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Flüchtlinge auf Lesbos Flüchtlinge auf Lesbos 

D/Griechenland: „So kann es einfach nicht weitergehen“

Während viele in Europa die Weihnachtszeit genießen, sitzen Tausende Menschen in notdürftigen Zeltstädten auf den griechischen Inseln fest. Die Kinderpsychologin Katrin Glatz Brubakk war vor Ort und berichtet von unhaltbaren Zuständen.

DOMRADIO.DE: In den Flüchtlingslagern im Osten der Ägäis sind nach Angaben der Regierung um die 40.000 Menschen untergebracht, obwohl nur Platz für rund 7.500 Menschen ist. Man kann sich die Lage vor Ort kaum vorstellen. Sie waren als Klinische Kinderpsychologin für "Ärzte ohne Grenzen" vor Ort. Wie stellt sich die Situation in diesen Flüchtlingslagern derzeit dar?

Katrin Glatz Brubakk (Kinderpsychologin für Ärzte ohne Grenzen): Zurzeit ist es sehr, sehr schlimm. Es ist schwierig, es so zu beschreiben, dass man sich das richtig vorstellen kann. Menschen schlafen zum Teil direkt auf dem Boden, weil einfach keine Zelte mehr da sind. Wenn Sie Zelte haben, regnet es rein. Es ist kalt. Es ist überraschend kalt in Griechenland um diese Zeit. Sogar ich als Norwegerin habe gefroren. Da kann man sich nur vorstellen, wie kalt es ist, wenn man da nachts in einem kleinen Zelt schlafen muss.

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DOMRADIO.DE: Und das einzige, was die Menschen schützt sind Planen, oder?

Brubakk: Dünne Planen ja, wo es zum Teil durchregnet. Das heißt, ihnen ist kalt, sie sind nass. Eine Familie hat meistens um die vier Quadratmeter zur Verfügung. Das ist ungefähr so groß wie mein Doppelbett. Also es ist alles sehr gedrängt.

Noch dazu kommt natürlich die Essenssituation. Das Essen ist begrenzt. Das heißt, man muss meistens um die drei, vier Stunden pro Mahlzeit Schlange stehen, um überhaupt etwas zu essen zu kriegen. Kinder erzählen uns, dass sie so wenig essen und trinken wie möglich, dass sie nicht so oft zur Toilette müssen, weil das dreckig ist und man auch da Schlange stehen muss.

Wenn man so viele Menschen unter so schlechten Bedingungen zusammenbringt, geht es ihnen erstens psychisch sehr, sehr schlecht, und dann gibt es schnell Konflikte zwischen den verschiedenen Gruppen. Und weil sich Menschen unter solchen Bedingungen oft in die Haare kriegen, bekommen die Kinder natürlich auch Angst, wenn die Eltern oder die Erwachsenen anfangen zu zanken und da viel Krach ist. 

Als Kinderpsychologin mache ich mir wahnsinnige Sorgen um all die Kinder, die ich getroffen habe und die mir erzählt haben, wie viel Angst sie haben und dass sie das Gefühl haben, dass sie doch nicht in ein sicheres Land gekommen sind, obwohl sie deswegen geflüchtet sind.

DOMRADIO.DE: Es muss schnell Hilfe her. Kurz vor Weihnachten wurden die Forderungen auch in Deutschland lauter. Der Ratspräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bedford-Strohm Beispiel, forderte ein humanitäres Zeichen. Grünen-Chef Robert Habeck hat sich zu Wort gemeldet, und auch die Hilfswerke, Caritas und Diakonie, fordern schnelle Hilfe. Ist denn etwa passiert in den letzten Tagen seit diesen Aufrufen kurz vor Weihnachten?

​Brubakk: Leider, leider nein. Es ist wirklich eine totale Krise und die Lage muss politisch gelöst werden. Und diese Fähigkeit, dass die Politiker eine Lösung finden und sich zusammenzusetzen und überlegen, was wir machen, ist leider nicht vorhanden. Das ist sehr, sehr traurig, und es wird langsam extrem kritisch.

DOMRADIO.DE: Können Sie dass denn nachvollziehen, wenn es heißt, man braucht eine europäische Lösung und keinen deutschen Alleingang?

​Brubakk: Alleine kann kein Land die Lage lösen. Deutschland kann es nicht, Griechenland kann es nicht. Man muss zusammen eine Lösung finden. Entweder so, dass man Griechenland hilft, die Lage zu verbessern oder dass die Geflüchteten  in verschiedenen Ländern verteilt werden. Aber kein einziges Land kann dies alleine machen. Ich bin aber sehr froh, dass in Deutschland so viele dafür sprechen, dass man eine Lösung finden soll. Ich lebe in Norwegen und leider ist es hier ganz, ganz still. Wir versuchen eigentlich, Deutschland nachzuahmen, damit sich mehr Leute dafür sprechen, dass wir eine Lösung finden.

DOMRADIO.DE: Inwieweit reagiert denn die Europäische Union auf diese angespannte Situation vor Ort?

​Brubakk: Leider ist es bis jetzt sehr still gewesen. Man sagt, wir schicken Griechenland genug Geld und das muss ausreichen. Nur sind so viele Menschen gekommen, dass es auch für das griechische System nicht möglich ist, dies allein zu lösen. Es sind einfach zu viele Menschen und zu wenig Ressourcen. Wenn Ärzte ohne Grenzen versucht, griechische Ärzte anzustellen, kriegen wir nicht genug Bewerber. Einfach, weil die griechischen Ärzte schon seit langer Zeit in Deutschland oder Norwegen oder England sind, sodass auch Geld allein nicht helfen kann. Wir müssen den Menschen auch helfen, dass genug Personal da ist und auch Lager und Häuser da sind, wo diese Menschen wohnen können.

DOMRADIO.DE: Das wird momentan am dringendsten benötigt?

​Brubakk: Ja, sehr, sehr, sehr dringlich. Vor einem Monat ist ein Kind wegen Durchfall gestorben, weil einfach die Bedingungen so schlecht waren, dass wir ihm nicht helfen konnten. Zwei Frauen sind umgekommen wegen Bränden, weil die Leute so dicht wohnen und alles so unstabil ist. Ein Junge hatten einen anderen Jugendlichen umgebracht, weil sie im Konflikt waren und keiner helfen konnte oder wollte. So kann es einfach nicht weitergehen. Es ist kritisch.

(domradio – mg)

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30. Dezember 2019, 13:49