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Verkleideter Teilnehmer des Evangelischen Kirchentags von Dortmund, Juni 2019 Verkleideter Teilnehmer des Evangelischen Kirchentags von Dortmund, Juni 2019 

D: Mit Ausgetretenen ins Gespräch kommen

Ein „schwieriges Geheimnis“: Das sagt Papst Franziskus über Menschen, die die Kirche verlassen. Sie zögen „allein des Wegs, mit ihrer Enttäuschung“; doch die Kirche dürfe „keine Angst“ haben, „in die Nacht dieser Menschen hinein zu gehen“ und „ihnen auf ihren Wegen zu begegnen“.

Einer, der diese Worte des Papstes bei einer Begegnung mit brasilianischen Bischöfen ganz wörtlich nimmt, ist der Kölner Pfarrer Franz Meurer. 18.500 Menschen haben allein in diesem Jahr schon im Erzbistum Köln die Kirche verlassen – Meurer sucht das Gespräch mit ihnen und versucht herauszufinden, was die Kirche von den Menschen trennt.

DOMRADIO.DE: Eigentlich wundert man sich ja, dass es ein besonderes Projekt braucht. Wenn jemand aus der Kirche austritt, wird der nicht automatisch gefragt, warum er nicht mehr will?

Pfarrer Franz Meurer: Normalerweise werden höchstens Briefe geschrieben. Die meisten Menschen wollen in der Zeit, nachdem sie ausgetreten sind, gar nicht reden. Die wollen ihre Ruhe haben. Sie haben ja vorher erfahren, dass sie keine Resonanz bekommen. Das heißt: Sie haben sich nicht geborgen gefühlt, wie viele der Leute im Gespräch sagen. Das ist ganz interessant: Sie wollen in der Kirche Geborgenheit fühlen. Sie wollen dazugehören.

DOMRADIO.DE: Was erzählen die Leute denn? Warum wollen sie aus der Kirche raus?

Meurer: Das ist ganz verschieden. Es gibt relativ häufig Leute, die sagen: „Die Kirche ist intellektuell hinter der Zeit her“. Wenn wir mal zurückdenken: Warum hat die Kirche im Römischen Reich überhaupt so reüssiert? Zwei Gründe: Erstens hat sie sich um die Armen gekümmert, was sonst niemand gemacht hat. Zweitens gingen die Christen nicht Brot und Spiele gucken. Die gingen also nicht in die Stadien, wo es die Gladiatorenkämpfe gab, sondern sie haben sich anders orientiert. Das heißt, wir Christen müssen sowohl die Intellektuellen gewinnen, also die Menschen, die verstehen wollen – und uns um die Armen kümmern.

„Sie haben sich nicht geborgen gefühlt“

Die Caritas ist ganz hoch angesehen. Bei der Kirche sagen dagegen viele: Das ist völlig unter Niveau, wie ihr zurzeit in der Gesellschaft agiert. Allerdings muss man klar sagen: Die Bischöfe haben das kapiert. Wir bekommen ja jetzt vier Professoren in Berlin, Sankt Augustin ist übernommen worden vom Erzbistum. Kardinal Woelki von Köln sagt dabei eindeutig „um am gesellschaftlichen Gespräch teilzunehmen“. Das ist für mich eine zentrale Erfahrung in meinen bisher acht Gesprächen, aber auch sonst: Die Menschen wollen auf Augenhöhe kommunizieren.

DOMRADIO.DE: Dann gibt es noch die, die sich noch nicht so ganz sicher sind, die Wankelmütigen. Was suchen sie und finden die in der Kirche nicht, so wie sie jetzt ist?

Meurer: Sie suchen Resonanz. Hartmut Rosa hat in seinem großen Buch sagt: Die Kirche hat das gleiche Problem wie die Politik. Die Menschen spüren keine Resonanz. Sie wollen vorkommen. Sie wollen angesprochen sein. Vor allen Dingen ist ganz wichtig: Sie wollen nicht belehrt werden, sondern sie wollen beraten werden. Da, wo die Kirche Beratung anbietet, kann man sich kaum retten vor Menschen, die sprechen wollen. Wo wir die Menschen aber belehren und sagen: Das ist richtig, das ist falsch, das darfst du nicht, das darfst du doch, erfahren die Leute das als Rückfall in die Zeit, in der wir zwischen lässlicher Sünde, schwerer Sünde und Todsünde differenziert haben. Das ist ja noch gar nicht so lange her. Und das will keiner mehr. Das ist eine Form von Religion, die wir natürlich in anderen Teilen der Welt noch sehen.

„Fast alle, die ausgetreten sind oder austreten wollen, wollen auch, dass es die Kirche gibt“

Wir wollen doch nicht sagen, man muss aus religiösen Gründen, wenn man vom Glauben abfällt, getötet werden. Wir wissen, wo das noch vorkommt. Nein, wir müssen auf der Höhe der Zeit sein. Dann ist schon alles gewonnen. Denn, um es mal klar zu sagen: Fast alle, die ausgetreten sind oder austreten wollen, wollen auch, dass es die Kirche gibt – das ist das Verrückte – sie wollen nur nicht so bedrängt werden.

DOMRADIO.DE: Sie wissen das, weil Sie erfahrener Seelsorger und Pfarrer sind. Hat Sie an den Antworten etwas überrascht?

Meurer: Überrascht hat mich, dass fast alle Leute weiter im Gespräch bleiben wollen. Wir hatten auch ein Gespräch von zwei Stunden. Das heißt, wenn man die 45 Minuten hinter sich hat – da muss man sich ja auch beschränken, um auswerten zu können – wollen die Leute aber weitermachen. Das ist erstaunlich. Die wollen im Kontakt bleiben. Die haben Interesse. Mit Einem zum Beispiel korrespondiere ich jetzt regelmäßig.

„Wir müssen zurück zur Seelsorge - sonst nix“

Das heißt, wir müssen zurück zur Seelsorge. Sonst nix. Aber Seelsorge heißt, in die Perspektive der Menschen zu gehen, so wie Jesus das auch macht. Wenn man jetzt sagt „mehr Christus wagen“, dann heißt es, wir müssen mehr wie Christus sein. „Mach es wie Gott und werde Mensch“, sagt Bischof Kamphaus. Dann haben wir schon alles erreicht, was Jüngerschaft ist.

DOMRADIO.DE: Wie lange werden Sie die Gespräche denn zusammen mit dem Theologen Sven Werner Höbsch noch führen?

Meurer: Hoffentlich nicht zu lange, denn die normalen Dinge müssen ja auch noch laufen – aber auf jeden Fall noch ein halbes Jahr. Denn es ist natürlich unglaublich spannend. Um es mal klar zu sagen: Die Leute stehen Schlange. Nach den ersten Gesprächen kommen immer mehr Leute und sagen: Hör' mal, sprich doch auch mal mir! - Das ist doch schön, oder?

DOMRADIO.DE: Was passiert denn am Ende des Projekts im besten Fall mit den Ergebnissen?

Meurer: Die Ergebnisse werden einmal in den Prozess des Pastoralen Zukunftswegs des Erzbistums eingespeist. Sie werden demnächst auch noch in größerem Rahmen in einer Zeitschrift veröffentlicht. Wenn man wirklich zu tiefen Erkenntnissen kommt, dann kann man daraus auch eine größere Veröffentlichung, ein Buch, machen. Aber da muss man immer Schritt für Schritt gehen: Hühnerfüßchen vor Hühnerfüßchen. Das ist ganz wichtig, gerade jetzt in der Krise der Kirche. Immer nur einen kleinen Schritt nach vorne. Dann hat man schon viel gewonnen.

„Hühnerfüßchen vor Hühnerfüßchen“

DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt die ersten Gespräche geführt und das erste Fazit gezogen. Was empfehlen Sie denn? Was ist der erste Hühnerschritt, den man jetzt gehen müsste?

Meurer: Der erste Schritt ist eindeutig und ganz klar: Nicht mehr die Leute über Sachen belehren, die sie nicht interessieren. Die meisten interessieren sich auch für die innerkirchlichen Fragen nicht. Wieso muss ein Kardinal sich damit beschäftigen, wer zur Kommunion gehen darf oder nicht? Die Leute beschäftigen sich sehr stark mit religiösen Fragen, sie wollen aber nicht sortiert werden.

Zweitens gewinnt man Autorität, indem man auf Macht verzichtet. Das ist ganz wichtig. Es gibt heutzutage keine Amtsautorität mehr. Wir sehen das zurzeit bei der Polizei, die dauernd bedrängt wird. Nein, Autorität muss man sich persönlich erwerben. Wenn man Priester ist oder Gemeindereferent, dann meint man vielleicht, dass man etwas Besonderes wäre. Nein, man muss den Menschen zuhören. Wenn man Einfluss und Autorität gewinnt, dann, weil man ganz nah bei den Menschen ist.

(domradio/vatican news – sk)
 

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10. August 2019, 10:11