Unser Sonntag: Hingabe in der Dunkelheit
Fabian Retschke
Lk 12, 32-48
Gleich zu Beginn will ich Ihnen sagen, dass ich dieses Evangelium nicht mehr ohne die Eindrücke von den Diskussionen um den Missbrauch klerikaler Macht hören kann. Die darin gestellte Frage des Petrus im Sinne eines „Wen meinst denn du damit?“ führt in meinen Augen dahin, hier eine wichtige Botschaft gerade für Priester zu finden. Doch lieber will ich das Thema Machtmissbrauch im Licht des Evangeliums lesen als das Evangelium im Licht des Missbrauchs. Bringen wir etwas Licht hinein mit diesen Worten aus Lukas.
Doch was rede ich von Licht? Die Heilige Schrift spricht hier eher von der Dunkelheit. Es geht um eine Nacht, um Nachtwache. Die Rede ist von brennenden Lampen und von einem Dieb, der unerwartet einbricht. Das sind alles dunkle, geheimnisvolle Bilder und das Warten des Knechts auf seinen Herrn findet gerade in der Nacht statt. Das ist, wenn die eigene Müdigkeit besonders angreifbar macht und die Gefahr äußerer Bedrohung am höchsten ist, weil sich Gegner oder Diebe viel zu lange unerkannt annähern können. Die Nacht ist gefährlich.
Der Prozess zu beten und Gott zu suchen
In der geistlichen Tradition bekommt „Dunkle Nacht“ noch eine besondere Bedeutung. Diesen Begriff prägte der spanische Karmelitenmystiker Johannes vom Kreuz. Es geht um eine Entwicklung im geistlichen Leben mit verschiedenen Phasen. Wohl gemerkt, eine im Grunde positive Entwicklung. Johannes vom Kreuz, ich erspare uns die Details, hat aus seiner eigenen Erfahrung einen Prozess von betenden und Gott suchenden Menschen beschrieben. Das Ziel dieses Prozesses ist die innige Einigung mit der liebenden Nähe Gottes. Eines geheimnisvoll liebenden Gottes freilich.
Die Ankunft des Reiches Gottes ist von Enttäuschungen begleitet, was eher an uns Menschen liegt als an Gott. Weil wir uns davon viel zu kleine und viel zu irdische Vorstellungen machen. Und als seien Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Herzen nicht genug, lassen es sich Men-schen oft nicht nehmen, Vorbehalte zu behalten. Wer tauscht schon gern Sicherheit für Ver-trauen oder Habseligkeiten für die Glückseligkeit einer Beziehung, die sich letztlich erst im Himmel erfüllt?
Doch leider, scheint es, bedeutet der Weg, den Johannes vom Kreuz als „Dunkle Nacht“ beschreibt, genau das. Es geht um einen Abschied von den Dingen, die von Gott fern halten. Das Evangelium ist hier nicht wenig drastisch: „Verkauft euren Besitz und gebt Almosen“, das heißt: Übt mit dem, was ihr habt, eine Liebe, die dem Bedürftigen, dem Anderen gerecht wird. Wer das Reich Gottes mit seinen Schätzen in Besitz nehmen will, muss die Besessenheit von der Erde loswerden. Die Biografien von so überwältigend vielen Heiligen sind leider sehr schlagende Beweise dafür, dass dieses Loswerden von Gütern ein ziemlich verlässlicher Weg zu Gottes Güte ist.
Gleichmütig gegenüber geschaffenen Dingen sein
Ignatius von Loyola, der als Jesuitengründer mein erster Bezugspunkt ist, sagt, wir müssen uns „indifferent“, sagen wir, „gleichmütig“ oder „unaufgeregt“ gegenüber allen geschaffenen Dingen machen, um für das bereit zu sein, was Gott für uns bereithält. Das klingt ein klein wenig mehr nach aktiver Einübung als das, was Johannes vom Kreuz wohl meint mit der „Dunklen Nacht der Sinne“.
Er beschreibt da eine Entwicklung im geistlichen Leben, infolge derer Verlockungen wie Macht, Reichtum oder Ansehen einem Menschen immer mehr an Bedeutung und Geschmack verlieren. Das passiert, weil jemand ernsthaft im Gebet seine Seele immer mehr nach dem in-neren Empfinden der Liebe Gottes suchen lässt. Auf so einen Weg geht man mal los und findet sich dann eher mehr und mehr geführt und gezogen. Eben auch weggezogen von anderen Wegen. Die Fantasien, was man mit mehr Einfluss, Geld oder Kontakten in der Welt reißen kann, verlieren nach und nach an Süße, an Farbe, an Bewegung im Inneren. Sie verblassen, werden fad und regungslos.
Auf keinen Fall zu verwechseln ist das mit einer apathischen Haltung, mit einer stoischen Lei-denschaftslosigkeit oder einer Depression. Bei Johannes vom Kreuz klingt das jedenfalls gar nicht danach:
„Ich vergesse das Geschaffene / im Gedanken an den Schöpfer
Und bin im tiefsten Seelengrund voll Aufmerksamkeit / Als Liebender ganz dem Geliebten hinge-geben.“
Das ist eher noch eine in der Hingabe vertiefte Leidenschaft, die sich mit der Zeit eher noch verstärkt. Wer dieser Sehnsucht nach Gott nämlich folgt, wird nicht nur merken, dass sie von Zeit zu Zeit erfüllt wird, sondern, dass sie selbst noch immer stärker wird. Ja, eine glühende Leidenschaft entsteht in den Menschen, die so im Gebet mit Gott unterwegs sind. Wann auch immer derartiges im Leben geschieht, es erfrischt und lässt Leben regelrecht aufblühen. Wie ein spiritueller Frühling, eine erneuerte Jugendlichkeit ist das. In dieser Phase entdecken nicht wenige Menschen auch ihre Berufung zu Ordensleben und Priestertum.
Seid wie Menschen, die auf den Herrn warten
Solche Hochstimmungen halten in der Regel nicht ein Leben lang an. Es gibt etwas Geheimnisvolles in der Gottesbeziehung, das alle Menschen herausfordert. Im Evangelium heute kann ich Andeutungen finden: „Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der von einer Hochzeit zurückkehrt“. Es gibt Zeiten, in denen sich trotz der Allgegenwart Gottes im Gebetsleben ein Gefühl der Trostlosigkeit einstellen kann. Gott ist immer gegenwärtig, aber nicht immer auf die gleiche Weise für das innere Erleben. Es kann sich bisweilen anfühlen, als sei dieser Gott nicht mehr da. Zumindest nicht so wie früher. Gott scheint sich zu entziehen. Von Zeit zu Zeit entgleitet er.
Johannes vom Kreuz spricht von einer zweiten Nacht, einer Dunklen Nacht des Geistes. Er versteht sie nicht als Strafe für die Sünde, sondern als eine Gnade. Mit dieser zweiten Läute-rung soll das Herz freier werden von jedem menschengemachten Gottesbild, das von der echten Gottesbeziehung noch fernhält. Gott entzieht sich, damit der Mensch noch mehr nach dem wahren Gott sucht. Was paradox klingt und in der Tat etwas dunkel, drückt das Evangelium mit einem nicht weniger seltsamen Bild aus: „der Dieb kommt“.
Jesus wird mit einem Dieb verglichen. Ist das nicht schräg? Doch die Beschreibung der Dunklen Nacht bestätigt das ja.
Denn es wird wirklich etwas weggenommen, etwas aus der Hand gerissen. Erst sind es die weltlichen Anhänglichkeiten, dann die selbstgemachten Vorstellungen von Gott. Der Mensch verliert die Kontrolle über seinen Gotteskontakt. Was er selbst an Gedanken und Gebetsmethoden zurechtgelegt hat, verliert an Überzeugungskraft. Es wird nun bald so verblasst, fad und regungslos im Herzen beim Gebet, wie es vorher mit den anderen Dingen war. Diese Reinigung kann schmerzen. Oder besser: Eigentlich kann sie kaum nicht wehtun. Gerade jemandem, der Kraft für seinen Alltag aus dem Gebet zieht. Gottes „dunkle“ Art zu lieben, erfordert viel Ausdauer und Geduld.
Die Entzugserscheinungen Gottes sind ein Hinweis auf seine Unverfügbarkeit. Er will dem Menschen, dem er sich offenbart hat, nicht das Gefühl geben, er habe Gott in seiner Macht. Die Dunkle Nacht rückt die Verhältnisse zurecht. Kein Mensch soll glauben, er habe einen Zugriff auf Gott, könnte ihn fixieren und herbeibeschwören. Gott entreißt dem Menschen den Irrtum dieser Sicherheitsgefühle. Denn sie blockieren das Wachstum im Vertrauen. Selbstsicherheit oder die vermeintliche Kenntnis davon, wie die Dinge mit Gott zu laufen haben, ist aus Gottes Sicht unangemessen und stolz.
Die Mitte der Seele ist Gott, sagt Johannes vom Kreuz
Das mag demütigend sein. Doch die einzig angemessene Haltung der Betenden ist Warten, Bereitsein, Wachbleiben. Johannes vom Kreuz sagt: „Die Seele muss Gott ein liebevolles Aufmerken entgegenbringen“. Wer in diese Nacht hineinruft: „Gott, wohin hast du dich verzogen?“ Dem müsste geantwortet werden: „Zu dir“. „Die Mitte der Seele ist Gott“, sagt Johannes vom Kreuz.
Ein Gott, der abhandenkommt, macht die Beziehung zu ihm spannend. Darum verwendet der Evangelist hier Bilder wie die brennende Öllampe und das Sich-Gürten. Es geht um eine Be-reitschaft zum Aufbrechen. Hochzeit und Reise konnten damals Wochen dauern. Über lange Zeit eine solche Spannung auszuhalten und dabei geistig klar und ganz auf die Wiederkunft ausgerichtet zu bleiben, verlangt nicht gerade nichts.
Wer diese trockenen, dunklen und leeren Zeiten ohne den fortgereisten Herrn hindurch die liebende Aufmerksamkeit behält, darf denn auch umso mehr erwarten. Jesus kommt und be-dient seine Diener. Das Bild erinnert an die Fußwaschung beim Letzten Abendmahl. Der Herr und Meister bedient die geduldigen Diener der Reihe nach, das heißt: Wirklich jeden Einzelnen wird er wertschätzen und für ihn sorgen. Nur, wann das eintreffen wird, muss unbekannt bleiben. Damit liegt es ganz in den Händen Gottes.
Jedoch: Diese Dunkle Nacht, in der sich Gott entzieht, ist riskant. Gerade für Menschen, bei denen Gottesbeziehung sozusagen zum Berufsgeheimnis, gewissermaßen auch zum Berufsethos gehört, bei Priestern und Ordensleuten nämlich, kann dieses Sich-Entziehen Gottes ein Unbehagen auslösen. Und Schlimmeres. Weil hier Selbstzweifel laut werden können. Der gefühlte Verlust könnte Skrupel wecken oder das Gebet zu einer lästigen Pflicht machen. Die Dunkle Nacht ist gefährlich, es ist eine Krise. Johannes vom Kreuz schreibt:
„Es gibt so viele Seelen, welche den Pfad der Tugend betreten haben, die aber, sobald sie von Gott in jene dunkle Nacht eingeführt werden, durch die sie zur Vereinigung mit Gott gelangen sollen, nicht mehr weiterfinden. Die einen wollen dann nicht eingehen in jene dunkle Nacht oder sich nicht einführen lassen, die anderen finden sich nicht zurecht oder es fehlt ihnen an tüchtigen und erfahrenen Führern“.
Was ist, wenn die Mitte abhanden kommt?
Wenn die Mitte der Seele Gott ist, dieser Gott aber dem Betenden abhandenkommt, ist seine Mitte leer. Eine leere Mitte erzeugt nun aber nicht nur Unruhe. Sie kann auch Antriebe hem-men, das Leben kälter und trist werden lassen. Bald werden sich aus dieser Verfinsterung Regungen anschleichen, die versuchen, den leeren Platz zu füllen und die Macht über die Seele an sich zu reißen. Einige geistliche Autoren sprechen von diesen Versuchungen. Das Evangelium deutet es auch an.
„Wenn aber der Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich zu kommen und an-fängt, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich zu berauschen“.
Das heißt: In der Krise kann sich eine Frustration festsetzen. Der Verdruss über die Verzögerung der Rückkehr der Freude an Gott kann die aggressiven Regungen freisetzen. Wenn in einem Anflug der Verzweiflung dann die Hemmungen fallen, werden Regeln und Grenzen verletzt. Bald wird das Fernbleiben des echten und wahren Herrn zur Einladung erklärt, selbst an seine Stelle zu treten.
Die leere Mitte wird mit dem eigenen Ich gefüllt. Dann gilt bald gar nichts mehr als heilig außer dem eigenen, spontanen Begehren. Die feindselige Stimmung gegen andere wird nicht nur in den Gedanken auftauchen, sondern bald auch in den Worten und Taten. Die Formen der Gewalt können ganz vielfältig sein. Sei es nur Desinteresse, Nörgelei, zynische Kommentare oder dergleichen. Es kann aber auch zu einer tyrannischen Amtsführung hinführen.
In solchen Krisen, gerade wenn sie eben bei Priestern und Ordensleuten auftauchen, kann viel kaputtgehen. Dann kann aus jemandem, der in der Beziehung zu Gott doch eigentlich so weit fortgeschritten war und sich „sicher“ wähnte, ein viel übleres Handeln hervorgehen als je zuvor. Die geistlichen Autoren sind sich dessen bewusst, dass solche Krisen bei betenden Menschen furchtbare Entgleisungen zur Folge haben können.
...die moralische Fallhöhe
Die letzten Verse des Evangeliums klingen für diesen Zusammenhang mindestens so herb wie die Vorhergehenden. Wer trotz seiner besonderen Verantwortung und der von Gott geschenkten Nähe abgleitet in Gewalt, dem ergeht es besonders übel. Das Strafmaß hängt von der Position und dem Potenzial einer Person ab. Wer wider besseres Wissen willentlich gegen Gottes Willen handelt, wird umso härter bestraft. Die „moralische Fallhöhe“ bekommt damit Gewicht und das ist tief im biblischen Gerechtigkeitsverständnis verankert.
Die Krise der Dunklen Nacht, die Gottes Sich-Entziehen auslösen kann, sie ist wohl notwendig für die Entwicklung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Jedoch ist diese Behandlung ein Risiko, nicht nur für den betenden Menschen selbst. Dieses Risiko geht Gott offenbar ein. Das ist das Dunkle an diesem geheimnishaften Gott, das, was sich dem Begreifen und Verstehen entzieht.
Was uns bleibt, ist diese eine Bitte aus dem Vater Unser, die im Zusammenhang mit all den Fällen von Machtmissbrauch nie zu laut, nie zu oft herausgeschrien werden kann. Und ich würde sie Ihnen empfehlen, heute mal zu beten für all die Priester und Ordensleute, die eine Krise durchleben: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
(vatican news - claudia kaminski)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.