Unser Sonntag: Grüßen kostet Zeit
Bernhard Schröder
Lk 10, 1-12.17-20
Liebe Schwestern und Brüder !
"Bittet den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte zu senden" (Lk 10,2). Mit diesem Imperativ deutet Jesu an, dass die Jünger nur das ihre tun können, den Erfolg kann nur allein Gott ermöglichen, der Herr der Ernte. Ja, und dann folgt die dramatische Beschreibung, dass die Boten wie Schafe mitten unter die Wölfe geschickt werden. Der Auftrag ist schwer, kann gefährlich, lebensgefährlich werden: Widerstand, Hass, Verfolgung, Martyrium - wie sich später zeigen wird - müssen ins Kalkül gezogen werden. Auch der Weg des Aussendenden, Jesus, war der Weg zum Kreuz. Im Unterschied zu den stoischen Wanderphilosophen, die einen Philosophenmantel trugen, einen kleinen Bettelsack dabei hatten sowie ein kleines Brot für Notfälle, war den Jesus-Boten weder Geldbeutel noch Vorratstasche erlaubt. Eine radikale Forderung nach Armut und Bedürfnislosigkeit; die Jünger sollten nur sich selbst und ihre wichtige Botschaft mitbringen. Nicht einmal Sandalen - eigentlich bei langen Wegen in Palästina unentbehrlich – durften getragen werden. Unverständlich für unsere Empfindungen erscheint zunächst die Weisung Jesu, das Grüßen zu unterlassen. Dabei ist nun zu bedenken, dass Grüßen im Orient wesentlich mehr ist als ein Höflichkeitsgestus. Die Orientalen praktizieren bei einer Begegnung einen regen, intensiven Austausch, diskutieren, machen Geschäfte und gehen manchmal auch mit in die Behausung und genießen ausgiebig die dargebotene Gastfreundschaft. So ist Grüßen ein Vorgang, der enorm viel Zeit kostet. Der Abgesandte soll aber durch nichts von seinem Auftrag aufgehalten werden; keine Verzögerung darf sein Vorhaben in die Länge ziehen. So wie bereits im Alten Testament Elischa seinen Diener Gehasi, der das tote Kind der Schunemiterin erwecken sollte, ermahnt: „Mach dich auf den Weg. Wenn du jemand begegnest, so grüße ihn nicht; und wenn dich jemand grüßt, so antworte ihm nicht“ (2 Kön 4,29). Gehasi sollte ebenfalls keine Zeit verlieren, da es um Leben und Tod ging.
„Die Mutter aller Güter ist der Friede“, formulierte Johannes Chrysostomus.
Frieden bedeutet das Heilsein in seiner ganzen Fülle
Die Boten sollen beim Betreten einer Wohnstatt als erstes den Frieden wünschen. Frieden in der Bedeutung der Heiligen Schrift ist nicht nur das Fehlen von Krieg und Streit, sondern vor allem das Heilsein in seiner ganzen Fülle. So ist der Friedensgruß wie ein Schlüssel, der die Herzen der Menschen für die Frohe Botschaft weit öffnet. Die Jünger sollen in diesem Haus bleiben; das Haus ist im damaligen Verständnis nicht nur das Gebäude, sondern vor allem auch die Großfamilie, die gesamte Sippe einschließlich aller Bediensteten. Die Aufnahme in ein Haus bedeutet „Hineingenommensein“ in die Gemeinschaft. Damit ist eine wichtige Voraussetzung geschaffen für Vertrauen als Grundlage für die Verkündigung ebenso auch für die
Notwendigkeiten des alltäglichen Lebens. „Esst und trinkt, was man euch anbietet“ (Lk10,7), ist ein weiteres Wort aus dem Munde Jesu.
Ohne besondere Ansprüche und Wünsche sollen die Boten bescheiden und zufrieden sein. Andererseits sollen sie keine Bedenken haben, die Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, da - wie Jesus es sagt - der Arbeiter einen Anspruch auf seinen Lohn hat. Das untersagte Umziehen von einem Haus in ein anderes erzeugt Unruhe, zeigt Unstetigkeit, erinnert an Bettler und würde leicht vom erteilten Auftrag ablenken. Zur Wortverkündigung gehört das Heilen. Deshalb die Aufforderung: „Heilt die Kranken, die dort sind“ (Lk 10,9).
Ebenso ist die Verkündigung des Reiches Gottes ein wesentlicher Inhalt der Jünger-Botschaft, entsprechend der ersten Predigt Jesu, der nach Markus sofort zu Beginn seines öffentlichen Auftretens programmatisch ausgerufen hat: „Die Zeit ist erfüllt; das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15).
Eingeschrieben im Gedenken Gottes...
Das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes ist der bedeutendste Begriff der Jesus-Verkündigung in den Schriften des Lukas: 46 mal taucht er in seinem Evangelium und 8 mal in der von ihm verfassten Apostelgeschichte auf. In seiner Aussendungsrede zieht Jesus realistisch auch in Betracht, dass seine Boten in einer Stadt abgelehnt werden. In diesem Fall sollen sie vor ihrem Weggang den Staub von ihren Füßen abschütteln, ein Hinweis auf den Staub der sich in den Kleidern und an den Füßen festgesetzt hat: Alles, selbst der Staub, soll zurückgelassen werden, eine totale Trennung. Und dann folgt der Vergleich mit der Stadt Sodom, die Stadt der Sünde schlechthin. In ihr wurde die Gastfreundschaft aufs bitterste verletzt (Gen 19,1.11), deshalb wurde sie zerstört. Natürlich haben die Jünger auch Erfolg. Und so schreibt Lukas, dass die Zweiundsiebzig voll Freude nach getanem Dienst zurückkehren und berichten, dass ihnen sogar die Dämonen gehorchen. Jesus gibt ihnen die Zusage, dass selbst Schlangen und Skorpione, lebensgefährliche Tiere, ihnen nichts anhaben können. Und die Freude der Glaubensboten soll darin gipfeln, dass ihre Namen im Himmel verzeichnet sind. Dazu führt ein gewisser Theophylactus im 8. Jahrundert so eindrücklich aus „...nicht mit Wachs gemalt, nicht mit roter Tinte eines Kaisers, sondern eingeschrieben im Gedenken Gottes und seiner Gnade“.
Kein Schielen nach dem Zeitgeist
Jeder Christ ist Jüngerin und Jünger Jesu. Und durch Taufe und Firmung dazu beauftragt, den Glauben zu leben und zu bezeugen - als Mutter und Vater, als Großeltern und Paten, als Lehrer und Katechetin, am Arbeitsplatz, im Freudendeskreis, bei Verwandten, in der Nachbarschaft. Dabei sollen auch wir als Boten zu allererst uns selbst mitbringen. durch unser Leben, durch unser
Vorbild, dadurch, wie wir reden und handeln. Das persönliche Glaubenszeugnis, die persönliche Begegnung und vertrauensvolle Ansprache sind heute genauso wichtig wie zur Zeit Jesu. Dafür sollten wir Kraft und Zeit investieren. Das erreicht die Menschen weitaus eher und wirkmächtiger als der Inhalt voller Aktenordner mit Pastoralkonzepten, als die Ergebnisse langer Sitzungen der immer mehr werdenden Gremien und Arbeitskreise und als die Strategien der stets größer werdenden Verwaltungen in den Bischöflichen Ordinariaten. Vieles ist gewiss gut gemeint, manches vielleicht unumgänglich, aber das Verzetteln, in das die Orientalen so leicht beim Grüßen verfallen, hält unnötig auf und führt nicht zum Ziel.
Wir können manches tun, aber letztlich ist Gott der „Herr der Ernte“.
Wie Jesus weiß, muss auch heute der Jünger Jesu mit Ablehnung seiner Botschaft rechnen. Das Schielen nach dem Applaus des Zeitgeistes und der Medien kann unserem Auftrag seine Ursprungskraft nehmen. Jesus will uns im heutigen Evangelium von neuem die Kraft schenken, seine Botschaft mit Freude, aber ohne Aufdringlichkeit zu verkünden und so seinen Frieden, das heißt sein Heil, den Menschen zu bezeugen.
Im Gotteslob heißt es in einer Liedstrophe
„Gib den Boten Kraft und Mut,
Glauben, Hoffnung, Liebesglut,
und lass reiche Frucht aufgeh‘n,
wo sie unter Tränen sä‘n.
Erbarm dich, Herr.“
(vatican news - claudia kaminski)
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