D: Wird die Organspende zur Pflicht?
Die deutschen Bischöfe hielten auf ihrer Herbstvollversammlung in Fulda in dieser Woche dagegen: Sie wollten lieber an der jetzigen Lösung festhalten, dass Organspenden freiwillig erfolgen müssen.
„Diese Debatte wurde schon immer einmal in den vergangenen Jahren geführt.“ Das sagt der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff in einem Interview mit dem Kommunikations-Referat seines Erzbistums. „Es gab vor 20 Jahren mal in Rheinland-Pfalz einen Kandidaten der SPD um das Ministerpräsidentenamt, Rudolph Scharping, der wollte durch die Ankündigung im Falle seiner Wahl ein Transplantationsgesetz im Sinne der Widerspruchsregelung aufzustellen. Das hat dann aber in der Bevölkerung keinen Widerhall gefunden.“
Kein Passepartout, um mehr Spenderorgane zu bekommen
Dann kam, vor ein paar Jahren, der Transplantationsskandal, der viele Menschen in Deutschland erschütterte. Seitdem wird, so Schockenhoff, immer wieder die Frage gestellt, „ob der Grund für die geringen Spenderorgane, die wir in Deutschland generieren können, nicht auch in der falschen juristischen Regelung liegt“.
„Man verweist dann auf andere Länder, vor allem wie Österreich oder Spanien, die eben unter einer Widerspruchsregelung deutlich höhere Spendebereitschaft haben, und fragt, ob das nicht auch der richtige Weg für Deutschland wäre. Ich halte das aber nicht für den Passepartout, der also wirklich der Schlüssel zum Erfolg wäre. Und zwar deshalb, weil das nicht so einfach ist, dass man einfach, wenn man die rechtlichen Parameter ändert, an der Stellschraube des Gesetzes dreht, dass man dann wie von selbst mehr Spenderorgane hätte.“
Spenderzahl in kurzer Zeit verdoppelt
Dass es, am Bedarf der Patienten auf der Warteliste gemessen, in Deutschland an Spenderorganen mangelt, hat für Schockenhoff eine ganze Reihe von Ursachen.
„Und die juristische Ursache, die eventuell in Frage käme, nämlich dass es eine zu hohe Hürde ist, selbst einen Organspendeausweis auszufüllen, die ist in den letzten Jahren sogar erfolgreich bekämpft worden, kann man sagen, indem nämlich die Werbung, die man machte zugunsten der Möglichkeit sich selber zu entscheiden für die Organspende, einen Organspendeausweis mit sich zu führen, ein großes Echo hatte. 36% aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger sind Organspenderinnen, Organspender!“
Das hätte man, glaubt Schockenhoff, „vor zehn Jahren noch kaum für möglich gehalten, diese Zahlen in so kurzer Zeit zu verdoppeln“.
Das ist mit unserem Menschenbild schwer vorstellbar
„Die eigentlichen Gründe für die geringe Zahl, die man trotz dieser gestiegenen Bereitschaft bei uns in Deutschland hat, liegen mehr in der fehlenden Zusammenarbeit der einzelnen Krankenhäuser mit den Transplantationszentren. Sie liegen auch in einem relativ hohen Standard, was die Hirntoddiagnostik anbelangt. Also, in den Ländern wie Spanien, die eine hohe Zahl von Organspenden haben, dort sind auch die Entnahmekriterien weniger anspruchsvoll; da kann man schon, wenn das Herz für kurze Zeit aufgehört hat zu schlagen, wenn eine Reanimierung ohne weiteres möglich wäre, bereits Organe entnehmen, während bei uns die Hirntoddiagnostik sehr anspruchsvoll ist, weil man in Deutschland zu Recht davon ausgeht, dass die Organentnahme nur bei einem hirntoten Patienten moralisch und rechtlich zulässig ist.“
Der eigentliche Einwand gegen eine Pflicht zum Organspenden geht für den Freiburger Moraltheologen so: „Eine Konstruktion, wo ich eine rechtliche Verpflichtung habe, Organe abzugeben nach meinem Tod, wo man davon ausgeht, dass die postmortalen Organe gewissermaßen an den Staat fallen oder an eine anonyme Verteilungsinstanz, das ist mit unserem Menschenbild schwer vorstellbar. Denn das, was rechtlich und moralisch die Organspende überhaupt trägt und was sie zu einer einwandfreien und moralisch achtenswerten Aktion macht, das ist eben die persönliche Spendebereitschaft eines Menschen, die persönliche Entschiedenheit.“
Dann kann man nicht mehr von einer Spende sprechen
Und diese persönliche Entscheidung könne man nicht einfach „durch den Wechsel in ein anderes rechtliches System umgehen“. Dann könne man ja auch „nicht mehr von einer Spende sprechen“, so Schockenhoff.
„Das Wort Spende, das ist ja sprachlich sehr positiv konnotiert, aber das setzt immer voraus, dass ein Mensch aus freien Stücken etwas Wichtiges, in diesem Fall sogar ein überlebenswichtiges Organ, das anderen Menschen die Gesundheit zurückgeben kann, zur Verfügung stellt. Aber wenn ein Zwang, eine Verpflichtung besteht, der man nur durch eine rechtzeitig abgegebene Erklärung sich entziehen kann, kann man eigentlich nicht mehr von einer Spende sprechen.“
Freiwilligkeit und Informationslösung kombinieren
Befürworter der Widerspruchsregelung verweisen gerne darauf, dass jedem ja die Möglichkeit bleibe, einen Widerspruch einzulegen, und das sei ja kein hoher Aufwand. „Wir wissen aber aus den Ländern, die Erfahrung mit der Widerspruchsregelung haben, dass dort die tatsächlichen Folgen eines nicht eingelegten Widerspruches einer Mehrzahl von Menschen unbekannt sind. Es gibt Umfragen in Spanien: 65 % wissen das nicht, dass sie faktisch als Organspender in Betracht kommen einfach deshalb, weil sie keinen Widerspruch hinterlegt haben. Und das heißt, man arbeitet hier eigentlich mit der Unwissenheit der Menschen.“
Eine rechtliche Regelung müsste aus Schockenhoffs Sicht „zwei Dinge miteinander kombinieren“. „Einmal müsste sie hinreichend die Freiwilligkeit, die freie Entscheidung des Spenders dokumentieren. Und dann müsste sie den berechtigten Interessen der Organempfänger ausreichend Raum geben. Und da meine ich, dass die Regelung, die wir im Augenblick haben, nämlich die Informationslösung oder die Einverständnislösung, dass nämlich die Menschen, wenn sie einen Versicherungsvertrag schließen, von ihrer Versicherung gefragt werden, ob sie Organspender sind oder nicht, man also auf eine persönliche Entscheidung hinarbeitet, das ist eigentlich die richtige Lösung.“
Der Moraltheologe könnte sich allerdings „vorstellen“, dass man diesen Ansatz einer Informationslösung, die auf die persönliche Entscheidung jedes Menschen zielt, mit einer Widerspruchsregelung „kombiniert“.
„Im dem Sinne, dass man sagt: Wer sich nicht entscheidet, wer nicht reagiert auf die Anfrage der Krankenversicherung, bei dem unterstellt man, dass er bereit ist. Das könnte ich mir vorstellen, aber dann ist die ganze Logik des Verfahrens ist immer noch die, dass man darauf zielt, dass jeder eine persönliche Entscheidung fällt. Und ich glaube, das darf auch der demokratische Rechtsstaat von seinen Mitgliedern erwarten, dass sie angesichts der Möglichkeit, einem anderen Menschen in einer sehr schwierigen gesundheitlichen Situation existenziell zu helfen, eine ernsthafte Überlegung anstellen…“
(erzbistum freiburg – sk)
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