Merkels 65. Geburtstag: „Feste Verwurzelung im Glauben“
„Zunächst einmal ist sie blitzgescheit, sehr intelligent. Sie erfasst Problemstellungen in Windeseile, durchdringt sie auch in der Tiefe und versucht dann, frei von ideologischem Überbau, die aus ihrer Sicht besten Lösungen herbeizuführen.
Dazu ist sie eine sehr humorvolle Frau. Im kleinen Kreis kann sie geradezu den Alleinunterhalter mimen. Sie kann Leute auch wunderbar nachmachen. Und man merkt auch, dass sie eine feste Verwurzelung im christlichen Glauben hat. Das sind drei Dinge, die mir als hervorstechend bei ihr auffallen.“
Die Kanzlerin ist die Tochter eines protestantischen Pfarrers; sie bekennt sich immer wieder, allerdings auf ihre gewohnt nüchterne Art, zum christlichen Glauben. Jüsten findet, dass man ihr die christliche Prägung durchaus abspürt.
„Zunächst einmal merkt man es natürlich an der Art und Weise, wie sie Menschen begegnet: immer sehr vornehm, sehr wertschätzend. Selbst Menschen gegenüber, die ihr persönlich schwer zugesetzt haben, bleibt sie immer sehr freundlich. Das, denke ich, ist sicher ein Teil ihrer Prägung aus dem Geist der christlichen Nächstenliebe heraus. Außerdem merke ich, dass sie es sich nicht leicht macht, wenn es um schwere oder große ethische Fragestellungen geht, bei denen man als Christ eine Gewissensentscheidung treffen muss.“
Als Leiter des Katholischen Büros in der deutschen Hauptstadt arbeitet Jüsten genau an der Schnittstelle zwischen Politik und Kirche. Da gibt es natürlich immer wieder auch Momente, wo er sich gewünscht hätte, dass die Kanzlerin mehr an den christlichen Prinzipien festhalten würde.
„Ja, da habe ich sogar einen aktuellen Fall und zwar das Thema Organspende. Da ist sie für die doppelte Widerspruchslösung eingetreten, die Gesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagen hat. Die halten wir für falsch, weil sie gegen die Autonomie des Menschen ist. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir eine Entscheidung finden, wo der Mensch sich immer wieder selber entscheiden muss, ob er Organspender sein möchte oder nicht. Das kann nicht vom Staat vorgegeben werden. In dieser Stelle hatte ich mit der Kanzlerin einen Dissens.“
Muttis letzter Coup?
Dass Ursula von der Leyen am Dienstagabend zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt worden ist, dürfte ein schönes Geburtstagsgeschenk für Merkel sein. „Das war Muttis letzter Coup“, titelt eine deutsche Zeitung an diesem Mittwoch. Aber Jüsten ist sich, wie er sagt, nicht so sicher, ob diese Schlagzeile Recht hat.
„Es wurde schon oft geschrieben, dass Merkel am Ende sei. Wer das glaubt, der unterschätzt Frau Merkel immer wieder. Das ist wahrscheinlich ihr hervorstechendstes Merkmal, dass Journalisten sie immer wieder unterschätzen.
Trotzdem ist das ein toller Erfolg, nicht nur für sie, sondern für die EVP insgesamt - für die Christlich Demokratische Union. Gestern war ja sowieso der Frauen-Power-Tag in der CDU. Die Bundeskanzlerin setzt sich durch, Frau von der Leyen hält eine großartige Rede. Sie ist ja volles Risiko gefahren: Sie hat auf die Stimmen der Rechten verzichtet, um in der Mitte Stimmen zu holen. Das ist ein großartiges Ergebnis, was sie erzielt hat. Deshalb verstehe ich gar nicht, warum manche ihrer Kolleginnen und Kollegen rumnörgeln, dass es nur so wenige Stimmen seien. Sie hat mit Haltung gewonnen. Das ist sicher für die CDU sehr wichtig.“
Ein Paradigmenwechsel
Mut habe jetzt auch CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer bewiesen, weil sie bereit sei, Verteidigungsministerin zu werden. „Das sind sehr wichtige Ereignisse - für die Union, aber auch für Deutschland. Wenn man sich vorstellt, dass die wesentlichen Posten, die Deutschland zu vergeben hat, jetzt von Frauen regiert werden - das ist ein Paradigmenwechsel. Den hätten viele der CDU so nie zugetraut. Viele hätten sicher gedacht, das würde nur eine rot-grüne Regierung hinkriegen…“
Für Diskussionen sorgt im Moment der Gesundheitszustand Merkels – Stichwort Zitteranfälle. Prälat Jüsten weist darauf hin, dass die Kanzlerin letztes Jahr im Sommer „keinen richtigen Urlaub gemacht“ habe. „Das merkt man natürlich dann schon, wenn man über einen längeren Zeitraum keine richtige Auszeit hat - und das auch mit der Belastung dieses Amtes.“
Am Freitag letzter Woche habe er bei einem Treffen für Entwicklungshelfer und Friedensdienste neben Frau Merkel gesessen, erzählt Jüsten. „Um es mal so zu sagen: Ich wünsche Frau Merkel den Urlaub jetzt sehr, damit sie sich mal erholen und im wahrsten Sinne des Wortes entspannen kann. Und wenn diese Entspannung eintritt, hört vielleicht auch das Zittern auf.
Ich wünsche ihr jedenfalls auch am heutigen Tag viel Gesundheit, Kraft und Gottes Segen und dass sie dieses Amt für die Zeit, die sie sich noch vorgenommen hat - die nächsten zwei Jahre - für unser Land und für Europa gut ausfüllen kann.“
Zu Merkels 65. Geburtstag gratulieren auch der katholische und der evangelische Bischof von Berlin, Heiner Koch und Markus Dröge. Koch würdigt ihren „hohen persönlichen und politischen Einsatz, gerade auch als Christin“; Dröge schreibt: „Sie halten diesen Kontinent zusammen“. Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, lobt an ihr „den visionären Blick, das entschlossene Handeln und die klaren politischen Entscheidungen“.
(domradio/vatican news – sk)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.