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Professor Dr.  Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz Professor Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz 

Unser Sonntag: Jeder Imperativ Gottes ist eine Gnade

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz begleitet uns an den fünf Septembersonntagen mit ihren Kommentaren zum Evangelium: Jesu Beispiele und Reden verblüffen, sie werden gesprochen über die Kluft von Zeit und Raum hinweg und erreichen uns mühelos, sagt die Philosophin. Und: sie wollen unmittelbar aufgenommen werden - als Rat, als Warnung, als Befehl. Sehen wir uns diese Befehle an, Sonntag für Sonntag. Sie verpflichten, sie bohren, aber ebenso: Sie befreien.

Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Lk 14, 1.7–14


An den fünf Septembersonntagen, an denen wir uns treffen, branden lauter Gleichnisse Jesu an unser Bewusstsein an. Christliches Bewusstsein ist ja ein beständiges Umdenken, wider die eigene Strömung, wider die allgemeine Einschätzung klugen Handelns. Die Stimme Christi ist einer anderen Klugheit verpflichtet. Dem Umdenken dienen seine sperrigen Reden und Beispiele, die insgesamt verblüffen.

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Sie werden gesprochen über die Kluft von Zeit und Raum hinweg, die uns nur scheinbar von den dörflich-einfachen oder auch selbstbewusst-gelehrten Hörern im kleinen antiken Israel trennt. Nein, sie erreichen uns mühelos und wollen unmittelbar aufgenommen werden - als Rat, als Warnung, als Befehl. Und wichtig: Jeder Imperativ Gottes ist eine Gnade. Sehen wir uns diese Befehle an, Sonntag für Sonntag. Sie verpflichten, sie bohren, aber ebenso: Sie befreien. „Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte“, sagt der Psalm aufmunternd.

Den Ehrenplatz vermeiden

Der erste Rat, die erste Mahnung Jesu in dem vornehmen Mahl mit den Pharisäern bezieht sich auf den Ehrenplatz, den man vermeiden soll. Das könnte psychologisch gemeint sein, nämlich in der listigen Erwartung, dann „automatisch“ von hinten nach vorne gebeten zu werden. Da der Sprecher aber kein Psychologe ist, haben wir die Mahnung anders zu nehmen, tiefer und kühner, in klarer Wörtlichkeit. Platz bei einer Hochzeit - da klingt ja nicht nur ein Fest an, sondern das Hochzeitsmahl überhaupt, der Glanz des Kommenden, das Eintauchen in das große, lebendige, umfassende Fest, dessen Zusage uns strahlend erwartet.

„Als sie in ihrem eigenen Licht erwachten, haben sie mich vergessen.“

Solange das Fest noch unsichtbar ist, können wir üben, sollen wir üben: den letzten Platz einzunehmen. Absichtlich und mit Freude. Gegen die natürliche Ehrsucht, gegen die hochfahrende Selbstgerechtigkeit, gegen das Ich, das Konkurrenz und Sieg genießt. Daran sind schon die Voreltern gescheitert, die sich in ihrem eigenen Licht sonnten und damit den Ursprung des Lichts überblenden wollten. Hildegard von Bingen sagt es farbig: „Als sie in ihrem eigenen Licht erwachten, haben sie mich vergessen.“ Stattdessen sind sie - getrennt vom Ur-Licht - in die Finsternis abgeglitten, und darin scheint der einzige Halt „Ich selber“ zu sein.

Sich von Gott lieben lassen...

Wie kann man mit Freude den letzten Platz wählen? Aus einer Überlegenheit heraus, der Überlegenheit des Liebenden, der sich von Gott lieben läßt. Weil es spannend ist, auf den Blick zu warten, der uns ausspäht, auf die Stimme zu warten, die uns im Winkel erreicht. Dann ist es ein Warten auf die göttliche Beziehung, die - wie das Wort sagt - zieht. Es ist dieselbe Macht, die fordert und zieht. Im Vertrauen auf diesen uns folgenden Blick gehen wir auf den letzten Platz, um Seinen Zug zu spüren.

Der zweite Befehl ist bestürzender als der erste. Im Ernst: Wer von uns ist ihm schon gefolgt und hat Arme und Krüppel eingeladen? Vor dem Auge erhebt sich ein unangenehmes Bild: eine Einladung mit gewöhnungsbedürftigen, möglicherweise unkultivierten, möglicherweise unsauberen Gästen. Halt! Und nochmals nachgedacht. Auch in diesem göttlichen Befehl des Umdenkens ist eine Tiefenschicht verborgen.

„Nach einem flüchtigen „Wie geht es Dir?“ stürzen sie einzig wieder in die Selbstbeweinung ab.“

Zweifellos gilt der Befehl wörtlich, aber gehören dazu nicht auch jene Armen, die uns mit ihrem Leid, ihrer Verworrenheit, ihrer Verbohrtheit auf die Nerven gehen? Die uns nichts „zurückgeben“, wenn wir sie anhören, die von ihrem eigenen Kummer überfließen? Nach einem flüchtigen „Wie geht es Dir?“ stürzen sie einzig wieder in die Selbstbeweinung ab. Wo ganze Nachmittage mit leeren Besuchen mühsam verstreichen, wo lange Telefonate zum trostlosen Ausheulen ausgenutzt werden? Trostlos, weil die Arbeit des Trostes vergeblich getan wird…
Wer sind heute die Blinden und Tauben, die Krüppel und Armen? Viel Elend gibt sich heute als Frucht hoher und höchster religionsloser Kultur aus: Man versinkt in seinem alltäglichen, ja lebenslänglichen Grau und leidet verbissen.

An Seligkeit glauben?

Weil die Mischung aus öffentlich zementierter Klimakatastrophe, aus zerstörender Kirchenkritik, aus persönlicher Verletztheit undurchdringlich wird. Diese Mischung zelebrieren seit geraumer Zeit nicht wenige Vordenker und Wortführer der Kultur als die unerträgliche Düsternis des Lebens. Seit langem gibt es ein ungeheures, fast triebhaftes Widerstreben, auch und gerade bei bedeutenden europäischen Denkern und Literaten, an so etwas wie Seligkeit zu glauben, so etwas wie ein Dasein jenseits der Düsternis überhaupt zu wollen. Der absurde Sisyphus ist modern, der den Stein nach oben schleppt, von wo er herunterrollt und Sisyphus zum neuen Hinaufschleppen zwingt. Die tragische Geste ist modern, die umsonst das ewig Mißlingende neu beginnt und über den Beginn nicht hinausgelangt. Die Verzweiflung ist modern, die auf das Leben spuckt, weil sie es nicht bestehen kann. Schauerlich-reizvoll scheint es zu sein, „Schmerz, Wut, Enttäuschung hinauszuschreien“ – diese im Rundfunk gehörte Wortfolge lähmt schon lange das Ohr.

„Die größte Sünde ist: wenn das Feuer gleichgültig wird...“

Wie ferne liegt das ausgewogene Betrachten Hölderlins, der gewiß das Dunkel kannte, aber trotzdem ein Auge auch für das Hell-dunkel hatte – heute würde man den folgenden Satz vermutlich als Behagen verdächtigen: „Wie mit den Lebenszeiten, so ist es auch mit den Tagen, keiner ist uns genug, keiner ist ganz schön, und jeder hat, wo nicht seine Plage, doch seine Unvollkommenheit. Aber rechne sie zusammen, so kommt doch eine Summe Freude und Leben heraus.“ Eine solche Summe ist mittlerweile fremd geworden, scheint zu nahe am Kleinbürgerlichen. Auch die Philosophie hat diesem Gefühl nachgearbeitet. Wo liegt der Sinn des Daseins? Die berühmte Antwort füllt das ermattende Nachdenken, der Sinn des Daseins liege im Dasein selbst, das heißt in seiner Sinnlosigkeit. Diese unechte Armut gehört zu den großen, schwer auszuhebenden Schemen. Daher Vorsicht: „Die größte Sünde ist: wenn das Feuer gleichgültig wird...“

Schweigen über das Heilige

So tut sich heute Schweigen über das Heilige oder mittlerweile die Esoterik auf. Und in beidem wirkt Trauer, aber mit dem Scharfsinn des Paulus gesehen die Trauer der Heiden. Diese weint um das Schale, gefällt sich aber in ihrer Vergeblichkeit, leitet Scheingefechte der Selbsterlösung ein – eine andere Art von Hochmut. Stattdessen wäre zu weinen um ewige Seligkeit, weil es sie gibt, bedrängend gibt, sie aber keinen Ort im Sprechen der Geistträger, der Intellektuellen hat. Weil das Glück wahr ist und nicht eine Erfindung der „Pfaffen“. Weil überhaupt alles wahr ist, von der Liebe angefangen bis zur widerlegten Verzweiflung und dem besiegbaren Teufel. Und bis zu Gott. Weil auch die Welt, ihre Sonnenaufgänge, Blitze, Morgenröten das sind, was sie scheinen: ungeheuerlich schön.

Grundmelodie hin zur Auferstehung

Und so sind wir aufgefordert, diese Blinden und Tauben einzuladen: ihnen Mut zuzusprechen, Kraft und Gebet für sie zu sammeln als Gegengewicht - auch das ist Einladung zum Essen und Trinken, Einladung zur kurzen Rast auf dem Weg nach dem ewigen Zuhause. Scheinbar vergeblich und ohne Gegengabe… Und wir hören doch zu, versuchen Schneisen zu schlagen… lassen den Müll der Welt bei uns ablagern, weinen mit den Weinenden. Und sollten über Gott zu ihnen sprechen, nicht scheu und verschämt, sondern ernst und gut. Gastfreundschaft an den Mühseligen und Beladenen ist heute in vielen Facetten zu üben. Die armselige Wirklichkeit soll nicht allein tapfer durchgestanden werden, sie soll ausgespannt werden - auf Ihn hin. Auf-hin ist das Leben des Christen, auf-hin ist unsere Grundmelodie, die sich nach Auferstehung sehnt und einstweilen mit dem armen Alltag zurechtkommen muss.

„Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es gewinnen“

So dämmert ganz im Hintergrund etwas von einem „fröhlichen Tausch“. Wir tauschen unser naturwüchsiges Leben, das sich selbst abschirmt vor der Verausgabung an andere, gegen sein Versprechen: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es gewinnen.“ Und zum Trost ist zu sagen, dass Jesus ja nicht allein Forderungen stellt. Zugesagt wird gleichzeitig Hilfe. „Mächtig über uns waltet seine Huld“, weiß der Psalm. So wollen wir seine Befehle erproben, bis sie aufblitzen, bis sie einleuchten, bis sie ihre Kostbarkeit verraten. Bis die Einladung an Arme und Krüppel auch uns selbst aus der Armut des Denkens löst. Bis wir zu ihnen und zu uns und vor allem zu Ihm sagen können: Du schaffst mir eine nicht fassbare Freude.

Zur Person

Prof. Dr. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz war unter anderem mit Lehraufträgen und Lehrstuhlvertretungen in Bayreuth, Tübingen, Eichstätt und München sowie als Professorin in Dresden tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Religionsphilosophie der Moderne, Phänomenologie und die Anthropologie der Geschlechter.

(vatican news - claudia kaminski)

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31. August 2019, 11:00