Der Kommunionstreit und das Kirchenrecht
Marion Sendker - Vatikanstadt
Das bot früher viel Spielraum für Einzelfallentscheidungen. Heute ist es starr und darf kaum noch interpretiert werden.
Zwar sind im weltweit gültigen kirchlichen Gesetzbuch Ausnahmen geregelt, wann einem Protestanten die Eucharistie gespendet werden darf. Die sind aber sehr eng und müssen wortlautgetreu befolgt werden.
Lösungsvorschläge in der Diskussion um Eucharistie und Subsidiarität finden sich seiner Ansicht nach in der rechtlichen Tradition, insbesondere im „Corpus Iuris Canonici“: Das ist alles, was bis zur Einführung des Codex Iuris Canonici vor 100 Jahren galt; eine zum Teil wilde und unübersichtliche Sammlung an Einzelfallentscheidungen, päpstlichen Kommentaren oder Erlassen.
„Ich glaube, diese Vorgeschichte und diese Traditionen gehören aber zu der Diskussion, was möglich ist und was nicht. Es scheint bei Papst Franziskus ein bisschen in die Richtung zu gehen, dass der Einzelfall berücksichtigt werden soll. Man soll in einer Reihe von Gewissensentscheidungen dem Einzelnen dann helfen – ja, das riecht mir so, als ob es in diese Richtung des Case Law ginge!“
Braucht die Kirche ein flexibleres Rechtssystem?
Das so genannte Einzelfallrecht hat sich seit dem Hochmittelalter über Jahrhunderte hin entwickelt und legitimierte bis 1918 eine in pastoraler Hinsicht flexible Praxis. Die Abkehr von diesem kasuistischem Rechtssystem zu einem für die Weltkirche geltenden und eher starren Gesetzbuch stand im Zeichen des Zeitgeistes des 18. und 19. Jahrhunderts und spiegelte den internationalen Trend zu einheitlichen Grundgesetzen.
Spätestens aber seit dem Zweiten Vatikanum ist es Lehre der Kirche, dass die Kirche in und aus Teilkirchen besteht, also nicht nur aus Rom. Es geht im Grunde um die Anwendung des Subsidiaritätsprinzip auch auf die Kirche, und das heißt, Probleme sollen zunächst dort entschieden werden, wo sie entstanden sind.
Dieses Prinzip, um das es im Streit der deutschen Bischofskonferenz auch geht, sei aber keine Einbahnstraße, betont Wolf: „Subsidiarität heißt auch, dass, sofern die untere Ebene keine Entscheidung oder keinen Konsens finden kann, dann Rom helfend eingreifen muss. Für die Weltkirche ist es dann wichtig zu fragen: ‚Wo sind die Dinge, über die wir nicht diskutieren können? Und wo kann sich Kirche durchaus im Sinne von Enkulturation in bestimmte Kontexte hineinbegeben und bestimmte äußere Formen und Dinge verändern?‘ Das wird man aber in jedem Punkt diskutieren müssen.“
Ein Paradigmenwechsel muss her
Solche Diskussionen seien indes keine Absagen an eine zentralistisch organisierte Kirche, denn über das Kirchenrecht entscheidet nach wie vor der Papst, so Wolf. Es gehe hier mehr um einen Paradigmenwechsel und eine ganzheitliche Betrachtung der Kirche, deren Geschichte älter ist als die des einheitlichen Kirchenrechts.
„Wenn der Papst neue Modelle sucht, was gibt es dann besseres, als auf die Tradition der Kirche zu setzen? Ich muss nichts Neues erfinden. Ich glaube, Reformen gelingen nicht gegen den Geist der Tradition, sondern mit dem Geist der Tradition. Und katholische Tradition ist pluriformer als man denkt.“
Kirchenrecht darf kaum interpretiert werden
Der Kirchenhistoriker schlägt deswegen eine Interpretation des geltenden Rechts aus seiner Historie vor. Was in den meisten Rechtsordnungen der Welt in der Gesetzesanwendung Gang und Gäbe ist, sei dem Vatikan fremd.
Dort gelte das geschriebene Wort – meistens ohne Interpretationsspielraum für Kirchenrichter, denn das würde ja wieder ins Fallrecht führen – und das hat man 1918 nach langen Jahren der Diskussion abgeschafft.
Diese wortlautgetreue Herangehensweise decke sich dagegen nicht unbedingt mit dem Buch aller Bücher – der Bibel; genauer mit den Evangelien, so Wolf: „Entschuldigung, wie viele Evangelien gibt es? Es gibt vier und die widersprechen sich. Zum Beispiel kennt das Johannesevangelium kein Abendmahl, sondern nur die Fußwaschung. Wenn Johannes die Fußwaschung in den Vordergrund stellt und die Synoptiker das Abendmahl – dann könnte man ja jetzt hart interpretierend sagen, dass es bei Johannes nicht zur Botschaft gehöre. Aber so ist es nicht.“
Einheitskatholizismus hat es nie gegeben
Zum Katholischen gehörten gerade unterschiedliche Interpretationen der Botschaft Jesu. Das Kirchenrecht sei dahingehend aber zu eng und auch nicht im ursprünglichen Wortsinn von katholisch, aus dem Griechischen von katholon – das Ganze umfassend.
Einheitskatholizismus habe es in der Geschichte der Kirche nie gegeben, betont der Historiker und Priester. In dem Sinne trifft er vielleicht das, was Franziskus nicht müde wird zu betonen: Es geht um Unterscheidung und um Einheit in Vielfalt.
Mehr Mut, liebe Kirche!
Diese Vielfalt, die durchaus auch als Widerspruch gesehen werden kann, habe es immer wieder in der Kirchengeschichte gegeben.
Aber der Einheit hat es nie geschadet, bemerkt Wolf. Warum sollte das jetzt bei der Frage um Kompetenzen von nationalen Bischofskonferenzen und geteilter Eucharistie anders sein?
Mehr Mut, fordert der Wissenschaftler: „Katholisch ist vom Prinzip her nicht gleichmacherisch, hat aber einen Einheitspunkt – und der ist Jesus Christus, Gottes Sohn.“
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