Unser Sonntag: Jesus stachelt gegen tiefste Bindungen auf
Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Lk 14, 25–33
Diese Forderungen Jesu gehören zum Schärfsten, das er je gesagt hat. Und sie sind nicht im Vorübergehen, zufällig, gesagt, sondern steigen immer wieder hoch, so wenn er einen Mann zum Reich Gottes ruft und ihm gleichzeitig verbietet, seinen Vater zu begraben (Lk 9,59f). Dieses schroffe Verbot ist Ärgernis. Kann das Kommen des Reiches nicht um den einen Begräbnistag verschoben werden?
Tatsächlich wird das Kommen des Gottesreiches verschoben - damals im bitteren Misserfolg Jesu, im Absturz in seine Todesangst und seine Vernichtung. Statt sich in einer undenkbar großen Geschichte zu verwirklichen, bis heute unvorstellbar, wo der Löwe neben dem Lamm liegt, wie Isaja sagt - stürzt „das Reich“ ab. Seitdem schwebt „das Reich Gottes“: angekündigt, im Vaterunser erbeten, aber erst mit unserer dürftigen Mitarbeit und im zweiten Kommen Christi endgültig. Sind seine scharfen Forderungen zur Mitarbeit also von vorgestern? Treffen sie nur die Hörer in der unmittelbaren Naherwartung? Das würde uns heute entlasten.
Jesus entlässt auch uns nicht aus seinem Ruf
Unsicher wissen wir, dass er uns keineswegs aus dem damaligen Ruf entlässt. Wie kann es aber sein, dass er uns gegen die tiefsten Bindungen geradezu aufstachelt? Gegen die Eltern, gegen die Kinder, gegen die Geschwister, gegen „alles“, sogar gegen das eigene Leben setzt er uns in Widerspruch. Das ist mehr, als sich vom Bösen zu lösen, mehr, als das Gute zu suchen, mehr, als in Überwindung an sich zu arbeiten. Sein Befehl ist nicht nur mehr, er ist anders. Alles, was an uns natürlich, was gutherzig, auch was gutgemeint ist, unsere ganze Natur, soll in das Feuer geraten. Christus ist anders als „die Welt“, auch anders als unsere weltlichen Vorzüge.
Selbst die große Liebe zu Mann und Kind und zu den Eltern wird eingefordert, wird geprüft, wird von Ihm eingezogen. Dass wir sie zurückerhalten, bleibt die große Hoffnung, die uns erlaubt, ja sogar geboten ist. Aber sie wird in der Weise zurückgegeben, wie nur der Herr sie gestaltet. Vermutlich, nach allem, was wir von ihm wissen und überliefert bekommen haben, in unvorstellbar schöner Weise gestaltet. Aber bis dahin gehören wir Ihm, nur Ihm. Auch nach der Läuterung gehören wir Ihm, nur Ihm, und wem er uns geben will.
Ist das schön oder erschreckend?
Bevor darauf eine Antwort kommt, nochmals die Prüfung: Warum muss das Natürliche durch Sein Feuer gehen? Weil es in sich noch unrein ist. Unrein meint nicht unkeusch, sondern selbstbezogen, selbstherrlich, dem eigenen Vorteil unterschwellig zugeordnet. Unsere Übersetzung hat den ersten Satz Jesu etwas abgeschwächt: „… wer nicht Vater und Mutter und … sein Leben geringachtet“; man könnte es aber wörtlicher sagen: „…wer nicht Vater und Mutter und … sein Leben haßt…“ Wie könnte man seine Lieben „hassen“ und ebenso sein eigenes Leben? Hassenswert ist das, was einem feindlich ist, was am Selbstsein hindert, was das Beste in uns verdeckt. Solcher „Hass“ trifft die innersten Blockaden, auf die wir nur selten stoßen und die meist nur im großen Schmerz aufgebrochen werden. Letztlich werden sie für die meisten nur im Tod aufgebrochen. Franz von Sales sagte den bemerkenswerten Satz: „Unsere Selbstsucht stirbt eine halbe Stunde nach unserem Tod.“
Verzichten auf das, worauf mein Ich sitzt
Darin liegt die Problemanzeige. Hassen meint: innerlich wollen und zulassen und verstehen, dass wir von unseren Vorlieben, unseren Fähigkeiten Abstand nehmen müssen. Das meint das harte Wort, auf den ganzen „Besitz“ zu verzichten: das, worauf mein Ich sitzt. Worin es sich eingegraben hat wie ein Ameisenlöwe in seinem winzige Nest. Zumeist sind unsere Fähigkeiten nicht schlecht, aber sie sind gefärbt von einem nicht geraden Wollen, einem auf sich gekrümmten Tun. Augustinus nennt die Sünde eine „Kurve auf sich selbst“, curvatio in se ipsum. Und diese Kurve wird „gerichtet“, so dass es knackt. Der feine Lack auch unserer guten Taten und guten Absichten wird abgesprengt. Wir dürfen sagen, ja, wir dürfen hoffen, dass wir uns danach zurückgegeben werden, neu und jung und wunderbarer als vorher.
Erlösung ist größer als die Schöpfung
In einer Mess-Oration heißt es: „Du hast uns erschaffen und noch wunderbarer erneuert.“ Erlösung ist größer als die Schöpfung - ein ungeheurer Satz! Das Leiden Jesu ist tiefer und größer als die Stunde, in welcher die Welt ins Dasein gerufen wurde. Und es kommt noch hinzu: Erlösung ist keine Automatik. Die Kirchenväter sagten, Gott habe uns ohne uns erschaffen, aber er werde uns nicht ohne uns erlösen. Er löst uns nur von uns selbst, wenn wir zustimmen. Anders: Er zieht uns nicht wie einen leeren Sack hinter sich her. Wir werden nicht hingeschleift, wohin wir nicht wollen. Wie jeder Liebende wünscht auch Gott die Gegenliebe, die - vielleicht bebende - Antwort, dass wir ihm gehören wollen. Wir müssen wollen wollen. Auch darin ist der Tod ein meisterliches Werkzeug der Liebe: weil er uns nochmals vor die Entscheidung stellt, ob wir Ihm nun endgültig gehören wollen.
Nochmals zu unserem Text: Was tun, wenn man Eltern und Kinder hat, in einer Ehe lebt - und die Ehe ist bekanntlich ein Sakrament, das gleich im Anfang gestiftet wurde? Was daran soll man „hassen“? Noch dazu in einem heutigen Klima, das gegen die Familie eingestellt ist? Es ist schwer, darauf zu antworten. Wenn Jesus solche harten Worte wählt, haben wir sie einfach zu nehmen. Haben wir uns zu fragen, ob das familiäre oder eheliche Beisammensein der Bequemlichkeit, dem Genuss, dem Eingerichtetsein in dieser Welt dient - „Blut ist dicker als Wasser“. Ob es dem Besten des anderen dient, oder eine gemeinsame Selbstsucht nur fördert. Ob es einem Egoismus zu zweit, zu dritt, zu viert frönt. Ob es eine gemeinsame Eitelkeit auf gute Abstammung, auf Besitz, auf eine intakte Familie nährt. Denken wir an den Märtyrer Nikolaus Groß; bei der Verhaftung durch die Gestapo fragte seine kleine Tochter: „Vater, wohin gehst du?“ Er gab keine Antwort, er ging mit und wurde für das Bekenntnis zu Christus getötet. Hat er deswegen seine Tochter und seine Frau weniger geliebt?
...auch Christus hatte Todesangst
Große Fragen, aber auch große Antworten. Oben blieb offen: Ist das schön oder erschreckend? Natürlich für die eigene Natur erschreckend, und wir dürfen erschrecken - auch Christus selbst hatte Todesangst, als er in diesen Absturz „für uns“ gehen musste, er, der nicht selbstsüchtig war, aber sich für unsere Selbstsucht das Herz durchbohren ließ.
Aber mehr noch ist die Ansage Jesu schön. Wir wissen glaubend, wir glauben hoffend, dass wir in einer wunderbaren Weise von uns getrennt und dabei „erneuert“ werden. Unvorstellbar, aber zugesagt. Er, der uns das Schwert gebracht hat, sogar seiner eigenen Mutter, wird uns auch heilen.
(vatican news - claudia kaminski)
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