Bischof Oster: „Zuerst hörende, dann erst lehrende Kirche sein"
Im Gespräch mit Vatican News äußert sich Oster auch anerkennend über Papst Franziskus, der die Devise „runter vom Balkon“ ausgegeben habe, und lobt den deutschen katholischen Jugendverband BDKJ für seine hohe Debattenkultur und als „wichtigen Ort der Glaubenserfahrung“.
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Vatican News: Bischof Oster, ganz ins Große hineingefragt: Welche Erwartungen haben Sie an die Jugendsynode?
Bischof Oster: „Die Erwartung ist für mich, dass wir in dieser stark veränderten globalisierten Welt, wo viele junge Menschen die Kirche nur von außen oder über Skandale wahrnehmen, uns aufrichtig der Frage stellen: „Wie gelingt es heute, junge Menschen mit dem Evangelium überhaupt in Berührung zu bringen - ohne das nur auf die bisherige Weise zu tun?“ Wir gehen immer von volkskirchlichen Strukturen aus. Da gibt es den Religionsunterricht, die Kommunion- und Firmvorbereitung, die Jugendverbandsarbeit, die alle ihren großen Wert für sich haben. Aber die Kluft wächst zwischen Jugendlichen, die nicht automatisch mit der Kirche in Berührung sind und denen, die es sind. Wie geht es, dass wir heute jungen Menschen das Evangelium verkünden, mit all den drängenden Fragen, die sie haben? Da erwarte ich mir Impulse.“
Vatican News: Im Kern geht es bei der Synode um die Frage der Berufung junger Menschen. Wie würden Sie da die Herausforderung umreißen?
Bischof Oster: „Papst Franziskus will das Thema Unterscheidung der Geister erörtern lassen, also: wie helfen wir jungen Menschen, ihren Lebensweg, ihre Berufung zu finden. Ich glaube, wir haben richtig Nachholbedarf in der Kirche, Menschen zu werden, Menschen auszubilden, die im besten Sinn „Unterscheidungshelfer“ sind, also die gewissermaßen einen inneren und äußeren Weg von Menschen erkennen und begleiten können, wachsen lassen können, helfen können, sich selbst zu entdecken und zu finden. Da dürfen wir auch zulegen in unseren Ausbildungsgängen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Priester.“
Vatican News: Die Vorsynode hat im März in Rom getagt, Franziskus war dabei, am Palmsonntag wurde ihm das Abschlussdokument überreicht, das auch auf Deutsch vorliegt. Gibt es Punkte darin, die Sie überraschen?
Bischof Oster: „Mich überrascht eigentlich, dass sie es so gut hinbekommen haben, das alles in einen Guss zu gießen. Es ist ein sehr vielfältiges Dokument, differenziert und reich an den Stimmen der Jugend der Welt. Was sehr schön ist und durchgehend vorkommt, ist wie sehr junge Menschen sich danach sehnen, dass Menschen in der Kirche sie wohlwollend begleiten und unterstützen und ihnen Helferinnen und Helfer sind, ins Leben zu kommen. Diese Sehnsucht ist da. Und irgendwie spürt man: Die jungen Menschen, die dabei waren, ahnen – oder manche wissen und glauben es fest - dass in der Kirche schon ein Schatz bereitliegt, der aber nicht so selbstverständlich für sie zu heben ist.“
Vatican News: Dem Papst und den vatikanischen Verantwortlichen für die Synode war es vorab eben ganz wichtig, viele verschiedene Stimmen von jungen Menschen zu hören, so breit wie möglich: was treibt sie um, in ihrem Leben, in ihrem Glauben oder Suchen, in ihrem Land – wo auch immer sie leben. Was an diesem breiten Ansatz halten Sie für hilfreich?
Bischof Oster: „Das ist eine schwierige Frage. Auf der einen Seite ist es sicher nicht einfach, aus Rom die Antwort einer Weltkirche zu geben. Auf der anderen Seite glaube ich, gibt es doch anthropologische Grundkonstanten. Jeder junge Mensch ist in einer Wachstumsphase, in einer Suchphase. Es ist wichtig, die wirklich wahrzunehmen und darin auch als Kirche zunächst einmal hörende und wahrnehmende Kirche zu sein, bevor wir lehrende Kirche sind. Die Kirche hat Antworten - aber die Antworten beziehen sich immer auf ein existenzielles, konkretes, auch einzeln gelebtes Leben, und deswegen erhält die Antwort für den einzelnen jungen Menschen dann auch immer eine andere Gestalt. Ich glaube, dass dies auch ein neuer Blick ist von Papst Franziskus, der sagt, wenn ich es mit einem Bild sagen soll: runter vom Balkon. Hingehen zu den Menschen, erstmal hören, fragen, die Situation wahrnehmen, bevor wir ins Sprechen kommen. Das ist hilfreich, sympathisch und für die Welt von heute nötig.“
Vatican News: „Im Schlussdokument der Vorsynode heißt es, aus Sicht der jungen Leute formuliert: „Zur Hierarchie der Kirche sagen wir: seid transparent, offen, ehrlich, einladend, kommunikativ, zugänglich, freudig und eine Gemeinschaft im Austausch“. Sie sind Teil der Hierarchie, fühlen Sie sich herausgefordert von diesem Katalog der Eigenschaften?
Bischof Oster: „Ja, immer. Das Hauptwort, das man auch in dem Dokument immer wieder hört, ist „Authentizität“. Die jungen Menschen wünschen sich Authentizität, Echtheit, Glaubwürdigkeit. Jeder weiß, dass er mit seinen Widersprüchen ringt und seine Kämpfe ausficht. Wenn man dann noch dauernd – jetzt spreche ich als Amtsträger – auf dem Präsentierteller steht und wahrgenommen wird, ist es wichtig zuzusehen, dass man da nicht irgendwie „komisch“, „künstlich“, oder „unauthentisch“ wird oder bleibt. Die große anthropologische Frage ist: „Wie wird man eigentlich glaubwürdig und wie wird man eigentlich authentisch?“ Eine Antwort darauf gibt der Papst in seinem neuen Dokument „Gaudete et exsultate“ über die Heiligkeit. Er beantwortet darin, was es eigentlich heute bedeutet, eine heilige Frau oder ein heiliger Mann zu sein, weil dort die Glaubwürdigkeit herkommt. Heiligkeit ist nicht etwas, das man automatisch hat oder beschließt zu haben, sondern das ist ein Weg und ein Prozess, der immer wieder der Überprüfung bedarf. Insofern, ja, natürlich treffen mich die Fragen der Jugendlichen.“
Vatican News: Mit großer Klarheit stellt das Jugend-Dokument der Vorsynode die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche und in der Gesellschaft. Wo sehen Sie da, wenn Sie sich als Bischof in die Perspektive einer jungen Katholikin hineinversetzen, die eigentlich bedeutenden Punkte? Wo sind die zukünftigen Bereiche der Frauen in der Kirche?
Bischof Oster: „Also zunächst einmal bin ich dankbar für die vielen, vielen Frauen in der Kirche, die sich als Gläubige beteiligen und engagieren. Natürlich geht es dann immer auch um die Frage nach der Verantwortung und den Führungspositionen und solche Dinge, da bin ich ganz einverstanden, dass wir die Qualitäten von Frauen auch in der Kirche in den Rollen, die Verantwortung tragen, nicht übergehen können, ohne Schaden zu leiden. Da haben wir ganz sicher Entwicklungsbedarf. Ich möchte aber auch noch einen Punkt hinzufügen: Die eigentliche Autorität in der Kirche kommt immer auch wieder aus der Nähe zu Christus und das, was wirkliche Autorität der Kirche ist, ist auch da wieder Heiligkeit. Die großen Frauen in unserer Kirche, die am meisten bewegt haben, haben im Grunde nie die Frage gestellt: „Wo kann ich welchen Einfluss haben?“, sondern sind gewissermaßen einfach ihren Weg mit Gott gegangen und sind so glaubwürdig, so authentisch geworden, dass sie ungeheuer einflussreich geworden sind an den Stellen, die Kirche im Innersten ausmachen, nämlich: Wie helfen wir Menschen, ins Evangelium zu kommen und mit Jesus in Berührung zu kommen, das Heil zu finden.
Wenn das die eigentliche Aufgabe der Kirche ist, gibt es ganz viele Frauen in unserer Kirche, die in diesem Sinne ungeheure Autorität gehabt haben und in diesem Sinn kommt auch die Autorität in der Kirche oder die normative Kraft nie so sehr zuerst von den Amtsträgern, es sei denn, sie sind auch Heilige, sondern immer von den heiligen Männern und Frauen. Die waren immer die Gestalten, die Kirche am meisten geprägt und verändert haben - durch die Geschichte hindurch und auch schon, bevor man diese Macht- und Einflussfrage gestellt hat. Trotzdem ist die Kirche auch in dieser Welt gegenwärtig und da brauchen wir auch Frauen, die Verantwortung übernehmen.“
Vatican News: Würden Sie in der Synode ein Stimmrecht für Laien, in diesem Fall Jugendliche, befürworten?
Bischof Oster: „Ich bin zum ersten Mal bei einer Synode dabei und möchte deswegen noch nicht klug daherreden, bevor man überhaupt weiß, wie so etwas abläuft. Allerdings bin ich immer dafür, dass Jugendliche beteiligt werden. Ich habe ja auch die Forderung unseres Bundes der Deutschen Katholischen Jugend unterstützt, dass wir gesagt haben, es wäre eigentlich schön, wenn genauso viele Jugendliche wie Bischöfe teilnehmen.“
Vatican News: Als deutscher Jugendbischof stehen Sie viel im Austausch, manchmal auch im spannungsreichen Austausch, mit dem großen katholischen Jugendverband, dem BDKJ. Nun wird diese Eigenart in der deutschen Ortskirche, dass dort – auch aus historischen Gründen – einiges in Verbänden läuft, dass man organisiert ist, in der Weltkirche nicht immer gut verstanden oder richtig eingeschätzt. Was werden Sie in Rom Gutes über den BDKJ sagen können?
Bischof Oster: „Ich erlebe den BDKJ als sehr, sehr gut und auch für junge Menschen gut in all den Fragen „Wie gehen eigentlich Prozesse der Debattenkultur, der Meinungsfindung, des sozialen und politischen Engagements?“ Junge Menschen, die sich in einem Jugendverband organisieren, lernen, miteinander zu diskutieren, aufeinander zu hören, miteinander Entscheidungen zu finden, auch gegenteilige Meinungen auszuhalten und so gewissermaßen demokratiefähig zu werden. Wir erleben ja in letzter Zeit in unseren Ländern, dass Demokratie durchaus angefragt wird und etwas wackelig geworden ist, eben weil die Polarisierung und Emotionalisierung so zunimmt. Und da erlebe ich einen großen Beitrag unserer Jugendverbände. Ich habe auch vielfach erfahren, dass sie wichtige Orte der Glaubenserfahrung und des Hineinfindens in den Glauben sind. Glaube wird nur durch Personen und Gemeinschaftserfahrungen vermittelt, und das findet dort statt. Man kann sehr viel Positives über unsere Jugendverbände in Rom sagen.“
Vatican News: Die Debattenkultur in den Jugendverbänden, wie Sie sie hier schildern, erinnert geradezu an eine Synode. Vielleicht werden Sie uns im Oktober erzählen, dass das eine ähnliche Erfahrung ist zwischen BDKJ und Synode?
Bischof Oster: „Deswegen finden unsere Vertreterinnen und Vertreter des BDKJ das Thema „Synodalität“ ja so spannend, weil sie darin Erfahrungen haben und gut unterwegs sind. Ich möchte auch betonen, weil Sie gesagt haben, da gibt es ein spannungsreiches Verhältnis zwischen dem Verband und mir: Es kommt nicht von ungefähr, dass das nach außen gedrungen ist, aber es ist viel weniger polarisiert und emotionalisiert, als das wahrgenommen wird. Wir haben miteinander, das kann ich glaube ich auch im Namen der jungen Menschen vom BDKJ sagen, in eine sehr intensive Gesprächskultur gefunden, die wertschätzend ist und die auch aushalten kann, dass der andere eine andere Position hat.“
Vielen Dank, Herr Bischof!
(Vatican News - gs)
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