätzung und Differenzierung unter den Kollegen, dass es einen starken Widerstand von Seiten der Ärzte gibt, sich als Helfershelfer instrumentalisieren zu lassen, um Patienten den Wunsch auf Tötung auf Verlangen oder assistierten Suizid zu erfüllen,“ betonte Kummer.
„Keine medizinische Indikation für die Tötung von Patienten“
Denn Ärzte, so der Konsens unter einem Großteil der Teilnehmer, sähen sich „auf der Seite des Lebens“, als Begleiter ihrer Patienten: „Sie haben therapeutische Ziele im Auge und wenn Therapie nicht mehr möglich ist, dann Symptomlinderung,“ führt Kummer weiter aus. „Es war eine ganz klare Ansage dieser Konferenz: Weder Tötung auf Verlangen noch der assistierte Suizid dürfen eine medizinische Dienstleistung werden. Denn sie sind genuin keine Aufgabe des Mediziners und Tötung ist keine medizinische Therapie. Es gibt keine Indikation dafür.“
Gleichzeitig sei jedoch mit der Legalisierung von assistiertem Suizid eine „normative Verschiebung“ zu beobachten, gibt die Bioethikerin zu bedenken: denn letztlich komme es nur noch darauf an, „auch dieses Angebot mit im Leistungskatalog“ zu führen. „Wir sehen in den Niederlanden beispielsweise über sechstausend Todesfälle durch Euthanasie jährlich, das bedeutet 16 Todesfälle durch Euthanasie täglich. Wir sehen eine Ausweitung des Spektrums auf depressive, demente Personen, die möglicherweise vom zuständigen Hausarzt wegen ihres Ansuchens auf Tötung auf Verlangen abgewiesen worden sind, die dann aber in sogenannten Lebensende-Kliniken landen, wo andere Ärzte diesem Gesuch sehr wohl nachkommen. Erschreckenderweise bekommen 33 Prozent derjenigen, die Demenz Patienten sind, dort dann letztlich ihren Wunsch erfüllt.“
Gewissensvorbehalt verstärkt unter Druck
Die Ärzte bringe eine derartige Legalisierung in starke Schwierigkeiten. Denn der „Gewissensvorbehalt“, der in der Theorie einem Arzt die Möglichkeit gebe, aktive Sterbehilfe abzulehnen, sei in der Praxis kaum aufrecht zu erhalten. „Der belgische Kollege hat dazu sehr schön ausgeführt, wie das in der Praxis zu schwierigen Situationen führt und die Gewissensklausel in diesen Ländern nicht immer respektiert wird. Dass es also sehr schwierig ist, aus diesem Szenario auszusteigen, wenn man als Arzt aus ethischen Gründen nicht bereit ist, an assistiertem Selbstmord oder Tötung auf Verlangen teilzunehmen. Wir stellen diese schiefe Ebene tatsächlich fest in diesen Ländern: Dort wurde eine Regel geschaffen, wo es in bestimmten Ausnahmen erlaubt ist, Tötung auf Verlangen durchzuführen. Wir sehen inzwischen, dass von den Ausnahmen Ausnahmen und wieder Ausnahmen gemacht wurden, so dass wir jetzt eine Ausweitung der Regel haben, die quasi schon ins Uferlose geht.“
Diese drängenden Fragen müssten auch in der Ausbildung der Ärzte verstärkt einbezogen werden, findet Kummer. Es sei in diesem Zusammenhang wichtig, dass Papst Franziskus in seiner Botschaft für die Konferenzteilnehmer vor einem therapeutischen Übereifer gewarnt hatte. Denn: „Es herrscht tendenziell der Trend, wenn ich etwas tue, wenn ich auf der Seite des Machens bin, dann bin ich auf der sicheren Seite; wenn ich auf der Seite des Lassens oder des Unterlassens bin, dann bewege ich mich im Graubereich. Das stimmt so nicht.“
Durch die verbesserte Ausbildung sei bei vielen Ärzten die Sicherheit gewachsen, dass am Lebensende des Patienten zwar nicht mehr „alles zu machen“, aber trotzdem „noch viel zu tun“ sei. „Man spricht in der Palliativmedizin von der Therapiezieländerung. Auch wenn ich dem Patienten therapeutisch nichts mehr anbieten kann, kann ich in Form der Symptomkontrolle, der Schmerzlinderung aber auch des psychischen und seelischen Beistands noch sehr viel für ihn machen. Das war ein wichtiger Aspekt dieser Konferenz: Der Arzt muss anerkennen, dass er in seiner Profession an Grenzen stößt.“
„Nicht alle Probleme sind medizinische Probleme“
In diesem Zusammenhang sei es auch wichtig, anzuerkennen, dass nicht „alle Probleme, die Menschen haben“, medizinische Probleme seien, betont die Expertin. In der Palliativmedizin sei mittlerweile allgemein anerkannt, dass der seelische Beistand einen positiven Effekt auf das Schmerzempfinden habe. Ein „ganzheitliches Bild des Menschen“ müsse also auch in der Ausbildung der Ärzte Thema sein.
„Ein zweiter Punkt ist, dass die Ärzte sich in ihrer Ausbildung mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinander setzen. Ich halte das für wesentlich. Wir können Sterbende nur dann gut betreuen, wenn wir uns mit unserem eigenen Sterben gut auseinandergesetzt haben. Der dritte Punkt in der Palliativversorgung ist, die professionelle Kompetenz zu stärken: Dass man noch viel für einen Menschen tun kann, auch wenn keine Aussicht auf Heilung besteht. Dazu gehören Maßnahmen zur Schmerzlinderung, aber auch die Pflege, die extrem wichtig ist am Lebensende, Mundpflege, Ernährung, Flüssigkeitszufuhr. Hier braucht man ein sehr professionelles Management, um den Sterbenden die Symptome zu erleichtern, um eine friedvolles und ein würdevolles Sterben zu ermöglichen.“
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