D: „Der Osten erlebt gerade sein eigenes 1968“
Stefan von Kempis - Vatikanstadt
Das sagte der CDU-Politiker, der auch Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium ist, am Wochenende bei einem Besuch in der Redaktion von Radio Vatikan.
„Nach einer Generation stellt man sich kritisch der eigenen Geschichte von 1990 und nachfolgend und überlegt, ob das, was damals vonstatten ging, so vernünftig und richtig war.“ Natürlich habe diese Zeit neben vielen Gewinnern auch „Verlierer“ hervorgebracht; viele Menschen seien im Zuge der Wiedervereinigung unverschuldet „unter die Räder gekommen“. Hirte: „Das hat natürlich jeder in seinem eigenen Umfeld ganz praktisch mitbekommen und erlebt – und das wirkt bis heute nach.“
„Der Osten ist sehr heterogen“
Man dürfe die sehr unterschiedlichen Gegebenheiten im Osten Deutschlands „nicht alle in einen Topf werfen“, der Osten sei „sehr heterogen“. „Aber zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Ostdeutschen etwas mehr Pech hatten. Der Osten hatte das Pech, als Teil der DDR einen großen Teil der glücklichen Erfahrungen des Westens nicht machen zu können.“ Auch heute gebe es im Osten noch „Probleme“ und „Unterschiede struktureller Art“.
Die AfD sei „kein typisch ostdeutsches, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen, das aber im Osten stärker auftritt als im Westen, weil die strukturellen Unterschiede mit all den Problemen im Osten besonders ausgeprägt sind“. Die Bevölkerung im Osten sei aufgrund ihrer Erfahrungen der letzten Jahrzehnte „sehr viel skeptischer, was gesellschaftliche Veränderungsprozesse angeht“; das spiele der AfD in die Hände.
Zum Umstand, dass Ostdeutschland eines der „areligiösesten“ Gebiete der Welt ist, bemerkt Hirte: „Da haben der Nationalsozialismus und die DDR ‚ganze Arbeit geleistet‘. In meiner Heimat Thüringen gibt es etwa fünf oder sechs Prozent Katholiken und 25 Prozent Protestanten – und die überwiegende Mehrheit der Menschen ist konfessionslos. Ich würde gar nicht sagen, dass sie im eigentlichen Sinn atheistisch oder antichristlich wären, sondern das ist ein Thema, mit dem sie einfach nichts anfangen können. Es ist ihnen völlig fremd. Blanke Unkenntnis, teilweise.“
Trotzdem hätten evangelische wie katholische Kirche wesentlich zur Wende von 1989 beigetragen, weil sie „Rückzugsorte“ geboten hätten, „wo man offen reden und diskutieren konnte“. „Wenn man sich anschaut, wie aus den Kirchen heraus mit der Kerze in der Hand die Demonstrationen starteten, dann weiß man, dass das quasi ein Refugium war, in dem man kritisch die Lage im eigenen Land hinterfragt hat und sie dann auch positiv verändern wollte.“
In seinem Heimat-Bundesland Thüringen seien 1990 alle Landräte und alle Oberbürgermeister katholisch gewesen – und dass, obwohl die Katholiken dort gerade einmal fünf Prozent stellen. „Eine völlig irre Situation!“
(radio vatikan)
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