Schönborn: Das Christentum ist eine gute Quelle für die Demokratie
Kardinal Christoph Schönborn und Altbundespräsident Heinz Fischer haben in der ORF-Sendung „kreuz und quer“ am Dienstagabend über den „Anschluss“ im März 1938 gesprochen. Der Wiener Erzbischof betonte in dem TV-Talk, dass das Hassen und Morden durch „ständiges Hetzen in eine bestimmte Richtung“ vorbereitet worden sei. Heinz Fischer sprach von einem notwendigen Aufarbeitungsprozess zur schrecklichen Katastrophe, der alle Bereiche – unter anderem Politik, Wirtschaft, Kirchen und Universitäten – umfassen müsse.
Die Kirche hat Fehler gemacht
Der Erzbischof räumte gravierende Fehler der Kirche in den Jahren von 1918 bis 1938 ein. Das betreffe vor allem den politische Katholizismus und die Fixierung der Kirche auf eine bestimmte politische Richtung. Es habe schon Anfang der 1930er Jahre diesbezüglich katholische Querdenker, die den Kontakt zur Sozialdemokratie suchten, gegeben, „aber diese Kräfte waren viel zu schwach“.
Heinz Fischer nahm zur Rolle des Vatikans 1938 Stellung. Dabei bezog er sich auf eine Tagebucheintragung eines Diplomaten über ein Gespräch mit Papst Pius XI. über den „Anschluss“. Demnach habe Pius XI. tiefste Enttäuschung über die im März 1938 unterbliebene Unterstützung des italienischen Machthabers Benito Mussolini für Österreichs Kanzler Kurt Schuschnigg geäußert. Dies zeige, wie unterschiedlich die Meinungen zum „Anschluss“ in den Kirchenführungen gewesen seien.
Interessant sei auch, dass es im März 1938 offenbar keine Kontaktaufnahmen zwischen dem Vatikan und Wien gegeben habe. Dabei hätten Bundespräsident Wilhelm Miklas und die Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg in den Jahren davor immer wieder bei wichtigen Fragen Kontakt mit dem Vatikan aufgenommen, so Fischer.
Demokratie braucht ein Wertefundament
Dass Kirche, Politik, Medien und Gesellschaft in der Ersten Republik stark antisemitisch waren, steht für Schönborn und Fischer fest. Hier habe es große Veränderungen seit den 1960er-Jahren gegeben - in der Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und den Weltkatechismus (1992), in der Politik durch eine stärkere Ächtung und Verurteilung von früher durchaus geduldeten Wortmeldungen im Parlament.
Ebenfalls seit dem Konzil gefestigt sei die Haltung der Kirche zur Demokratie. Diese Staatsform brauche ein Wertefundament, denn der freiheitliche, säkulare Staat „lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, zitierte Schönborn das Diktum des deutschen Rechtsphilosophen Ernst-Wolfgang Böckenförde. Demokratie brauche „Einigkeit über das Unabstimmbare“ und lebe von den Tugenden und der moralischen Substanz ihrer Bürger und Repräsentanten, betonte Schönborn. Eine wichtige Quelle, die für die Demokratie auf Grundlage von Werten mobilisiere, sei das Christentum.
Eine etwaige Preisgabe grundlegender Menschenrechte - etwa, wenn Asylwerber als Kriminelle angesehen würden - sei deshalb mit Demokratie unvereinbar, betonte der Kardinal. Allerdings bräuchten die Voraussetzungen der Demokratie Stärkung. „Denn wenn sie schwach werden, ist die Demokratie in Gefahr.“
Die Bischöfe Österreichs hatten in der vergangenen Woche in Vollversammlung in Sarajewo getagt. Sie wollten in ihrer Erklärung mit einem Zitat von Elie Wiesel (1928-2016) auf die aus der Erinnerung an die dunkle Zeit kommende Hoffnung hinweisen, so Schönborn. Wiesel hatte geschrieben: „Erinnerung ist Hoffnung, und Hoffnung ist Erinnerung“. Die Bischöfe wollten damit die aus der Erfahrung von Zwischenkriegszeit und Nationalsozialismus „mühsam errungene Wertschätzung von Menschenrechten, Demokratie und Gemeinwohl“ ansprechen.
(kap – nv)
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