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Aktiensteuer: „Ein Schlag ins Gesicht aller Aktivisten für Steuergerechtigkeit“

Am Montag teilten die französischen und deutschen Finanzminister mit, dass sie die Finanztransaktionssteuer in eine Aktiensteuer umwandeln wollen. Die Finanztransaktionssteuer sollte für mehr Steuergerechtigkeit sorgen, die Börsen regulieren und mit den Einnahmen die Menschen, die aufgrund der Finanzkrise von 2008 finanziellen Schaden genommen haben, entschädigen. Zudem sollten große Teile des Geldes in den Klima und Umweltschutz fließen.
Hier zum Hören unser Interview:

Hendrik Schmiemann - Vatikanstadt

Die Kampagne „Steuer gegen Armut – Finanztransaktionssteuer“ wurde von der Jesuitenmission ins Leben gerufen und setzte sich für diese Ziel der Finanztransaktionssteuer ein. Angesichts der politischen Kehrtwende von Deutschland und Frankreich antwortete die Initiative aus Protest mit der Einstellung ihrer Kampagnentätigkeit. Dies sei „ein Schlag ins Gesicht aller, die sich für mehr Steuergerechtigkeit engagieren“, so der Initiator der Kampagne, Jörg Alt. Wir haben den Jesuiten-Pater und Sozialwissenschaftler, der die Initiative seit 2009 koordiniert, zum Gespräch gebeten.

Vatican News: Herr Alt, was ist die Finanztransaktionssteuer und inwiefern unterscheidet sich diese von der Aktiensteuer?

Jörg Alt: Die Idee nach der Finanzkrise von 2008 war, eine Steuer auf alle Finanztransaktionen und jeglichen Handel mit Finanzprodukten zu erheben, um diesen Algo-Handel, diesen Hochgeschwindigkeitshandel, unrentabel zu machen und zurückzudrängen. Das heißt, die Finanztransaktionssteuer zielt vor allem auf die Finanzindustrie und den Handel mit Finanzprodukten. Eine Aktiensteuer belastet im Gegenzug die Realwirtschaft, und das wollen wir nicht.

Vatican News: Hat die Aktiensteuer denn auch Vorteile gegenüber der Finanztransaktionssteuer?

Alt: Nein, keinerlei Vorteile. Der einzige Vorteil für die Politik ist, dass die Aktiensteuer schon existiert und man deswegen weniger Arbeit hat, diese auszuweiten. Aber sie hat keinerlei innovatives Potenzial und sie hat keinerlei Lenkungswirkung, die wir uns mit einer solchen Steuer erhofft hätten.

„Schlicht und ergreifend am Widerstand der Finanzindustrie gescheitert“

Vatican News: Wenn die Vorteile der Finanztransaktionssteuer in einem solchen Maße überwiegen, woran ist die Finanztransaktionssteuer denn dann gescheitert?

Alt: Schlicht und ergreifend: Am Widerstand der Finanzindustrie.

Vatican News: Sie hatten bei Ihrer Kampagne „Steuer gegen Armut“ massive Unterstützung von Bürgern, Banken, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen – sogar bis zu 60.000 Unterschriften bei der Online-Petition. Würden Sie sagen, dass auch hier die Finanzindustrie zu mächtig war, damit ihre Kampagne Früchte trägt?

„Dennoch wurden wir nicht ernstgenommen und belächelt, bis 2012 die Europäische Kommission plötzlich auf unsere Seite umschwenkte und einen wunderbaren Gesetzesvorschlag vorgelegt hatte, der sogar in einigen Punkten über unsere eigenen Vorstellungen hinausgegangen ist“

Alt: Na ja, man muss den Kontext sehen. Es ist noch nie gelungen, dass man der Finanzindustrie ein profitables Spielzeug aus der Hand nehmen konnte. Und als wir die Kampagne gestartet haben, waren selbst langjährige Aktivisten wie Attac skeptisch, ob dieser Anlauf gelingen könnte. Wir haben es trotzdem gewagt und aufgrund der Verärgerung über Bankenrettung und andere Programme im Zuge der Finanzindustrie haben wir sehr schnell sehr viele Bürger auf unser Seite gehabt. Dennoch wurden wir nicht ernstgenommen und belächelt, bis 2012 die Europäische Kommission plötzlich auf unsere Seite umschwenkte und einen wunderbaren Gesetzesvorschlag vorgelegt hatte, der sogar in einigen Punkten über unsere eigenen Vorstellungen hinausgegangen ist. In dem Moment ist die Finanzlobby erwacht und mit ihr jene, die vom bisherigen System profitieren. Die haben ihre Lobbymaschine angeworfen. Man sieht das allein schon daran, dass wir zwischen 2009 und 2012 riesige Fortschritte gemacht haben, aber ab dem Moment, wo es ernst zu werden drohte, die Finanzindustrie alles unternommen hat, um den Prozess zu minimieren, zu verlangsamen und zu verwässern. Schlussendlich ist es ihr eben gelungen, weil sie in Emmanuel Macron einen Präsidenten gefunden haben, der ihre Sicht der Dinge unterstützt.

„Wir haben schlicht keine Chance gegen die aktuelle politische Machtkonstellation“

Vatican News: Sie haben ja nun Ihre Kampagnentätigkeit eingestellt, nachdem die Finanztransaktionssteuer gescheitert ist. Ist nicht gerade jetzt die Zeit, sich noch einmal besonders zu engagieren?

Alt: Wir haben schlicht keine Chance gegen die aktuelle politische Machtkonstellation. Man muss ja auch das Kräfteverhältnis betrachten. Auf der Seite der Finanzindustrie und ihrer Lobbisten gibt es multi-millionen Budgets und sehr viele hochbezahlte und hochqualifizierte Experten, während eine Kampagne wie unsere nur mit bestehenden Kräften geführt werden kann, die nicht extra bezahlt werden, sondern eben solche Tätigkeiten neben ihrer regulären Arbeit machen. Wir können uns das schlicht und ergreifend nicht leisten. Wir waren sehr weit. Die Finanzindustrie hat gegen offene Türen geboxt und das Ohr der Politik gewonnen. Dagegen kommen wir schlicht und ergreifend nicht an. Wir haben ja gesagt, dass wir davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit zu einer weiteren Finanzkrise kommt. Wenn es wieder zu einer Finanz- und Bankenkrise kommt, haben wir ja immer noch den wunderbaren Vorschlag der Europäischen Kommission und das Verhandlungsergebnis aus der verstärkten Zusammenarbeit. Das können wir dann wieder aus der Schublade holen und wenn sich eben dieses Window of Opportunity neu öffnet, versuchen wir es wieder neu. Aber aktuell ist der Quark gegessen. Wir kommen nicht gegen eine geeinte Position von Deutschland und Frankreich an.

„Ich glaube durchaus, dass wir eine bessere Chance haben, wenn die nächste Finanz- und Bankenkrise kommt“

Vatican News: Herr Alt, Sie waren von 1994 bis 1997 Koordinator des Bundesdeutschen Initiativkreises für das Verbot von Landminen. Was war bei der Durchsetzung dieser Initiative anders und warum war diese Initiative erfolgreich – die Initiative „Steuer gegen Armut“ bedauerlicherweise nicht?

Alt: Das ist ein sehr guter Vergleich, weil die Landmienen-Kampagne war der erste Versuch der Zivilgesellschaft, den Militärs ein Spielzeug abzunehmen. Nämlich die Landminen; also unterschiedslos tötende Waffen. Und wie wir diese Kampagne gestartet haben, da hat auch jeder gesagt: „Lass es bleiben. Das schafft ihr nie.“ Die Militärs haben alles unternommen, um darzulegen, dass unterschiedslos tötende Waffen in der NATO-Strategie unersetzbar sind. Und doch haben wir es geschafft. Alles was ich damit sagen will, ist, dass der Erfolg und Misserfolg von solchen Kampagnen von vielen Sachen und Faktoren abhängt, die man nicht planen kann. Natürlich kann man sagen, und ich glaube durchaus, dass wir eine bessere Chance haben, wenn die Finanz- und Bankenkrise kommt. Aber ich wünsche es natürlich niemandem, dass es soweit kommt. Es ist aber nun mal so, dass wir es nicht geschafft haben aus der Krise von 2008 Profit zu schlagen und das müssen wir einfach akzeptieren.

(vaticannews - hs)

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05. Dezember 2018, 14:38