Unser Sonntag: Jesus und die Spaltung der Gesellschaft
Fabian Retschke
Lk 12, 49-53
War da eben ein Stirnrunzeln in Ihrem Gesicht? Ich vermute, das Evangelium hat bei Ihnen zumindest ein kleines Rätseln ausgelöst. Das finde ich sehr nachvollziehbar. Denn mit Sätzen von Jesus wie „Liebt einander“ sind wir eher vertraut als mit Äußerungen wie „Ich bin gekommen um Feuer zu bringen, und Spaltung“. Was soll das auch? Ist Jesus insgeheim doch ein kleiner Hassprediger? Ein Hetzer? Oder noch schlimmer: Ein Populist?
Was ist nur Streit? Was ist schon Spaltung?
Denn es ist nicht immer klar abgegrenzt, was noch Streit und Auseinandersetzung, was hingegen schon Spaltung ist. Spaltung wovon auch? Wir leben ja keineswegs in einheitlichen, harmonischen, stets Übereinstimmung suchenden Gesellschaften. Menschen sind so unterschiedlich, dass eine absolute Vermeidung von Spaltung nur um den Preis absoluter Unterdrückung des freien und damit eben auch abweichenden Willens zu haben wäre. Spaltung ist mindestens vorübergehend in Kauf zu nehmen, will man keinen totalitären Staat. Spaltung ist der Preis der Freiheit. Denn sie ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben nach den eigenen Überzeugungen und mit Menschen, die diese teilen. Nur dort, wo Spaltung erlaubt ist, kann ich mich aus einengenden Beziehungen lösen. Vielleicht müssen wir ein Recht auf Spaltung einfordern. In jedem Fall finde ich, dass Spaltung unfair verunglimpft wird. Ich erkläre Ihnen, warum in meinen Augen Spaltung für Christen sogar notwendig ist.
Fangen wir zunächst bei dem biblischen Hintergrund an. Lukas verwendet für Jesus in diesem Evangelium drei Selbstbeschreibungen. Kurz gefasst: Jesus ist gleich Feuer; Jesus ist gleich Taufe; Jesus ist gleich Spaltung. Er beendet damit eine öffentliche Mahnrede, die im Lukasevangelium ein ganzes Kapitel umfasst. Seine Wortwahl ist hier auch deswegen von besonderer Bedeutung, um dem Schluss der Rede einen besonderen Nachdruck zu verleihen. Jesus ist es sehr wichtig, dass die Menschen, die er nur kurzfristig auf seiner Durchreise trifft, schnell klar bekommen, was er will. Es gab ja nicht nur einen Wanderprediger weit und breit, da muss er im Gedächtnis bleiben. Auch darum darf es mal ein bisschen mehr Würze sein in der Rede.
Nichtsdestotrotz ist Jesu Auftritt keine ausgesprochene Einzigartigkeit im Stil. Die Menschen seiner Zeit waren mit endzeitlichen Vorstellungen sehr gut vertraut. Das Feuer ist ein typisches Bild vom Weltgericht. Das hat auch Johannes der Täufer verwendet. Auch die Jünger fragen Jesus, ob sie Feuer auf ein Dorf werfen dürfen, das sie abgelehnt hat. Das war ein bekannter Begriff. „Feuer“ im Alten Testament steht für das göttliche Strafgericht. Bei Lukas kann man auch an den Heiligen Geist denken, an die Feuerzungen. Dann ist Jesus eben kein Brandstifter, sondern einer, der Leidenschaft entzünden will.
Taufe ist Anspielung auf den Kreuzestod
Die Taufe, von der Jesus hier spricht, ist eine Anspielung auf seinen noch ausstehenden Kreuzestod. Laut Lukas‘ Darstellung befindet sich Jesus auf dem Weg nach Jerusalem. Er könnte zumindest geahnt haben, was ihm dort blüht. Denn ihm war ja offenbar klar, er würde mit seinem Auftreten auf Widerstand stoßen. Manche werden sich ihm anschließen, andere werden sich abwenden und einige werden ihn sogar verfolgen und irgendwie mundtot machen wollen. Spaltung, das war Jesus bewusst, ist völlig normal und zu erwarten.
Spaltung ist normal, das haben die frühen Christen zur Zeit des Lukas, als das Evangelium entstand, auch erfahren. Sie haben eine Bedrängnis erlebt, weil sie sich dafür entschieden haben, an Jesus als Christus, als Sohn Gottes und an sein Reich zu glauben. Wer sich im damaligen Judentum für den Glauben an Jesus als Messias entschieden hatte, sich zu christlichen Gottesdiensten traf und dergleichen, der wurde bald nicht nur schief angeschaut, sondern echt aus der Synagoge rausgeworfen. Der traf auch in der eigenen Familie nicht nur auf Zustimmung. Für sie hat sich die Rede von der gespaltenen Familie wirklich hautnah erfüllt. Wer mit solchen Lebenserfahrungen dann hört, dass Jesus diese Spaltungen verheißen hat, dürfte nicht wenig Trost dabei erfahren.
Spaltung ist normal: Das sieht auch jeder, der die Augen öffnet für die Lage christlicher Minderheiten in vielen Ländern heute. Da werden sie mit Gewalt verfolgt, verschmäht und beleidigt, aus öffentlichen Ämtern oder von Berufschancen ferngehalten, ihrer Rechte beraubt und so weiter. Wie werden diese Menschen wohl reagieren, wenn Jesus von Spaltung spricht? Wenn sie sehen, dass ihre eigene Familie sie ausstößt, weil sie zum Christentum konvertieren, oder sogar deswegen flüchten müssen? Dafür reicht es auch, im deutschsprachigen Raum zu bleiben. Es gibt auch hier genügend Menschen, die nach dem Eintritt in die katholische Kirche in Familie und Umfeld auf Ablehnung stoßen. Eltern erleben, wie Jugendliche sich nicht für ihren Glauben interessieren. Manchmal erleben auch Jugendliche, dass ihre Eltern kein Interesse daran haben. Spaltung ist normal, ist eine hier und jetzt erlebbare Wirklichkeit für überhaupt nicht wenige Christen. Für alle Betroffenen enthält die Botschaft des Lukas bis hierhin zumindest eine etwas beruhigende Relativierung. Spaltung kommt vor, Spaltung ist normal.
Der Friede Jesu ist nicht gleichbedeutend mit oberflächlicher Harmonie
Nun könnte man fragen: Wenn ein Leben im Glauben an Gott zu Spaltung führt, sollte man dann nicht besser seinen Glauben ein bisschen mehr für sich behalten? Ist es nicht viel wichtiger, dass Harmonie und Eintracht herrschen? Hauptsache, wir vertragen uns! Jesus hat doch gesagt: „Frieden hinterlasse ich euch.“
Richtig ist: Die Vorstellung vom Reich Gottes enthält als Ziel durchaus den Frieden. Ein solcher Frieden ist aber keineswegs zu verwechseln mit einer oberflächlichen Harmonie: „Tun wir mal so, als ob es zwischen uns keine Unterschiede gäbe, dann sind wir schon viel friedlicher.“ Das ist sicher nicht eine Haltung aus dem Geiste Jesu.
Frieden ist eine Frucht der Gerechtigkeit und der Versöhnung. Nicht der Uniformität, der Ununterscheidbarkeit. Frieden ist nicht das Ergebnis eines Zusammenlebens, in dem all die strittigen Punkte unter den Teppich gekehrt werden. Um so etwas wie Frieden zu erreichen, müssen sie auf den Tisch. In einer wertschätzenden Auseinandersetzung und Debatte wird man wohl darüber reden müssen, was den einen von dem anderen unterscheidet. Gott sei Dank, wenn hier hin und wieder eine Einigkeit erzielt werden kann oder zumindest gegenseitiges Verständnis. Doch solange das nicht möglich ist, bleibt Spaltung unumgänglich. Frieden kann dann immer noch herrschen, er hängt nicht von totaler Meinungsgleichheit ab.
Die Spaltung zeigt dann, dass die Sache, um die es geht, wichtig ist. Es geht um etwas, das Gewicht hat und Folgen. Wahrscheinlich ist die Sache tatsächlich streitbar. Über Unwichtiges zu streiten, nennt man Haarspalterei. Und über Offensichtliches zu streiten, ist wirklich überflüssig. Aber wir reden hier ja über Wesentliches und Entscheidendes, wenn es um den Glauben geht. Jesus sprach von einer Königsherrschaft Gottes, die mit dem Auftreten seiner Person unumkehrbar angebrochen ist. Er hat eine unmittelbare und unbedingte Nachfolge gefordert. Das war schon damals nicht leicht.
Auch seine Auslegungen der Weisungen der heiligen Schriften des Bundes Israels trafen auf Widerspruch. Es kursierten verschiedene Versionen darüber. Es gab heftige Diskussionen. Selbst mit Jesus führten sie Streitgespräche, sie stellten ihm teils hinterlistige Fragen. All das zeigt: Es geht um was Wichtiges. Zur Zeit Jesu war klar: Von dieser Entscheidung hängt das Wohlwollen Gottes ab und davon hängt ab, ob jemand das ewige Leben im Himmel Gottes gewinnt – oder nicht.
Jesus macht den Unterschied
Über solche wichtigen Dinge zu streiten und eine Entscheidung zu treffen, die einen bindet, vielleicht aber auch von anderen spaltet, ist doch keine Kleinigkeit! Es geht um Alles aus der Sicht des christlichen Glaubens. Wenn die Sache so wichtig ist, dann kann die familiäre Harmonie nicht wichtiger sein. Die Priorität war den Menschen damals ganz klar: Dieser Jesus macht einen Unterschied in meinem Leben. Wenn ich diesen Unterschied in meinem Umfeld nicht entschieden genug leben kann, muss ich das Umfeld verlassen und um Himmels willen nicht Jesus. Spaltung also ist nicht nur normal. Sie ist ein Anzeichen dafür, dass eine Sache von Bedeutung ist und eine Entscheidung verlangt.
Schließlich gilt: Wer Wahrhaftigkeit oder Originalität leben will, der muss Spaltung in Kauf nehmen. Denn dafür muss man Ablehnung verkraften können. Vergessen wir nicht, dass Wahrhaftigkeit eine tiefe Sehnsucht ist. Jeder Mensch will gern zu seinen eigenen Überzeugungen und Ansichten stehen können. Da geht es nicht gleich um Egoismus oder Starrköpfigkeit. Im Gegenteil: Wahrhaftigkeit ist eine Tugend, in der ein Mensch seiner Berufung von Gott treu folgt. Denn dann ist jemand sich selbst und anderen gegenüber ehrlich.
...ein Christ muss sich nicht alles gefallen lassen
Das wiederum bedeutet bisweilen, anderen auch mal die Meinung zu sagen. Ein Christ muss sich sicher nicht alles gefallen lassen. Nein, sondern gerade dort, wo jemand unwahre oder ungerechte Dinge sagt oder tut, ist ein wahrhaft ablehnendes Wort gefordert. Auch in der Familie gilt das, selbst wenn das hin und wieder die oberflächliche Harmonie und Ungestörtheit durchrüttelt und Beziehungen belastet. Einen anderen zurechtzuweisen, wo er arg verirrt ist in seiner Haltung, ist nicht nur Recht oder Pflicht, sondern eine Übung der Barmherzigkeit. Also nur raus damit! Wenn die Angst vor Spaltung jedoch diese Wahrhaftigkeit blockiert, dann heißt das ja nicht, dass damit irgendetwas gewonnen wäre, außer vorübergehender Bequemlichkeit. Spaltung ist notwendigerweise als eine Möglichkeit zu bejahen. Die Bereitschaft zur Spaltung scheint mir eine Überlebensbedingung für den christlichen Glauben zu sein. Realistisch betrachtet bleibt die Kirche eine kleine Größe in der Welt. Es wird immer Menschen geben, die sie ablehnen. Wenn wir das nicht verkraften, können wir in der Tat keine Christen sein.
Jesus hat Spaltung zwar nicht um ihrer selbst willen gesucht. Er will ja, dass alle Menschen gerettet werden und in der liebenden Einheit Gottes zusammenfinden. Doch er hat Spaltung in Kauf genommen. Wir erinnern uns an Jesus nicht, weil er seine Überzeugungen verleugnet hätte. Wir hätten ihn dann längst vergessen. Stattdessen hat er die Wahrhaftigkeit gegenüber Gott ein für alle Mal der oberflächlichen Zuneigung seiner Zeitgenossen vorgezogen. Damit war er mehr als ein Fähnchen im Wind, das sich auf nichts festlegen will.
Er war ein Kreuz auf dem Weg. Er bleibt eine Provokation für seine Gegner. Er war ein „Zeichen, dem widersprochen wird“. Das hat der greise Simeon seiner Mutter Maria prophezeit. Damit bleibt er aber auch ein Trost für alle, die wegen der Entschiedenheit für ihn Spaltung erfahren. Wenn wir dann heute Spaltung erleben, weil wir an Jesus glauben: Wir wären damit nicht die ersten.
(vatican news - claudia kaminski)
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