Umgang mit Missbrauchsfällen: Was sagt das Kirchenrecht?
Wichtigste Grundlage für das Vorgehen ist der Codex kirchlichen Rechts (CIC) von 1983, insbesondere der Strafrechtskanon 1395, Paragraf 2, der Sexualdelikte von Klerikern an Minderjährigen unter Strafe stellt. Nachdem bereits in den 1990er Jahren vereinzelt über Missbrauch und Misshandlungen berichtet wurde, war eine der ersten Rechtsreformen der Erlass „Sacramentorum sanctitatis tutela“ (Der Schutz der Heiligkeit der Sakramente), kurz „SST“ genannt, von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) im April 2001.
Der Erlass ersetzte Vorschriften von 1922 zu sexuellen Übergriffen in der Beichte. „Die Überzeugung, dass eine umfassende gesetzliche Regelung bezüglich des sexuellen Verhaltens von Personen mit Erziehungsverantwortung notwendig ist, ist sehr jung“, heißt es in einer Erläuterung der Glaubenskongregation von 2010.
Klärung bei der Glaubenskongregation
Wichtigste Neuerung in SST war die Anweisung, bei glaubhaften Vorwürfen die weitere Klärung von Fällen sexuellen Missbrauchs an die Glaubenskongregation nach Rom zu überweisen. Damit sollte eine mögliche Vertuschung vor Ort verhindert werden. Zudem wurde die frühere Altersgrenze für Minderjährigkeit von 16 auf 18 Jahre angehoben; die Verjährungsfrist stieg von 10 auf 20 Jahre, gerechnet ab dem 18. Geburtstag des Opfers. In schweren Fällen kann die Verjährung aufgehoben werden.
Papst Benedikt XVI. (2005-2013) aktualisierte 2010 den Erlass durch einen inhaltlichen und verfahrensrechtlichen Normenkatalog. Dabei wurde auch Kinderpornografie unter die sogenannten „delicta graviora“ gefasst.
Die Glaubenskongregation ist in Missbrauchsfällen sowohl Rechts- wie Fachaufsicht für Diözesanbehörden, begleitet und berät diese aber auch. Zuständig ist sie für alle Kleriker ab dem Diakonat. Für Verfahren gegen Ordensfrauen und Ordensbrüder sind deren Orden zuständig, für Laien mit kirchlicher Verantwortung die örtliche Diözese. Mit 17 Mitarbeitern ist die Disziplinarabteilung der Kongregation inzwischen die größte Abteilung.
Verwaltungsverfahren
Ist die Faktenlage relativ klar, wird ein Verwaltungsverfahren eingeleitet. Sind Aussagen von Täter, Opfern und Zeugen kontrovers und die Sachlage komplex, wird ein kirchliches Gerichtsverfahren eingeleitet: vor Ort, wenn dort die personellen und fachlichen Voraussetzungen bestehen, sonst im Vatikan.
Ein Verfahren in Rom dauert durchschnittlich ein knappes Jahr. Bei Fallzahlen wird unterschieden zwischen alten Fällen (seit längerem bekannt), neuen Fällen (länger zurückliegend, aber erst kürzlich bekannt geworden) und aktuellen Fällen. Zwischen 2014 und 2018 gab es im deutschsprachigen Raum etwa fünf aktuelle Fälle pro Jahr.
Als mögliche Strafen sieht das Kirchenrecht vor: die Einschränkung des Einsatzbereichs ohne Begegnung mit Kindern und Jugendlichen, etwa die Versetzung in ein Archiv oder Altenheim. Aber auch Wallfahrt und Gebete sind als Bußauflagen vorgesehen. Weiter gibt es das Verbot, Klerikerkleidung zu tragen, das Verbot priesterlicher Tätigkeiten in der Öffentlichkeit oder deren komplette Untersagung.
Die schwerste und bei Missbrauch am häufigsten verhängte Strafe ist die Entlassung aus dem Klerikerstand, unzutreffend oft Laisierung genannt. Eine Exkommunikation wäre im Fall sexuellen Missbrauchs unangemessen, weil sie nur eine Beugestrafe darstellt. Als solche muss sie sofort aufgehoben werden, sobald der Täter bereut, eine im Fall von Missbrauchsgefahr sinnlose Maßnahme.
Sorgfaltspflicht für Bischöfe und Ordensoberen
Weil bei der oft schleppenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen klar wurde, wie häufig Vorgesetzte Missbrauch vertuscht hatten, erließ Papst Franziskus im Juni 2016 eine Anordnung zur Absetzung von Bischöfen und Ordensoberen, die ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Benannt ist der Erlass nach den italienischen Anfangsworten „Come una madre amorevole“ (Wie eine liebende Mutter).
Zuständig sind in diesen Fällen die Vatikanbehörden für Bischöfe, Mission, Ostkirchen und Orden. Ein eigenes Gericht für Bischöfe, die Missbrauch vertuschen, wie es 2015 angekündigt worden war, kam nicht zustande.
Maßgeblich für den Umgang der Kirche vor Ort sind vor allem nationale Richtlinien der Bischofskonferenzen zur Prävention von Missbrauch sowie zur Intervention. Dazu gehören auch die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden und eine Meldepflicht.
Mit Blick auf die Weltkirche hatte der Vatikan im Mai 2011 die Bischofskonferenzen aufgefordert, ihre Richtlinien gemäß der „neuen Normen“ von 2010 zu überarbeiten oder – falls noch nicht geschehen – solche zu erlassen. Seit 2014 berät dabei auch die Päpstliche Kinderschutzkommission. Zum am Donnerstag beginnenden Gipfel im Vatikan hat die Glaubenskongregation eine Bestandsaufnahme dieser nationalen Richtlinien erstellt.
(kap – mg)
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