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Missbrauchsopfer - zu oft alleingelassen Missbrauchsopfer - zu oft alleingelassen 

Aufarbeitungs-Kommission: 1.700 Missbrauchsopfer, wenig Sensibilität

Dass der Kampf gegen Missbrauch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, finden Betroffene wie Experten. Die 2016 eingesetzte Aufarbeitungskommission legte nun ihre erste Bilanz vor. Sie zeigt: Die Gesellschaft muss sensibler werden. Entsprechende Maßnahmen sind in Arbeit.

Rund 1.700 Opfer von sexuellem Missbrauch haben sich bislang an die unabhängige Aufarbeitungskommission gewandt - die Hälfte in vertraulichen Gesprächen, fast 300 schriftlich. 83 Prozent von ihnen sind Frauen. Das geht aus einer Bilanz der ersten drei Arbeitsjahre des Gremiums hervor, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Die bisherigen Schwerpunkte waren Missbrauch in der Familie, in der DDR, in Kirchen und in rituellen Strukturen. 56 Prozent der Betroffenen seien in ihren Familien missbraucht worden, sagte die Vorsitzende der Kommission, Sabine Andresen. Dass die Familie somit der häufigste Missbrauchskontext ist, tritt laut Kommissionsmitglied Peer Briken seit dem Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche in den Hintergrund.

Oft nur Schweigen und Widerstände

Seit 2016 untersucht die Kommission Ausmaß und Folgen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Bundesrepublik und in der DDR. Betroffene berichteten demnach von sexualisierter Gewalt in der Familie, im sozialen Umfeld, in der Schule, in Heimen, in der Kirche, beim Sport oder in weiteren Freizeiteinrichtungen. Angestoßen wurde und werde Aufarbeitung und Aufdeckung von Missbrauch in aller Regel durch Betroffene selbst. Dabei stießen sie jedoch als Kinder und auch als Erwachsene auf Widerstände. „Vielfach sprechen Betroffene schon als Kinder, aber sie werden nicht gehört", so Andresen. Für solche Fälle müsse die Gesellschaft sensibilisiert werden, erklärt sie.

Neue Schwerpunkte, große Ziele

In diesem Jahr würden Schwerpunkte der Kommission auf die Aufarbeitung von Missbrauch im Sport, an Menschen mit Behinderungen und im Rahmen der sogenannten Pädosexuellenbewegung gesetzt, erklärte Andresen. Zudem sollen im Herbst Eckpunkte zur Aufarbeitung in Institutionen vorgelegt werden. Politisch fordern die Experten mehr Fachberatungsstellen, Therapien und Hilfen zur Wiedereingliederung in die Arbeitswelt für Betroffene. Auch solle es Schutzkonzepte für alle Einrichtungen geben, denen Kinder und Jugendliche anvertraut werden. Und Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz sollten leichter zugänglich sein.

Zuspruch aus der Politik

Die Arbeit der Kommission sei „von großem Wert für unsere Gesellschaft", sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Sexualisierte Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche gingen die gesamte Gesellschaft an. Sie unterstütze die Forderungen nach besseren Schutzkonzepten, einer noch aktiveren Aufarbeitung in Institutionen und öffentlicher Anerkennung des geschehenen Unrechts. Auch aus dem Bundestag wurde Unterstützung zugesagt: Unionsfraktionsvize Nadine Schön (CDU) sagte, Hilfesysteme müssten ausgebaut und Präventionsangebote gestärkt werden. Der SPD-Rechtsexperte Johannes Fechner forderte eine Fortbildungspflicht für Familienrichter und Einrichtungen, in denen Opfer Verletzungen gleich nach der Tat gerichtsfest feststellen lassen können. Grünen-Fraktionsvize Katja Dörner verlangte, Fachkräfte in der Kinder- und Jugendbetreuung wie auch Lehrer fortzubilden.

Große Kampagne ab 2020 geplant

Im Bereich der beiden großen Kirchen unterstützt mittlerweile eine beim Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, angesiedelte Arbeitsgruppe die Aufarbeitung. Dieser erklärte, er wäre sehr froh, wenn die Politik ihr Mitgefühl beim Thema Missbrauch auch materiell unter Beweis stellen würde. Er setze sich zusammen mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) dafür ein, dass 2020 eine große Kampagne starte, sagte Rörig am Mittwoch bei der Vorstellung des Bilanzberichts. Nur noch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) müsse zustimmen, dann könne die umfassende Kampagne mit fünf Millionen Euro im Jahr starten. Die Leistungen für die soziale Entschädigung Betroffener sollten Rörig zufolge erhöht und die Verfahren sensibler durchgeführt werden.

Insgesamt müsste in die Sensibilisierung der Gesellschaft mehr investiert werden, verlangt der seit 2011 „Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“, der erst vor Kurzem für weitere fünf Jahre in diesem Amt bestätigt wurde.

(kna - ap)

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03. April 2019, 15:41