Kirche war weder „Nazikirche“ noch „Widerstandsnest“
Die kirchlichen Wortführer hätten sich nie dazu durchringen können, den Weltkrieg für „ungerecht“ und den NS-Staat als „Räuberstaat“ (gemäß der Lehre vom Gerechten Krieg von Augustinus) zu brandmarken und ihm damit die Legitimität abzusprechen. Erst in seiner letzten Predigt 1941 habe dies etwa der Salzburger Erzbischof Sigismund Waitz (1864-1941) in den Raum gestellt, was im Salzburger Dom mit spontanem Applaus quittiert worden war.
Weitgehend gilt laut Klieber aber: „Katholische Basis, Klerus und Episkopat blieben grundsätzlich loyal. Aber es war eine Loyalität mit Grenzen und unter Protest, der lauter und opferreicher war als der anderer Player der Gesellschaft.“ Nur wenige Kirchenvertreter hätten den Krieg zum Strafgericht Gottes überhöht oder schwärmten vom moralischen Kollateralnutzen. Klieber: „Es dominierte die Rede vom Leid. Von Gott erflehte man nicht mehr das ‚siegreiche', sondern ‚segensreiche' Ende, gefolgt von einem ‚gerechten Frieden'. Nach dem Urteil Goebbels: Defaitismus und Sabotage!“
Freilich gab es auch Ausnahmen. Der Kirchenhistoriker verwies auf den deutschen Feldbischof Franz Justus Rarkowski: „Seine Soldatenworte strotzten vor Regimetreue; und er stellte klar, dass Feldseelsorge exklusiv seine Domäne war. Kontakte ziviler Kirchenstellen mit der Front wurden untersagt, sogar das Zusenden von Schriften.“
Studien über die Feldgeistlichen zeigten hingegen, „dass sie zwar die Soldatentugenden von Gehorsam, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft hochhielten, durch die brutale Realität aber an Grenzen stießen“. Kliebers Resümee: „Das Gros der Priestersoldaten war „gut deutsch und erst recht katholisch, aber nicht nationalsozialistisch“.
„Waren sie weniger opferwillig?“
Häufiger als im Ersten Weltkrieg wurden Geistliche regulär einberufen, in der Regel zur Sanität, insgesamt rund 20.000 Priester, Ordensmänner und Theologen. Eine Statistik von 1943 zeige, dass bis dahin 15 Prozent der Priester im „Altreich“, aber nur zehn Prozent der „Ostmark“ eingezogen waren. Klieber: „War man hier findiger in puncto Militärfreiheit?“ Wiewohl 95 Prozent aller Seminaristen dienten, beklagte Österreich um ein Drittel weniger Gefallene (zehn Prozent; Deutschland 17 Prozent). Klieber: „Waren sie weniger opferwillig?“
Zur Frage, wie das einfache Kirchenvolk zum Weltkrieg stand, verwies Klieber auf eine Studie Erika Weinzierls aus dem Jahr 1979. Demnach habe die „durchgehende Ablehnung“ gegenüber der „(teilweisen) Unterstützung von Regimezielen“ im Verhältnis von fast vier zu eins überwogen. Die Haltung des Regimes bewirkte, dass der Kirchgang ab 1942 zum politischen Bekenntnis genützt wurde. „Hatte der Erste Weltkrieg die Kirchen eher geleert, so hat sie der Zweite gefüllt“, so Klieber.
Kein Burgfriede im Krieg
Auch hatte sich die leise kirchliche Hoffnung auf einen „Burgfrieden im Krieg“ nicht erfüllt. Im Gegenteil: „Das Regime griff nun noch härter durch, gipfelnd im sogenannten Klostersturm 1941, der Enteignung von 200 Ordenshäusern.“ 90 Prozent der Verhaftungen von Geistlichen sei nach 1940 erfolgt.
Wie wenig sich ein Prediger erlauben konnte, illustriert Klieber am Vorarlberger Alois Knecht. Er habe über das Psalmwort „Herr, zerstreue die Völker, welche Kriege wollen“ gepredigt. Er habe dies mit fünf Jahren KZ-Haft gebüßt. Man habe im Klerus gewusst: „Dachau ist schnell verdient.“ Eine Liste von 1942 benennt 75 Haftgründe, 25 mit Konnex zum Krieg: von der „Sabotage der Ehegesetze“ über „Miesmachen der Siegstimmung“ bis zur Abgabe von Zigarren an Polen. Prominentestes heimisches Opfer sei Carl Lampert gewesen, zweiter Mann der Administratur Innsbruck und damit ranghöchster Geistlicher in Österreich, der hingerichtet wurde. Im Dachauer Priesterblock saßen 2.600 Häftlinge ein, davon 1.800 Polen (Mordrate: 48 Prozent) und 450 „Deutsche“ (Mordrate: 21 Prozent).
Der Krieg sei auch Auftakt für die größten Regimeverbrechen gewesen, so Klieber: an Behinderten ab 1939 und an der jüdischen Bevölkerung ab 1942. Nur im ersten Fall habe es nennenswerten kirchlichen Protest inklusive mutiger Stimmen aus Österreich gegeben.
Nur Bischöfe konnten Kritik üben
Die Umstände hätten bedingt, dass sich allein Bischöfe Kritik erlauben konnten, ohne ihre Existenz zu gefährden. Die vatikanische Personalpolitik hätte bis dahin aber einen theologisch linientreuen Episkopat geschaffen, so Klieber: „Er zeigte die Stärken und Schwächen der Pianischen Ära (von Pius IX. 1846 zu Pius XII. 1958): hohes Amtsethos und Engagement, verbunden mit einem gehörigen Schuss Fundamentalismus und einem gerüttelten Maß an Betriebsblindheit. Seine Äußerungen dominierten lange Zeit Klagen über die eigenen Verluste. Sie schwenkten dann dazu über, die Basis in Glaubensfragen gegen das ‚Neuheidentum' zu stärken.“
Erst mit weit fortgeschrittenen Verbrechen hätten sich dazu menschenrechtliche Appelle gesellt, die stärksten 1943. Auch im Krieg und auch für die öffentliche Gewalt gebe es demnach ein Gewissen und eine Verantwortung vor Gott und der Geschichte. Unrecht bleibe Unrecht auch im Kriege. Tötung sei in sich schlecht, auch wenn sie angeblich im Interesse des Gemeinwohls verübt würde: an Geistesschwachen und Kranken, Geiseln und entwaffneten Kriegs- und Strafgefangenen, an Menschen fremder Rassen und Abstammung.
(kap – sk)
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