D: Ordensobere beschließen eigene Missbrauchsstudie
Das Kölner Domradio sprach mit der Vorsitzenden der Deutschen Ordensoberenkonferenz, Schwester Katharina Kluitmann.
DOMRADIO.DE: Ihre Konferenz vertritt rund 18.000 Frauen und Männer in Deutschland, die in Orden leben. Wie wird denn der Aufarbeitungsprozess zu sexuellem Missbrauch, der gerade läuft, bewertet?
Sr. Katharina Kluitmann (Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz und Provinzoberin der Franziskanerinnen von Lüdinghausen): „Wir sind seit 2010 intensiv in verschiedenen Prozessen. Aber ich glaube, dass das jetzt nochmal durch die große Bandbreite an Referaten, die wir auf einem anderthalbtägigen Studientag gehört haben, eine eigene Dynamik bekommen hat. Wir wissen ziemlich gut, was wir als Ordensobernkonferenz getan haben. Wir wissen noch häufig zu wenig, was in den einzelnen Gemeinschaften passiert.
Seit die MHG-Studie (interdisziplinäres Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“; Anm. d. Red.) herausgekommen ist, wird uns von Fachleuten immer wieder gesagt: Ihr könnt nicht so eine Studie für die Ordensgemeinschaften machen wie die MHG-Studie, weil die Ordensgemeinschaften so extrem unterschiedlich sind: Männergemeinschaften, Frauengemeinschaften, eher klausurierte Gemeinschaften, die eher im eigenen Bereich bleiben, Gemeinschaften mit großen Institutionen, ganz kleine Gemeinschaften, große Gemeinschaften... Das macht keinen Sinn, wenn ihr da eine Studie macht. Da kommt wissenschaftlich nichts Valides heraus.
Die Mitgliederversammlung hat aber gesehen, dass irgendetwas passieren muss. Und so haben wir uns einstimmig für eine Erhebung entschieden, die die Gemeinschaften nach all diesen Aspekten untersucht: Wie viele Betroffene haben sich bei ihnen gemeldet? Was haben sie gezahlt? Wie geht ihre Präventionsarbeit? Haben sie einen Missbrauchsbeauftragten? All diese Dinge werden wir jetzt erfragen. Und in diesem Rahmen wird es auch um die Frage gehen, inwiefern sie von Betroffenen in ihrer eigenen Gemeinschaft wissen. Diese Betroffenen können natürlich als Minderjährige missbraucht worden sein, also vor ihrer Zeit im Orden, oder eben auch als Ordensfrauen und gegebenenfalls auch als Ordensmänner.“
DOMRADIO.DE: Wenn man solche Ergebnisse vorliegen hat - wann rechnen Sie damit, dass das ausgewertet ist?
Sr. Katharina: „Wir hoffen, Anfang nächsten Jahres.“
DOMRADIO.DE: Und was kann man dann tun?
Sr. Katharina: „Das eine ist, dass wir dann - so glaube ich - nach innen besser wissen, an welchen Ecken wir weiter entweder forschen oder fortbilden oder fördern können und müssen. Das also gehört zu der Frage: Wie kann die Deutsche Ordensobernkonferenz den Ordensgemeinschaften helfen? Das andere ist, dass wir diesen Prozess transparent gestalten werden, auch für die Öffentlichkeit. Und dass wir das auch sicher nicht alleine tun, sondern mit Fachleuten - das heißt bei uns immer mit Wissenschaftlern und mit Betroffenen.“
DOMRADIO.DE: Könnte dabei auch die Frage herauskommen, ob sich bei den Orden im Grundprinzip eigentlich was ändern muss und wie weit solche Änderungen gehen müssten?
Ängste und Befreiungspotential
Sr. Katharina: „Die Frage ist schon sehr deutlich auf dem Tisch gewesen. Die ist sehr erschreckend, die führt auch zu Ängsten, aber sie hat auch ein hohes Befreiungspotenzial. Gerade der heutige Vortrag von Pater Zollner (Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und Leiter des Centre for Child Protection, CCP; Anmd. d. Red.) hat sehr deutlich gezeigt: Das wird Konsequenzen haben auch für das gesamte kirchliche Gefüge und auch für das Gefüge in den Orden. Wie ist Gehorsam zu leben, wenn es geistlichen Missbrauch gibt? Was heißt Keuschheit im Feld von sexuellem Missbrauch? Also das ist uns sehr bewusst, und ich würde sagen darin liegt sogar eine Chance für die Kirche.“
DOMRADIO.DE: Eine Folge des Missbrauchsskandals ist ja die Protestbewegung Maria 2.0, die mehr Rechte für Frauen in der Kirche fordert und auch rückhaltlose Aufklärung des Missbrauchs. Sehen Sie so eine ähnliche Bewegung im Bereich der Orden?
Sr. Katharina: „Ich glaube, dass es im Moment insgesamt in der Kirche eine Dynamik gibt, die von Maria 2.0 aufgenommen worden ist. Die Form von Maria 2.0 ist sicher nicht die Form für jeden.
Ich finde das Interview einer Schwester sehr bezeichnend, die gesagt hat es sei ein geistlicher Hungerstreik, und das eher negativ konnotiert hat. Ich würde sagen, wenn man zu einem geistlichen Hungerstreik greift, dann heißt das, man hat den Eindruck „bisher ist nicht genug passiert, und die normalen Formen des Protestes sind nicht gehört worden“. Das ist sicher nicht die Form, die die Mehrheit der Ordensleute, auch nicht der Ordensfrauen unterschreiben würde. Aber dass es zu strukturell großen Veränderungen in dieser Kirche kommen wird und kommen muss, ich glaube, da kann man sich relativ bald einig werden.“
(domradio – sk)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.