25 Jahre Bistum Erfurt: Ein- und Ausblicke
Philipp Förter, 37, promoviert derzeit in Rom in Kirchenrecht und blickt danach einem neuen seelsorgerlichen Einsatz in seiner Heimat entgegen. Wir fragten ihn zunächst, wie er das Bistum Erfurt 25 Jahre nach seiner Neugründung heute charakterisieren würde.
Förter: „Von der Fläche ist es der größere Teil des Freistaats Thüringen. Also zwischen Eisenach, der Wartburg und Jena – also der alten Universitätsstadt. Mit einem besonderen Gebiet im Nordwesten Thüringens, dem Eichsfeld, wo 70 bis 80 Prozent der Menschen römisch-katholisch sind, und einer großen Fläche der Diaspora, wo zwischen drei oder vier Prozent der Menschen Katholiken sind. Christen sind ungefähr insgesamt ein Drittel dieses gesamten Gebietes, sodass das Bistum Erfurt 150.000 Katholiken hat, aber sehr viele Menschen hier tatsächlich überhaupt nicht dem Glauben verbunden sind oder gar nicht die Frage nach dem Glauben verstehen.“
Vatican News: So ein Befund ist oft ein Ergebnis des Gewordenen, inwiefern gilt das auch im Bistum Erfurt?
Förter: „Wir haben hier die Erfahrung, die einerseits geprägt ist von der Reformation. Dies ist das Kernland der Reformation, hier hat Martin Luther gelebt, hier hat er das Neue Testament übersetzt, hier hat er seine Erfahrungen von Kirche vorangetrieben, was zu dieser Kirchenspaltung führte. Das Gebiet ist dadurch sehr protestantisch geprägt auf der einen Seite. Und dann auch die Erfahrung der jüngeren Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus und vor allem der DDR, die dazu geführt haben, dass viele Flüchtlingsströme aus dem Osten gekommen sind nach dem Zweiten Weltkrieg, ihre Spiritualität eingebracht haben aus Ostpreußen, aus Schlesien, aus anderen Gebieten. Und das musste so zusammenschmelzen, dass plötzlich ein flächendeckendes katholisches Leben aufgebrochen ist in diesem ehemaligen protestantischen Gebiet. Und auf der anderen Seite der Staat, die DDR, versucht hat, dieses Glaubensleben möglichst zu erschweren und den Glauben als solchen zu eliminieren. Das prägt diese Situation der Menschen vor der Wiedervereinigung und nach der Wiedervereinigung mit den neuen Freiheitserfahrungen, Glaube weiterzugestalten in dieser Verantwortung und neu aufzubrechen, mit neuen Freiheiten umzugehen, aber auch ganz neue Herausforderungen sich zu stellen.“
Vatican News: Welche von diesen neuen Herausforderungen würden Sie besonders nennen?
Förter: „Wir haben hier nicht unbedingt die Menschen, die aktive Atheisten sind, sondern durch diese Zeit der DDR sind die Menschen einfach religiös unmusikalisch geworden, wie Max Weber das nennt. Der Gottesglaube ist für sie keine Dimension ihres Lebens oder ihres Alltags mehr. Sie verstehen überhaupt nicht die Gottesfrage. Und das ist eine ganz andere Herausforderung, der wir uns hier stellen. Wir müssen erstmal die Frage der Relevanz unseres Glaubens den Menschen erklären, bevor wir inhaltlich ihnen sagen können, was genau diesen Glauben beinhaltet. Insofern ist für die Menschen, die in Thüringen leben, häufig gar nicht die Frage, was die Unterschiede zwischen evangelisch und katholisch sind, sondern für viele erstmal, was Christen überhaupt sind, was Gottgläubige überhaupt sind. Ich glaube, das ist ein Spezifikum, dem wir uns hier gesellschaftlich besonders stellen müssen und das als Laboratorium sicherlich auch für andere Gebiete in Zukunft dient.“
Vatican News: Wo wenig Wissen über den Glauben ist, bestehen aber auch weniger Vorurteile, richtig?
Förter: „Ja. Ich habe Freunde, die zu meiner Priesterweihe gekommen sind, die überhaupt nichts mit Kirche und Glauben anfangen konnten. Ich habe viel mit den Studenten damals in der Mensa gesprochen, die überhaupt nichts von Kirche verstanden haben, die ein paar Schlagworte aus dem Geschichtsunterricht präsentierten, aber die nicht feindlich-aggressiv waren, sondern indifferent-neugierig. Das ist eine gewisse Neugier, die nicht unsere Kirchen füllt, aber wir können immer wieder einladen und erklären. Wir haben viele Erfahrungen auch gehabt nach der Wiedervereinigung, dass religiöse Orden oder Gemeinschaften aus anderen Gebieten gekommen sind und gesagt haben: „Wir werden euch jetzt missionieren, ihr wartet ja nur darauf.“ Und wo die Menschen dann gesagt haben: „Wir warten überhaupt nicht auf euch. Ihr könnt aber gerne auch hierbleiben, wir stehen euch nicht feindlich gegenüber.“ Und das ist eine ganz andere Herausforderung von christlichem Zeugnis.“
Vatican News: Sechs Prozent Katholiken gibt es in Erfurt. 2024 findet dort der Katholikentag statt. Was erhoffen Sie sich davon?
Förter: „Wir erhoffen uns tatsächlich einmal auch diese Erfahrung eines Laboratoriums, eines Versuchsortes für christliches Leben in der postmodernen Herausforderung des modernen Lebens anbieten zu können. Wir haben die Hoffnung, die Bedeutung des christlichen Glaubens den Menschen hier vor Ort anbieten zu können, aber auch unsere Antwortversuche unsere Erfahrung, die wir gemacht haben, Katholiken mitzugeben, die aus anderen Religionen kommen und sie zu ermutigen indem wir sagen, wir leben Glauben ganz anders, als ihr es vielleicht erfahrt oder noch erfahrt, aber wir sind nicht undankbar über die Situation oder klagen, sondern sind voller Hoffnung und Freude, weil wir glauben, dass wir hier so ganz bewusst hingestellt sind, den Glauben zu leben.“
Vatican News: Erfurt wird, weil es so viele Kirche hat, auch als „thüringisches Rom“ bezeichnet. Sie sind nun schon seit einer Weile, wenn auch nur vorübergehend, in Rom am Tiber zu Hause, kennen beide Städte. Von römisch-katholischer Warte aus: Was könnte der Vatikan von Erfurt lernen?
Förter: „Was das Bistum Erfurt vielleicht einbringen könnte: Wir leben in einer Situation, die ich – so sehr ich sie auch beklage – wohl auch die Zukunft für andere Gebiete in Deutschland oder der Weltkirche ist. Und wir versuchen schon jetzt, einige dieser Erfahrungen so im Glauben zu durchdringen, zu durchbeten, aber auch zu gestalten, dass dieser Aufbruch im christlichen Glauben immer möglich bleibt. Das würde ich gerne auch aus dem Bistum Erfurt einbringen und eine Sprache, die wir hier in der Folge entwickelt haben, eine Sprache, die Glaubensfragen sehr einfach formuliert. Rom schreibt gerne längere Texte - und wir versuchen es mit ganz einfachen Begriffen. Papst Franziskus hat das einmal in seiner berühmten Predigt über Bitte, Danke und Entschuldigung getan. Wir haben es versucht, in den Werken der Barmherzigkeit – die modernen Werke der Barmherzigkeit damals zum Elisabeth-Jubiläum – zu sagen: Ich gehe mit dir. Ich höre dir zu. Ich teile mit dir. Ich besuche dich. Und auch das würde ich mir wünschen, dass in Rom ankommt: dass hier Menschen den Glauben bewusst leben und dass man nicht Sätze hört, wie ich im vergangenen Jahr, dass ihr das Geld habt und wir den Glauben. Das würde ich mir wünschen, dass man das auch wertschätzt in Rom.“
Die Fragen stellte Gudrun Sailer.
(vatican news)
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