Unser Sonntag: Der Unendliche kommt in der Gestalt der Endlichkeit
Prof. P. Dr. Karl Wallner OCist,
Joh 1,1-18
2. Sonntag nach Weihnachten
Das Evangelium, das wir heute hören, ist die Einleitung zum Johannesevangelium. Der heilige Johannes, der diesen „Prolog“ geschrieben hat, beschreibt sich selbst als den Lieblingsjünger Jesu, der beim letzten Abendmahl an der Brust des Herrn geruht hat. Er ist unter dem Kreuz gestanden; ihm wurde auch Maria vom Kreuze her als Mutter anvertraut… Die Kirche verehrt ihn als den Einzigen von den Aposteln, der nicht das Martyrium erlitten hat.
Sein Fest am 27. Dezember feiern wir in weißer und nicht in blutroter Farbe wie die anderen Apostelfeste. Er hat das Martyrium des Herzens ja schon unter dem Kreuz erlebt, wo alle anderen Jünger geflohen waren…
Wir Christen glauben mehr!
Dieser Johannes gibt all das, was er gesehen und gehört hat, in seinem Evangelium weiter. Der Einleitungsprolog ist der Schlüssel zum Verständnis seines Evangeliums und quasi das Fundament, um sich dem Geheimnis der Erlösung anzunähern, um es annehmen zu können. Denn an die Offenbarung Gottes durch die Worte haben schon die Juden im Alten Testament geglaubt, auch im Islam glauben die Muslime, dass Gott sich durch die Worte des Korans offenbart hat – daraus resultiert die Heiligkeit der Schrift. Doch: Wir Christen glauben mehr! Wir glauben, dass in Christus Gott sich selber geoffenbart hat: nicht bloß durch Menschen, sondern als Mensch; nicht bloß durch Worte, sondern als fleischgewordenes Wort.
Dramatik der Offenbarung
Der Johannesprolog drückt diese Dramatik der Christusoffenbarung sehr eindrucksvoll aus: Jesus redet nicht nur die Worte Gottes, sondern er selbst ist personal das Wort Gottes, das im Anfang war, durch das schon alles geworden ist. Und jetzt geschieht dieser Donnerschlag, diese Zäsur, dieses unerfindlich Neue: Gott betritt als Mensch die Bühne der Welt: „Und das Wort ist Fleisch geworden!“ Wir glauben, dass Christus die letzte und endgültige Offenba-rung Gottes ist. Durch ihn hat Gott der Welt alles gesagt und gegeben. Die Kirche lehrt, dass mit Christus Gottes Offenbarung endgültig abgeschlossen ist. Gott kann das Wort, das er mit Christus zur Welt gesprochen hat nicht mehr überbieten. Gott kann nicht mehr geben, denn er hat in seinem Sohn schon alles gegeben. Die Privatoffenbarungen, die es bis heute zahlreich in der Kirche gibt, können der einen Christusoffenbarung nichts mehr hinzufügen. Sie rücken nur einzelne Aspekte heller ins Licht.
Der Logos
Weihnachten ist das Geburtsfest Jesu Christi. Aber dieses Kind in der Krippe ist nicht irgend-ein Kind, sondern es ist das fleischgewordene Wort Gottes. - Ich möchte Sie zu ein bisschen Theologie einladen, denn Wort heißt auf Griechisch „Logos“. Heute verstehen wir im Deut-schen unter „Wort“ oftmals ein Laut-Gebilde, eine Information oder eine Lehre. Selbst der griechische Ausdruck dafür – der „Logos“ – der im Johannesprolog verwendet wird, wird oft nur teilweise richtig als „Wort“ oder „Gedanke“ wiedergegeben. Dieses Verständnis führt zu einem gefährlichen Irrtum, auch unter den Gläubigen heute: Viele tun so, als wäre der christ-liche Glaube nichts anderes als das Fürwahr-Halten einer sittlichen oder religiösen Lehre, ein intellektuelles, traditionelles oder (bestenfalls!) emotionelles Festhalten an einem System von Werten.
Lasst uns bitte nie von „Katholizismus“ sprechen, sondern immer von „katholischer Kirche“, oder vom „christlichen Glauben“. Das Wort „Katholizismus“ haben unsere Feinde erfunden, um uns auf eine Ebene mit all den vielen andern „Ismen“ zu stellen: mit den vielen Ideologien, Weltanschauungen und religiösen Vorstellungen, die die Köpfe der Menschen hervorgebracht haben. Wir glauben nicht an eine selbsterfundene wortreiche Lehre, wir sind kein „Ismus“, sondern wir glauben an Gott, der sich hier auf Erden in Jesus Christus ausgesprochen, ausgewortet, geoffenbart hat.
Wir müssen dazu unbedingt wissen, dass der „Logos“ des Johannes an das hebräische Ver-ständnis anknüpft. Das hebräische Wort lautet „dabar“. Und dieses bedeutet gleichzeitig Wort und Tat. Jawohl: Tat! Denn wenn Gott sein Wort spricht, dann geschieht sofort etwas, dann tut sich etwas.
Das Wort Gottes ist nichts Statisches
Das Wort Gottes ist für Johannes nichts Statisches, sondern es ist das Handeln Gottes in Jesus Christus an uns und für uns. Johannes verwendet den Ausdruck „logos“ – also „dabar“ – nur im Prolog. Im restlichen Evangelium spricht er vom „Sohn“ des Vaters. In diesem Sohn spricht der Vater zu uns; in diesem Sohn legt sich der Vater für uns aus in seiner Göttlichkeit der Liebe; in diesem Sohn handelt der Vater erlösend und siegreich für uns in Kreuz und Auferstehung, in Leiden und Sterben. Der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar hat gesagt: „Nie spricht das Wort Gottes lauter zu uns als in dem Augenblick, wo es am Kreuz verstummt!“ Da offenbart sich der Logos Gottes als unfassliche Liebe. In der Christusoffenbarung ist das Wort wirklich „fleischhaft“ geworden, das heißt, dass es in allen Dimensionen personal und sinnlich wahrnehmbar ist. Gottes Wort tritt an den Menschen heran in der Weise einer menschlichen Gestalt. In Jesus Christus ist das Selbst Gottes real hörbar, sichtbar, angreifbar.
Die wahre Weihnacht
Die Schrift hat zahlreiche Ausdrücke, um diese Identität zwischen Offenbarer und Geoffen-bartem auszudrücken, wenn sie etwa Christus als „die Ausprägung des Wesens“ Gottes (Hebr 1,3) bezeichnet, oder als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15; 2 Kor 4,4). An Christus sehen wir also, was wir an Gott haben. Hier begegnet uns die ewige Liebe in menschlicher Gestalt.
Der allmächtige Gott ist für uns so klein geworden, Er, der alles erschaffen hat, ist einer von uns Menschen geworden. Vor 2000 Jahren hat er gelebt, gelehrt, geliebt und uns das Innerste Wesen Gottes offenbart: „Gott ist die Liebe“. Jesus Christus ist der ewige Logos, der ewige Sohn des ewigen Vaters. Gott von Gott, Licht vom Licht. Das fleischgewordene Wort wortet uns aus, was und wie Gott ist: rettend, liebend, barmherzig, hilfsbereit, demütig, erlösend.
Meine Lieben! „Und das Wort ist Fleisch geworden“ soll uns treffen, soll uns erschüttern! Zu Weihnachten geht es bei aller Romantik um den springenden Punkt der Theologie, um das Unerfindliche und unvorstellbare: Dass Gott auf die Seite des Menschen tritt. Dass der Unendliche in Gestalt der Endlichkeit kommt, der Ewige betritt unsere Zeit. Der Unfassliche macht sich fasslich, der Allmächtige wird ganz klein.
Wenn wir in der Kirche vor dem Allerheiligsten im Tabernakel die Knie beugen, können wir uns nie so kleinmachen, wie er sich für uns und vor uns klein gemacht hat. O unfassbare Liebe des Vaters! Lasst uns die Liebe bedenken, die sich darin offenbart. Schluss mit einem oberflächlichen Christentum, das aus ein paar billigen Aufforderungen zu Humanität und Mitmenschlichkeit besteht. Wenn wir wirklich Christen sein wollen, müssen wir erschaudern vor dem unerfindlichen Mysterium, dass in Jesus Christus der ewige Gott selbst zu uns gekommen ist.
(vatican news - claudia kaminski)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.