D: Benediktinerinnen gründen Hildegard-Akademie
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
Die Hildegard-Akademie entstand auf eine gemeinsame Initiative von Schwester Maura Zátonyi, Hildegard-Forscherin und Vorsitzende des Akademievereins, und des österreichischen Kurienpriesters Michael Weninger, der im Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog arbeitet. Wir sprachen mit Schwester Maura Zátonyi und fragten sie zunächst nach den Anliegen der neuen Akademie.
Schwester Maura Zátonyi: „Mit der Akademie verbinden wir eigentlich ein dreifaches Anliegen. Zuerst möchten wir die Hildegard-Forschung hier in der Abtei institutionalisieren und ein Fundament geben. Dann möchten wir, was wir in der Forschung gewonnen haben, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Das ist die Kunst der Übersetzung von Wissenschaft in die Bildung, in die Gesellschaft hinein. Und das möchten wir, das ist schon unser drittes Anliegen, im Horizont der heutigen Herausforderungen machen. Das Herzensanliegen ist die Einheit Europas, unser gemeinsames Europa. Deshalb betreiben wir die Vermittlung der Forschung in die Gesellschaft in einer europäischen Dimension. Das nennen wir, weil wir die Akademie hier in einer Benediktinerinnenabtei gründen, eine europäische Spiritualität, die ihre Wurzeln in der benediktinischen Spiritualität, in der benediktinischen Tradition hat.”
Vatican News: Was würden Sie heute als die vielversprechendsten Ansätze in der Hildegard-Forschung bezeichnen? Hildegard hat ja ein breites wissenschaftliches und spirituelles Werk hinterlassen.
Schwester Maura Zátonyi: „Gerade die ganze theologische Erschließung des Werks kann nicht wirklich abgeschlossen werden. Hildegard als Kirchenlehrerin zu würdigen, ist immer noch eine Aufgabe, die aktuell ist. Durch die Akademie ist ein Grundsteinprojekt entstanden, das wirklich das Fundament bildet, nämlich die Gesamtbibliografie zu erfassen.“
Vatican News: Wie viele Werke hat uns Hildegard von Bingen eigentlich hinterlassen?
Schwester Maura Zátonyi: „Oh, das kann ich gar nicht sagen! Bei Hildegard ist es das Interessante, dass sie so ein breites Spektrum an Werken verfasst hat. Wir nennen als erstes immer ihre drei Hauptwerke. Das sind drei Visionsschriften. „Scivias“ – das wird übersetzt „Wisse die Wege“, aber das ist eigentlich das „Buch der Wegweisung“. Das zweite Werk ist das „Buch der Lebensverdienste“ und das dritte ist das Buch „Von den göttlichen Werken“. Dann hat sie Briefe geschrieben, die zu einem Briefbuch zusammengestellt sind. Sie hat Lieder komponiert und Evangelien ausgelegt. Was man von Hildegard am meisten kennt, ist die Naturheilkunde. Aber da ist die Forschung noch nicht ganz abgeschlossen, inwieweit das von Hildegard kommt.“
Vatican News: Was wäre dazu Ihre Einschätzung?
Schwester Maura Zátonyi: „Ich würde sagen, das meiste ist eher ihr zugeschrieben und nur der Kern ist von ihr, aber nicht alles, was man heute als Hildegard-Rezepte und unter ihrem Namen verkauft.“
Vatican News: Frauen und Wissenschaft, das ist eine Verbindung, die uns heute ganz zeitgemäß vorkommen mag, die aber Hildegard von Bingen im deutschen Hochmittelalter ganz wesentlich mitgeprägt hat. Was lehrt uns Hildegard heute über das Wissenschaftlerin-Sein?
Schwester Maura Zátonyi: „Sie hat sich eigentlich nicht als Gelehrte verstanden, sondern sie hat immer gesagt, sie ist eine „indocta“, eine ungelehrte Frau. Aber das könnte sie uns eigentlich lehren, dass sie trotz dieses Mangels an „offizieller Ausbildung“ den Mut hatte, mit dem, wovon sie überzeugt war, an die Öffentlichkeit zu treten. Auch ohne offizielle Beauftragung hatte sie den Mut, wenn sie gespürt hat, „ja, da muss ich etwas sagen und da gibt es eine Herausforderung und auf diese möchte ich irgendwie reagieren“, als Frau aufzutreten. Sie hat nicht einmal überlegt, ob sie jetzt Rechte hat oder nicht. Sie war einfach von ihrer Sendung, einem Sendungsbewusstsein erfüllt. Sie tat, was die Stunde verlangte.“
Vatican News: Papst Franziskus hat mehrfach eine vertiefte „Theologie der Frau“ angeregt. Sieht sich Ihre Akademie in Zusammenhang mit diesem Auftrag? Ist es eine „feministische“ Akademie?
Schwester Maura Zátonyi: „Nein, wir verfolgen dabei eigentlich Hildegards Streben. Hildegard hat mit Männern prächtig zusammengearbeitet. Es geht nicht um feministische Theologie, sondern einfach um Theologie in allen Facetten und in Zusammenarbeit. Gerade, wo Männer und Frauen sich austauschen, kommen die zündenden Ideen. Wenigstens bin ich davon überzeugt oder das ist meine Erfahrung.“
Sehen Sie etwas, zu dem die Akademie etwas beitragen kann, die Theologie der Frau zu vertiefen, das Frausein in der Kirche?
Schwester Maura Zátonyi: „Ja - dadurch, dass wir das so darstellen können, dass Hildegard als Frau im Mittelalter kein Problem hatte, theologische Werke zu verfassen. Es wird auch überliefert, sie habe Predigtreisen unternommen und in großen Kirchen gepredigt. Man darf sie als Beispiel nehmen, dass man sich entspannt und nicht krampfhaft um Frauenthemen kümmert, sondern wirklich das tut, was die Stunde verlangt, womit man auch Menschen helfen kann.“
Es war Papst Benedikt XVI., der Hildegard 2012 heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben hat. Er bezeichnete sie als „wahre Lehrerin der Theologie”. Was hat der deutsche Papst damit aus Ihrer Sicht angestoßen?
Schwester Maura Zátonyi: „Ja, das ist eine sehr große Auszeichnung. Hildegard hat, gerade dadurch, dass sie keine akademische Laufbahn hinter sich gebracht hat, vom Herzen heraus Theologie gemacht, wenn man das jetzt so zugespitzt sagt. Sie hat von der heiligen Schrift aus Vergangenheit und Gegenwart gedeutet und auch in die Zukunft geschaut, nicht im Sinne von Vorhersagen, nein, sondern der Deutung der Zeitgeschichte und der Heilsgeschichte. Das tat sie jetzt nicht vom Schreibtisch oder vom Lehrstuhl her, sondern aus ihrem geistigen und benediktinischen Leben heraus. Das ist eine große Lehre. Da kann sie uns Lehrmeisterin werden auch in der Theologie, wie Leben und Lehre zusammenhängen.“
Eröffnung in Eibingen
Zur Eröffnung des „Zentrums für Wissenschaft, Forschung und europäische Spiritualität" am siebten Jahrestag der Heiligsprechung Hildegards werden unter anderem Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) sowie der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann und die Weihbischöfe Udo Benz (Mainz) und Thomas Löhr (Limburg) erwartet. Der eingetragene Verein „St. Hildegard-Akademie Eibingen“ zählt 15 Gründungsmitglieder. Im Vorstand ist unter anderem die Eibinger Benediktinerin Philippa Rath vertreten.
(vatican news – gs)
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