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„Menschen in der Zeit“: Hieronymus Jaegen – Politiker, Bankier und Mystiker

Wie passt das eigentlich zusammen – Kapitalist, Politiker und Mystiker? Mindestens eine dieser beruflichen Ausübungen müsste eigentlich infrage gestellt werden. Eigentlich schon. Aber bei Hieronymus Jaegen eben nicht. Ihm ist es gelungen, diese seltenen Symbiose in seinem Leben zu verwirklichen. Dabei hat er keine Tricks angewandt oder Täuschungen vorgespielt, sondern sein Christsein schlicht und einfach ernst genommen.

Aldo Parmeggiani - Vatikanstadt

Aufgewachsen in Trier studierte er in Berlin Maschinenbau und Hüttenwesen. „Hieronymus war sicherlich zuerst einmal begeistert vom Flair der Großstadt, dennoch muss der Sprung aus der „heilen Welt“ an der Mosel in das hektische Getriebe der Weltmetropole Berlin mit nur fünf Prozent Katholiken unter einer Dreiviertelmillion Einwohner für Hieronymus einen Kulturschock bedeutet haben“, schreibt Christian Feldmann in seiner Biographie über Hieronymus Jaegen mit dem Titel „Triers heimlicher Heilige“. Und in der Tat: In Berlin zeigten sich die Auswirkungen der industriellen Revolution bereits mit allem Glanz, aber auch mit allem Elend. Während Kohle- und Roheisenproduktion innerhalb von wenigen Jahren auf das Dreifache gestiegen sind und überall mächtige Industrieanlagen aus dem Boden schossen, hatten die kleinen Betriebe um ihr Überleben zu kämpfen. War eben erst die Fabrikarbeit für Kinder unter zwölf Jahren verboten, fristeten Massen von Menschen in feuchten Mietskasernen und Kellerwohnungen ein freudloses Dasein. Wir schreiben das Jahr 1860.

Bereits in der Großstadt Berlin hatte sich der Student Jaegen ein wichtiges Lebensziel gestellt, nämlich sich im Glauben zu bewähren und weiterzuentwickeln. Prägend war für ihn dabei der Missionsvikar namens Eduard Müller, ein leidenschaftlicher Seelsorger, dem vor allem die jungen Arbeiter und Studenten am Herzen lagen. In seinen Studienfächern erzielte Hieronymus so gute Leistungen, dass er das einzige in Trier ausgesetzte Stipendium erhielt. Als Sohn nicht sehr begüterter Eltern hatte er bisher in Berlin sehr sparsam leben müssen und konnte das Geld also gut gebrauchen. Mit einem hervorragenden Abschlusszeugnis trat er 1863 als Konstrukteur in die Trierer „Eisengießerei und Maschinenfabrik Eduard Laeis & Cie.“ ein. 15 Monate später meldete er sich als Freiwilliger beim 29. Trierer Regiment, um seiner militärischen Dienstpflicht zu genügen. Kaum hatte er sein Militärjahr absolviert, machte Preußen gegen Österreich mobil. In diese Zeit fällt auch der von Bismarck vom Zaun gebrochene Konfessionsstreit, der als Kulturkampf in die Geschichte eingegangen ist. Bischöfe, Priester und katholische Laien leisteten erbitterten Widerstand gegen die ungerechte Bevorzugung des Protestantentums auf der ganzen Linie. Die meisten Bischöfe landeten im Gefängnis oder immigrierten, sämtliche Priesterseminare wurden geschlossen, 480 Klöster aufgehoben.

Nur allmählich begannen sich die Wogen des Kulturkampfes zu glätten, Bismarck sah ein, dass er die Kraft des katholischen Lagers unterschätzt hatte und der neugewählte Papst Leo XIII. baute ihm mit seiner geschmeidigen Verständigungspolitik goldene Brücken. Jaegen schied 1879 aus den Diensten der Maschinenfabrik Laeis aus und bekam sofort eine ehrenvolle neue Position angeboten, im Vorstand der eben erst gegründeten Trierer Volksbank. Mit der Berufung des Seiteneinsteigers hatte die Volksbank offensichtlich einen guten Griff getan, denn Jaegen führte das Unternehmen in den 19 Jahren seiner Tätigkeit als Bankdirektor zu Erfolg und Prosperität. Diese Bank hatten sich vor allem der Interessen der kleinen Sparer und Gewerbetreibenden verschrieben. Im gleichen Zeitraum nimmt Hieronymus Jaegen ein Angebot der Zentrumspartei an und kandidiert für den Preußischen Landtag. Zehn Jahre lang vertritt er den Wahlkreis Wittlich-Bernkastel im Berliner Landesparlament. Er hält einen erstaunlich regen Kontakt mit seinen Wählern daheim, interessiert sich für die Sorgen der Bauern und Winzer, setzt sich unermüdlich für den Ausbau des Eisenbahnnetzes an der Mosel ein, bleibt sozusagen sozialpolitisch am Ball. Als engagierter Laienchrist gestaltet er in Trier das katholische Leben gezielt und bewusst mit. Weltgestaltung, nicht Weltflucht ist seine Devise, sein lebenslanges ehrenamtliches Engagement in zahlreichen katholischen Vereinen und Sozialeinrichtungen die logische Konsequenz daraus.

VN: Herr Schneider, Sie sind der Vize-Postulator im anstehenden Seligsprechungsprozess von Hieronymus Jaegen. Wie würden Sie diese Persönlichkeit beschreiben?

Schneider: Hieronymus Jaegen ist für mich eine faszinierende Persönlichkeit trotz seiner historischen Entfernung von der Gegenwart. Er ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts geboren in normalen bürgerlichen Verhältnissen. Er ist als Laienchrist zu bezeichnen, er hat kein Semester Theologie studiert, sondern sich den damals führenden modernen Wissenschaften zugewandt. Er ist Ingenieur gewesen, dann Jahrzehnte lang Vorsitzender einer Bank und am Schluss seines Lebens auch noch für mehrere Legislaturperioden Landtagsabgeordneter im Preußischen Abgeordnetenhaus. In all diesen, der Welt sehr zugewandten, verantwortungsvollen Aufgaben hat er sehr erfolgreich gewirkt. Er war über Jahrzehnte in seiner Heimatstadt Trier, in der er überwiegend, neben Berlin, gelebt hat, eine sehr respektierte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Er hat privat ein sehr einfaches, zurückgezogenes Leben geführt, ohne allerdings auf eine nette Gesellschaft oder auf ein gutes Glas Moselwein zu verzichten. Eine rundherum beeindruckende Persönlichkeit, die sicherlich auch einige Ecken und Kanten hatte, so wird ihm um Beispiel nachgesagt, dass er – vermutlich allerdings krankheitsbedingt – gelegentlich auch zu Nervosität und Gereiztheit neigte.

VN: Welche Aktualität besitzt Hieronymus Jaegen für die Menschen von heute?

Schneider: Seine Aktualität für die Menschen von heute besteht im Wesentlichen darin, dass er in der Schar der Selig- und Heiliggesprochenen zum einen Laienchristen repräsentiert, was ja nicht die überwiegende Mehrzahl trifft. Darüber hinaus steht er für mich vor allen Dingen dadurch in einer sehr interessanten Position, weil er Beruf und Leben und Frömmigkeit unter einen Hut gebracht hat. Er war in verantwortungsvollsten Tätigkeiten in der Welt zugegen, ohne seinen Glauben zu verlieren oder auch nur darin einen Widerspruch zu erkennen. Er hat gleichzeitig das Leben eines Mystikers geführt, der in einer engen Gottesbeziehung gelebt hat und selber eben auch keinen Gegensatz erkennen konnte zwischen Welt und Gott, und der sein Streben nach Vollkommenheit deswegen auch nicht delegiert hat an Frömmigkeitsspezialisten oder an Menschen, die sich nur der Begegnung mit Gott im kontemplativen Raum hingeben konnten. Darüber hinaus, das wäre eine letzte Dimension, hat er sich nicht gescheut, sich in der Gesellschaft aktiv für die Kirche und die Freiheit der Kirche im Kulturkampf zu engagieren und dies trotz gravierender persönlicher Nachteile, die das für sein Leben hatte: er wurde unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassen, was damals, in der Zeit des Kulturkampfes, einem öffentlichen Skandal gleichkam. Er wurde entlassen, weil er sich für die Kirche in der Öffentlichkeit als Redner eingesetzt hat. Auch das macht ihn zu einem sehr interessanten Mann, denn auch heute braucht es Stimmen, die sich in der Öffentlichkeit für die Kirche vernehmbar machen.

Am 3. Juli 1918 wurde Jaegen mit einer Darm- und Blasenkrankheit in das Krankenhaus eingeliefert, ein halbes Jahr später, am 26. Januar 1919 starb Hieronymus Jaegen, er war 77 Jahre alt geworden. Er erhielt das gewünschte Reihengrab am Trierer Hauptfriedhof in der Nähe einer wunderschönen Lindenallee, zu Füßen eines steinernen Gekreuzigten; 1937 wurde er umgebettet. Vergessen haben ihn die Trierer nie, aber erst ein Jahrzehnt nach seinem Tod setzte auf breiter Front die Verehrung des Mannes ein, den ein Jesuitenpater einmal ein „Juwel der Trierischen Kirche“ genannt hatte. Bald wurden auch die ersten Gebetserhörungen nach Trier gemeldet, man wandte und wendet sich häufig in wirtschaftlichen und finanziellen Notlagen, Erbschaftsangelegenheiten etwa, an den einstigen Bankdirektor. Aber auch vor schwierigen Operationen, in der Schwangerschaft, bei Schulproblemen und in seelischer Not kommen die Menschen vertrauensvoll zum „Jaegenmännchen“, wie Hieronymus bisweilen genannt wird.

Elf dicke Bände umfassen die Akten des Seligsprechungsprozesses mittlerweile, der seit 1941 von Rom anhängig ist. Als der Prozess ins Stocken zu geraten schien, forderte der Hieronymus-Bund alle, die Jaegen noch persönlich kannten oder von anderen etwas über ihn erfahren hatten, auf, sich zu melden beziehungsweise Hinweise auf noch unerschlossenen Dokumente zu geben. Da erkannte die zuständige römische Kongregation per Dekret die Gültigkeit des Informativprozesses an und Papst Johannes Paul II. ließ den Trierer Bischof Hermann Spital am 18. Mai 1993 durch das vatikanische Staatssekretariat seine dankbare Verbundenheit für dessen engagierte Stellungnahme zugunsten einer baldigen Seligsprechung Jaegens übermitteln. Und jetzt, vor wenigen Wochen, unterzeichnete Papst Benedikt XVI. das Dekret zur Anerkennung der heroischen Tugenden des Diener Gottes Hieronymus Jaegen.

VN: Der Seligsprechungsprozess geht jetzt in sein siebtes Jahrzehnt. Mittlerweile ist der heroische Tugendgrad anerkannt worden, warum aber hat der Prozess bis heute so lange gedauert?

Schneider: Zum einen ist die Dauer nicht so ungewöhnlich lange; es gibt viele Prozesse, die sehr lange laufen, etliche noch länger. Zum anderen ist der Prozess in einer sehr ungünstigen Zeit initiiert worden, in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland. Mitten im Zweiten Weltkrieg gingen dann die Akten des bischöflichen Prozesses nach Rom und auch diese Umstände des Krieges und der schwierigen Nachkriegsjahre haben offensichtlich auch in Rom ein kontinuierliches Arbeiten an diesem Seligsprechungsprozess verhindert, sodass über viele Jahre offenkundig die Akten nicht intensiv bearbeitet wurden. Darüber hinaus ist die Verehrerschar Hieronymus Jaegens nicht in einem geschlossenen Orden zu sehen. Wir haben keine große Organisation, die diesen Prozess über viele Jahrzehnte getragen hat, weder die finanziellen, noch die personellen Ressourcen dafür, sodass auch von Seiten Triers und der Verehrer Jaegens aus nicht die gleiche Energie aufgebracht werden konnte. Erst das großzügige Engagement des Bistums Trier in den letzten Jahrzehnten hat hier eine Wende gebracht und es uns ermöglicht, stärker tätig zu werden. Und darüber hinaus ist etwa die Suche nach einem Wunder, das nach wie vor in einem Wunderprozess überprüft werden muss, eine >Sache gewesen, die sich hier sehr schwierig und zeitaufwendig dargestellt hat.

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25. Februar 2018, 08:56