D: Tiere als Ersatzteillager ethisch vertretbar
DOMRADIO.DE: „Japan erlaubt Geburt von Mischwesen aus Mensch und Tier“. Diese Schlagzeile kann einem gehörig Angst machen. Passt das denn überhaupt zu dem Sachverhalt, der da gerade diskutiert wird?
Andreas Lob-Hüdepohl: Ich meine nicht. Es sollen ja keine Monster entstehen, sondern schlicht Tiere, in denen bestimmte menschliche Organe zur Reife gelangen, die dann später transplantiert werden sollen. Da handelt es sich um Xenotransplantationen, die schon jetzt möglich und auch gerechtfertigt sind. Denken Sie beispielsweise an die Herzklappen von Schweinen, die transplantiert werden.
DOMRADIO.DE: Wenn in Tieren menschliche Organe gezüchtet werden können, die danach dann transplantiert werden und kranken Menschen helfen können, dann ist das doch ein großer medizinischer Fortschritt?
Lob-Hüdepohl: Grundsätzlich stimme ich allen zu, die das als ein sehr hochrangiges Ziel betrachten. Dennoch ist nach meinem Dafürhalten eine große Vorsicht geboten. Deshalb sehe ich auch die genehmigten Versuche eher skeptisch. Denn zum jetzigen Zeitpunkt ist gerade noch nicht auszuschließen, dass genau in diesem Tierembryo die injizierten menschlichen Stammzellen auch Veränderungen auslösen, die nicht nur eine Bauchspeicheldrüse oder das erwünschte Organ zur Entwicklung bringen, sondern sich auch auf das Hirn oder möglicherweise auf die Keimbahn auswirken und damit im Embryo Fähigkeiten sehr ähnlicher Art zum Menschen heranreifen.
Und dann haben wir tatsächlich eine große Ähnlichkeit zu einem Menschen, die nicht so einfach zu unterscheiden ist. Und das gilt es auszuschließen. Bevor das nicht ausgeschlossen werden kann, halte ich eigentlich ein solches Vorgehen, was dem Grunde nach durchaus gerechtfertigt sein mag, für nicht verantwortbar.
DOMRADIO.DE: Ihr evangelischer Kollege, der Vorsitzende im Deutschen Ethikrat, dem Sie ja auch angehören, Peter Dabrock, sagte gestern in den Tagesthemen, er sehe diese Möglichkeit als Chance für die vielen Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Hat er Recht?
Lob-Hüdepohl: Er hat darin schon Recht, aber nochmals: Ich wiederhole meine Skepsis. Wenn die großen Risiken gebannt werden könnten – das weiß man aber derzeit nicht – dann würde ich Peter Dabrock Recht geben. Ich würde sogar noch über ihn hinausgehen. Denn die große Hoffnung besteht ja darin, dass mit den solcherart gewonnenen oder auch gezüchteten Organen ein großes Risiko bei jeder Transplantation verringert werden kann, das darin besteht, dass ein artfremdes Organ große Abstoßungsreaktion auslösen kann.
Wenn man sozusagen das menschliche Organ in einem Tierembryo von dem zukünftigen Empfänger her entwickelt und dessen pluripotente Stammzellen nutzt, dann könnte man das Abstoßungsrisiko verringern. Das wäre ein sehr hochrangiges und wichtiges Ziel. In diesem Punkt stimme ich Peter Dabrock zu, aber nochmals: Das kann die große Skepsis gegenüber dem Verfahren nicht von vornherein ausschließen. Deshalb rate ich doch etwas zur Vorsicht.
DOMRADIO.DE: Man muss also ausschließen können, dass das Tier, das die Organe für den Menschen austrägt, nicht zu einem Mischwesen zwischen Mensch und Tier wird. Kann man das überhaupt ausschließen? Wie soll das gehen? Und ist das Tier mit einem menschlichen Organ nicht schon so etwas?
Lob-Hüdepohl: Wenn es nur bei diesem menschlichen Organ – es handelt sich ja nicht um das Hirn, damit hätte man zum Beispiel große Schwierigkeiten, weil eine große Ähnlichkeit zum Menschen heranreifen würde – nur bei einer Niere, einer Bauchspeicheldrüse bleibt, dann wäre die Übereinstimmung mit der menschlichen Art viel zu gering. Da würde man sagen können, das wäre kein Risiko.
Aber je näher wir an solche Eigenschaften kommen, die typisch menschlich sind, und das sind das Hirn als das organische Substrat für Bewusstsein oder die Keimbahn eines Tieres, dann hätten wir eine große Ähnlichkeit zu einem Menschen. Dann käme es zu einer Mensch-Tier-Chimäre. Das hielte ich tatsächlich für ethisch hoch bedenklich. Aber nochmals: Wenn es sich wirklich begrenzen ließe auf das eine Organ, sehe ich da auch keine nennenswert großen Probleme.
DOMRADIO.DE: Wie weit sind wir denn mit der Forschung? Sind Tiere jetzt schon eine Art menschliches Ersatzteillager?
Lob-Hüdepohl: In bestimmten Bereichen längst. Ich hatte ja schon auf die Herzklappen von Schweinen oder beispielsweise die Produktion von Humaninsulin hingewiesen. Das gibt es bereits schon. Das ist jetzt eine neue Variante mit großen Zukunftsoptionen, die aber auch qualitativ anders ist, als wenn man sozusagen im Rahmen einer sogenannten Xenotransplantation rein tierisches Gewebe oder Organ in den Menschen einpflanzt. Das macht man heute schon in bestimmten Fällen, wo es eine Verträglichkeit gibt und das ist im Grundsatz auch gerechtfertigt.
DOMRADIO.DE: Wir diskutieren hier die ganze Zeit über den Schutz des menschlichen Lebens. Wie sieht das denn mit den Tieren aus? Dürfen die so einfach zum Ersatzteillager für unsere Organe gemacht werden?
Lob-Hüdepohl: So einfach nicht. Denn Tiere haben einen Eigenwert – in Deutschland sogar mit Verfassungsrang. Man nennt die Tiere im Tierschutzgesetz beispielsweise „Mitgeschöpfe des Menschen“. Sie haben einen Eigenwert, den ich nicht einfach opfern kann wie irgendeine Sache. Gleichwohl ist das Ziel, das Tier für den Menschen zu nutzen, sehr hochrangig und durchaus legitim. Denken Sie bitte an die Nahrungsmittelproduktion; nicht jede Nahrungsmittelproduktion ist gerechtfertigt. Aber dass wir Tiere töten dürfen für die Nahrung, ist durchaus legitim.
Wir sagen: Wenn ein Tier für bloßen kosmetischen Interessen geopfert wird, dann ist das nicht hoch genug. Zur Verhinderung eines Todes oder zur Bekämpfung einer schwerwiegenden Krankheit halte ich es grundsätzlich für legitim, dass man Tiere, wenn man so will, als Ersatzteillager für Menschen nutzt.
(domradio – mg)
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