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Migranten, Caritas, Reform: Malteser-Großkanzler v. Boeselager im Interview

Das Phänomen von Flucht und Migration wird „uns noch Jahrzehnte begleiten“. Das sagte der Großkanzler des Souveränen Malteserordens, Albrecht Freiherr von Boeselager, an diesem Donnerstag im Interview mit Radio Vatikan in Rom.

Stefan von Kempis - Vatikanstadt

„Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen – sei es solcher, die ihre Länder verlassen haben, oder solcher, die innerhalb der Länder ihre Heimat aufgeben mussten – ist seit 2015 noch einmal stark gestiegen. Also, weltweit ist das Problem keineswegs erledigt!“

Albrecht von Boeselager, der seit 2014 Großkanzler des Ordens ist, wies in diesem Zusammenhang auf das starke Engagement der Malteser bei der Hilfe für Migranten und Flüchtlinge hin.

„Wir sind präsent in Herkunftsländern der Flüchtlinge; wir begleiten sie an vielen Stellen auf ihrem Weg und haben große Hilfsprojekte in den Zielländern. In Afrika oder in Konfliktregionen versuchen wir, den Menschen zu helfen – auch dabei zu helfen, Strukturen aufzubauen, die es Menschen ermöglichen, zu bleiben. Hier in Italien sind unsere Ärzte und freiwilligen Helfer auf den Schiffen der italienischen Marine und Küstenwache aktiv, um die aufgefischten Migranten oder Flüchtlinge medizinisch zu versorgen. Und in den Aufnahmeländern wie z.B. in Deutschland betreiben wir Aufnahme-Einrichtungen, entwickeln Integrationsprojekte. In Deutschland haben wir die Idee der Integrationslotsen eingeführt, und das geht sehr erfolgreich.“

Hier können Sie unser Interview mit Albrecht Frhr. von Boeselager hören.

Hier können Sie das gesamte Interview von Radio Vatikan mit Albrecht Frhr. v. Boeselager lesen. Die Fragen stellte Stefan v. Kempis.

Frage: Freiherr von Boeselager, der Großmeister des Malteserordens war vor kurzem auf Staatsbesuch in Deutschland. Was war das Besondere daran?

„Großreich der Nächstenliebe“

von Boeselager: „Es war der erste offizielle Besuch des Großmeisters in Deutschland nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Malteserorden. Insofern hatte dieser Besuch schon eine große Bedeutung. Allerdings – zusätzlich zum offiziellen Besuch in Berlin, der einen Tag gedauert hat - hat der Großmeister über mehrere Tage Aktivitäten des Malteser-Ordens und Malteser-Hilfsdienstes in Deutschland besucht. Er war sehr angetan von dem, was er gesehen hat – von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Aktivitäten, vom Engagement sowohl der Ehrenamtlichen als auch der hauptamtlich Beschäftigten.“

Frage: Von einem „Großreich der Nächstenliebe“ hat Bundespräsident Steinmeier beim Besuch des Großmeisters gesprochen. Ist das eine passende Definition für den Orden?

von Boeselager: „Ich hoffe, ja! Es gehört zu unserem Gründungscharisma und Gründungsauftrag, durch die Hilfe für Bedürftige und Menschen in Not die Liebe Christi den Menschen gegenüber erfahrbar zu machen.“

Frage: Was ist es denn, was den Maltesterorden von einer ,alten NGO' unterscheidet?

von Boeselager: „Also, der Begriff NGO wird heutzutage sehr missbraucht – in gewisser Hinsicht ist Caritas auch eine NGO. Aber im Sprachgebrauch, der sich in der Kirche eingebürgert hat, ist NGO ein Begriff für Organisationen, die säkular arbeiten und keinen christlichen Auftrag ausführen, und insofern besteht der Unterschied darin, dass die Tätigkeit des Malteserordens einfach auf dem Gebot der Nächstenliebe fußt und das in der Welt umsetzen möchte.“

Frage: Wir sitzen hier im römischen Palazzo Magistrale; der Orden schleppt eine jahrtausendealte Geschichte hinter sich her. Hier stehen sogar Ritterrüstungen… Ich will jetzt nicht fragen: Ist das noch zeitgemäß – aber was hilft es dem Orden, was bringt es dem Orden, und was bringt es anderen, dass der Orden diese Geschichte und diese Erfahrung hat?

„Die Tradition schafft Vertrauen“

von Boeselager: „Wir haben mal vor einigen Jahren einen Wettbewerb beim Malteser-Hilfsdienst ausgeschrieben, was ein Motto für die Arbeit des Malteser-Hilfsdienstes sein könnte. Da kamen verschiedene Vorschläge auf – einer davon hieß: Aus Tradition modern. Das heißt also: treu zu der Tradition, aufbauend auf der Tradition, unsere Hilfe und alles, was wir tun, immer den Nöten und Möglichkeiten der Zeit und der Gegend, wo wir arbeiten, anzupassen. Ich glaube: Weil uns das gelungen ist über die knapp tausend Jahre seit unserer Gründung, sind wir noch präsent und können unsere Aufgaben noch wahrnehmen. Die Tradition schafft Vertrauen; eine Organisation, die es geschafft hat, über so lange Zeit diesem Anspruch mehr oder weniger zu genügen, schafft Vertrauen. Das merken wir besonders in Gegenden, wo Konflikte herrschen oder Katastrophen sind: Die Menschen vertrauen uns, dass wir wirklich nur da sind, um zu helfen, und nicht, um irgendwelche verborgenen Absichten auszuführen.“

Frage: Was sind denn die Schwerpunkte der Hilfe, wo ist der Orden besonders aktiv?

von Boeselager: „Das ist schwer mit wenigen Sätzen zu sagen, weil wir eben keinen Schwerpunkt für den gesamten Orden haben, sondern durch unsere Helfer und Mitglieder vor Ort versuchen herauszufinden, was die lokalen und besonders dringenden Nöte sind, um darauf zu reagieren. Das kann also sehr unterschiedlich sein – und was wir in einem entwickelten, hochindustriellen europäischen Land tun, ist unterschiedlich zu dem, was wir in einem Land südlich der Sahara tun. Ein genereller und traditioneller Schwerpunkt liegt auf Hilfen, die mit medizinischen Hilfen zu tun haben – aber immer mehr geht es uns auch darum, soziale Felder abzudecken.“

Frage: Was tut der Malteserorden denn im Fall von Flüchtlingen und Migranten? Das ist ja eines der großen Phänomene unserer Zeit.

von Boeselager: „In der Hilfe für Migranten und Flüchtlinge sind wir sehr engagiert. Wir sind präsent in Herkunftsländern der Flüchtlinge; wir begleiten sie an vielen Stellen auf ihrem Weg und haben große Hilfsprojekte in den Zielländern. In Afrika oder in Konfliktregionen versuchen wir, den Menschen zu helfen – auch dabei zu helfen, Strukturen aufzubauen, die es Menschen ermöglichen, zu bleiben. Hier in Italien sind unsere Ärzte und freiwilligen Helfer auf den Schiffen der italienischen Marine und Küstenwache aktiv, um die aufgefischten Migranten oder Flüchtlinge medizinisch zu versorgen; das tun wir seit vielen Jahren. Und in den Aufnahmeländern wie z.B. in Deutschland betreiben wir Aufnahme-Einrichtungen, entwickeln Integrationsprojekte. In Deutschland haben wir die Idee der Integrationslotsen eingeführt, und das geht sehr erfolgreich. Also, wir sind in diesem ganzen Bereich sehr engagiert und glauben auch, dass das eine Problematik ist, die uns noch Jahrzehnte begleiten wird.“

Frage: Noch Jahrzehnte? Ist nicht seit 2015/16, in Anführungszeichen, das Schlimmste vorbei, wenn man deutschen Zeitungen glauben kann?

von Boeselager: „Die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen – sei es solcher, die ihre Länder verlassen haben, oder solcher, die innerhalb der Länder ihre Heimat aufgeben mussten – ist seitdem noch einmal stark gestiegen. Also, weltweit ist das Problem keineswegs erledigt!“

Frage: Kommen wir noch einmal zurück zum Großmeister-Staatsbesuch in Deutschland. Was sind denn Projekte oder Ideen, die sich daraus ergeben haben?

von Boeselager: „Ein Großmeister-Besuch ist nicht in erster Linie dazu da, neue Ideen zu entwickeln. Es geht eher darum, dem Großmeister zu ermöglichen, mit eigenen Augen zu sehen, was geschieht, und mit Helfern und denjenigen, denen geholfen wird, zu sprechen. Berichte oder Artikel lesen ist immer etwas anderes, als solche Projekte mit eigenen Augen gesehen zu haben. Das ist für uns alle in der Regierung des Ordens immer wieder notwendig, damit wir aus eigener Anschauung die Problematik kennen. Damit schaffen wir die Grundlage, hier die richtigen Entscheidungen zu treffen.“

Frage: Was zeichnet aus Ihrer Sicht die deutschen Malteser aus?

„Berufungen kann man nicht machen – die werden vom Himmel geschenkt“

von Boeselager: „Deutschland ist das Land, in dem die umfassendsten Aktivitäten des Malteserordens ausgeführt werden und wohl auch die breiteste Palette an Hilfen ausgebaut worden ist. Insofern ist Deutschland für den Orden ein ganz wichtiges Land.“

Frage: Der Malteserorden ist durch eine schwierige Umbauphase gegangen. An welchem Punkt stehen wir jetzt – mit dem neuen Statut, mit dem Großmeister, mit dem Reformprozess, der ja auch mehr Profess-Berufungen im Orden wecken soll?

von Boeselager: „Wir haben eine Reihe von Schritten geschafft, aber einen längeren Prozess noch vor uns. Wenn man so eine alte Organisation reformieren will, muss man das manchmal mit Vorsicht machen, sonst reißt man irgendwo eine Wand ein und weiß nicht, welche andere Wand möglicherweise einstürzt, die man gar nicht einreißen will. Das verlangt viel Kommunikation, viel Beratung. Insbesondere was den sogenannten Ersten Stand angeht, also die Mitglieder des Ordens, die Mönchsgelübde ablegen, welche wir Profess nennen, ist natürlich auch eine Abstimmung mit dem Vatikan notwendig, weil insofern der Malteserorden natürlich dem Heiligen Vater untersteht. Da sind wir im Gespräch – wie lange das noch dauert, ist schwer vorherzusagen. Wir hoffen schon, dass dieser Prozess bzw. das Ergebnis dazu führt, dass wir wieder mehr Berufungen in den Ersten Stand haben werden. Aber Berufungen kann man nicht machen – die werden vom Himmel geschenkt.“

Frage: Was sind denn die Schritte, die schon gelungen sind?

„In Finanzfragen haben wir keine Leichen im Keller - das ist schon mal gut“

von Boeselager: „Es sind teilweise ganz banale Schritte, die aber gar nicht einfach sind. Die gesamte Finanz- und Vermögensverwaltung ist modernisiert worden, wir haben jetzt externe Audits, die uns auch bestätigt haben, dass unsere Finanzverwaltung in Ordnung ist. Insofern haben wir keine Leichen im Keller, das ist schon mal gut! Und das ist modernisiert, so dass wir auch Menschen, die mit modernem Rechnungswesen vertraut sind, beweisen und klarmachen können, dass bei uns die Finanzen in Ordnung sind.

Es sind das erste Mal Frauen in Entscheidungsgremien gewählt worden bei den letzten Kapiteln; daran haben auch Frauen teilgenommen. Frauen sind ein ganz wichtiger Faktor in unserer Hilfe, weil sie einfach andere Talente und andere Charismen in unsere Arbeit mit einbringen. Deswegen sollen sie auch an Führungspositionen beteiligt werden.

Wir haben eine in vielen Teilen der Welt sehr stark wachsende Jugendarbeit und Interesse von Jugendlichen am Malteserorden – das muss sich ja auch in neuen Strukturen wiederfinden. Also, da ist schon eine ganze Menge passiert.“

Frage: Jetzt mal eine Frage aus deutscher Perspektive. Malteser und Johanniter haben sich gespalten, haben aber eigentlich dasselbe Ideal vor Augen. Kann man die nicht irgendwann einmal ökumenisch zusammenführen? Oder ist das naiv gedacht?

von Boeselager: „Also, man wird sie ökumenisch zusammenführen können, wenn es auch eine Wiedervereinigung der Kirchen gibt! Die Johanniter sind in ihre evangelischen Kirchen eingebunden, wir sind Bestandteil der katholischen Kirche, insofern können wir nicht von unseren Kirchen separate Wege gehen. Das hindert uns aber nicht, zusammenzuarbeiten. Wir haben regelmäßige Treffen; alle drei Jahre treffen wir uns mit den vier verschiedenen, protestantischen Johanniterorden.“

Frage: Hat es gewissermaßen sogar etwas Gutes, dass es die Malteser, so gesehen, zweimal gibt?

von Boeselager: „Naja – wenn man die Leistungen und Hilfen zusammenrechnet, kommt sehr viel mehr raus, als wenn wir alleine wären…“

Frage: Wenn Sie jemandem, der vom Malteserorden noch nie gehört hat, erklären müssten, warum es ihn geben muss – was würden Sie sagen?

von Boeselager: „Also, der Malteserorden ist einer der vier ältesten Orden der Kirche – und der erste, der die karitative Arbeit zum Zentrum seiner Mission gemacht hat. Inzwischen gibt es viele Orden, die sich um karitative Arbeit generell oder spezialisiert auf bestimmte Felder konzentriert haben. Aber ich glaube, dass wir doch noch einen sehr wichtigen – ich will nicht sagen ‚unersetzbaren‘, aber im Moment doch einzigartigen – Auftrag haben. Das liegt auch daran, dass der Malteserorden eine Doppelnatur hat: Er ist einerseits ein religiöser Orden und andererseits ein souveränes Subjekt des Völkerrechts mit diplomatischen Beziehungen zu über hundert Staaten und Beobachterstatus bei der UN. Das ermöglicht es uns vor allem in Krisenregionen, häufig tätig zu werden, wo andere nur schwer tätig werden können und wo wir auch direkten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern haben. Auch werden wir von den Menschen als vollkommen unabhängig wahrgenommen, also nicht mit irgendeinem Staat verbunden. Das ist gerade in Konflikten sehr vorteilhaft.“

(radio vatikan)

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31. Oktober 2019, 15:15