Ö: In der Kirche auch „Missbrauch im Kopf“ verhindern
Der Jesuiten-Theologe Anton Witwer ortete in der Kirche ein Umdenken: In der Vergangenheit sei sie tendenziell als Machtinstrument gesehen worden, heute besinne sie sich darauf, zu dienen statt zu herrschen, sagte er auf der Fachtagung.
Freilich: Quantitative Kriterien wie mögliche Kirchenaustrittszahlen müssten beim Umgang mit Missbrauch in den eigenen Reihen nachrangig sein, sonst würden aus Imagegründen erneut Türen zum Missbrauch geöffnet, warnte der aus Vorarlberg stammende Theologe. Für ihn sind - wie er in seinem Vortrag sagte - auch Sätze wie „Wir werden dich schon noch katholisch machen!“ Ausdruck einer zum Missbrauch bereiten Haltung.
Wann sei nun von „geistlichem Missbrauch“ zu sprechen? Witwer nannte Aspekte wie den zwanghaften Versuch, andere auf eine bestimmte Glaubenspraxis festzulegen, statt auf spirituelle Angebote und Hilfen zur freien Entscheidung zu setzen. Es gebe nicht „die richtige“ Art zu glauben, somit dürften von der eigenen Form abweichende nicht diskreditiert werden. Jede strikte Abgrenzung von anderen im Sinne von „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ stehe für Missbrauch, so Witwer weiter. Als symptomatisch dafür beschrieb er auch die Bindung einzelner „Auserwählter“ an eine Führungsperson, der es „letztlich nur um Machtausübung geht“.
Der Jesuit beschrieb geistlichen Missbrauch als Instrumentalisierung der Gottesbeziehung und des Glaubens, mit dem Ziel, andere von sich abhängig zu machen. Der Täter hindere seine Opfer an einer eigenen tiefen Beziehung zu Gott und verbiege deren Gewissen gemäß seinen eigenen Ansichten - oft verbunden mit einem rigiden, Leistung einfordernden Gott. Den setzte Witwer das Jesus-Wort von den Herrschenden entgegen, die ihre Macht über die Menschen missbrauchen: „Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein“ (Mk 10,43).
Auch Buddhisten haben Missbrauchs-Problem
Auch der Grazer Moraltheologe Walter Schaupp verwies auf freiheitseinschränkende Facetten von geistlichem Missbrauch wie Kontrolle, emotionalen Druck, Kritikverbot oder - besonders Frauen gegenüber - Demutsforderungen. Das Prinzip: Der religiöse „Führer“ weiß, was Gott mit anderen will, und er gibt diesen Willen authentisch wieder. Die Bibel wird dabei oft als Argument missbraucht, so Schaupp.
Derartige Phänomene seien jedoch nichts spezifisch Christliches, auch der Buddhismus habe - wenngleich hierzulande wenig beachtet - ein großes Problem mit spirituellem Missbrauch, oft auch in Kombination mit sexuellem. Im kirchlichen Kontext seien evangelikale Gruppierungen mit „elitärem religiösem Anspruch“ besonders anfällig, denen die traditionellen Großkirchen als lauwarm und erschlafft erschienen.
„Nimbus der Verlässlichkeit und Sicherheit“
Günter Klug, Leiter der Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit „pro mente“, spannte den Bogen noch weiter: Missbrauchsgefährdete Organisationen seien solche mit einem „positiven Zweck“, der auch öffentlich bekannt sei, die ihren Mitgliedern eine sinnvolle Tätigkeit mit hohem Image böten; klare Hierarchien vermittelten den „Nimbus der Verlässlichkeit und Sicherheit“, auch eine lange Tradition und entsprechende Strukturen seien gerade für labile Charaktere anziehend. Und: Verantwortliche hätten viele Freiräume in ihrer Arbeit mit Gruppen oder Einzelnen. All das gilt laut Klug nicht nur für die Kirche, sondern auch für Einrichtungen wie Schule, Universität, Armee, Vereine, Heime oder psychotherapeutische Settings.
Die steirische Landgerichts-Präsidentin Caroline List berichtete aus der mittlerweile neunjährigen Tätigkeit der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft („Klasnic-Kommission“). Mehr als 2.100 Fälle - meist mehrere Jahrzehnte zurückliegend - seien von ihr und anderen renommierten Fachleuten wie der jetzigen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein, dem Psychiater Reinhard Haller, Udo Jesionek von der Opferhilfsorganisation „Weißer Ring“ oder Ulla Konrad vom Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen bereits behandelt worden. Viele darunter beträfen den geistigen Missbrauch.
Dabei seien strafrechtlich relevante Tatbestände nicht so eindeutig zu klären wie bei körperlicher Gewalt oder sexuellen Übergriffen. List berichtete von einem Abt, der nach Anschuldigungen gegen jemand inzwischen Verstorbenen aus seiner Ordensgemeinschaft beim Opfer telefonisch intervenierte - ein Vorgehen, das zwar Druck ausübe, aber nicht strafbar sei.
Wenn das Opfer die „Sünde“ beim Täter beichten muss...
Ihr sei auch untergekommen, dass manche Opfer als „Sünde“ das beim Täter beichten hätten müssen, was ihnen dieser antat, erzählte die Richterin. Geistlicher Missbrauch sei jedoch äußerst vielgestaltig und schwer nachweisbar.
List hält - wie sie sagte - das Strafrecht für keine geeignete Reaktion auf geistlichen Missbrauch. Das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz nehme Organisationen für ihre Vertreter in die Pflicht und betreffe auch die Kirche - aber nicht für alle Fälle, wie die Richterin sagte. In Bezug auf Verjährung von Missbrauchsfällen erklärte sie, Österreich sei im internationalen Vergleich hier vorbildhaft.
(kap – sk)
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