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Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien und Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien und Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz 

Kardinal Schönborn zur Exhortation: „Der Papst lädt uns ein, den Blick zu weiten”

Ein Interview mit dem Erzbischof von Wien, der das vierte Kapitel von „Querida Amazonia“ kommentiert: Für Franziskus ist die grundlegende Frage die Evangelisierung und wie es gelingen kann, in den Gemeinschaften neues Leben zu wecken.

Andrea Tornielli - Vatikanstadt

„Einige Elemente seiner Exhortatio sehe ich als Aufforderung des Papstes, alle bisher zu wenig gegangenen Wege intensiv zu nutzen, um die prekäre Situation des Priestermangels zu beheben, ohne gleich auf die viri probati, die verheirateten Priester als ,Ausweg´ zu kommen“: So kommentiert Kardinal Christoph Schönborn die vom Papst in der Exhortation „Querida Amazonia“ aufgezeigten Auswege, um das Problem des Priestermangels in der Amazonasregion zu lösen. „Mit seinem Schreiben“, so erläutert der Kardinal, „will Papst Franziskus die ,resonancias‘ ausdrücken, die die Synode auf ihrem Weg des Dialogs und der Unterscheidung in ihm ausgelöst haben. Er will das Synodendokument weder ersetzen noch wiederholen. De facto zitiert er es nirgends, sondern empfiehlt es als Ganzes der Lektüre. Er will zu dem von der Synode Gesagten seine Reflexionen hinzufügen, die im Blick auf Amazonien einige der großen Anliegen zusammenfassen, die er in anderen Dokumenten bereits behandelt hat. Damit will er helfen, dass es zu einer harmonischen, fruchtbaren, kreativen Rezeption des synodalen Weges kommt.“

Zum Nachhören

Fast ausschließlich hat sich die mediale Debatte auf das Ja oder Nein zur Priesterweihe verheirateter Diakone konzentriert. Welche Perspektive ergibt sich aus diesem Text?

Schönborn: „Papst Franziskus schafft es wieder, alle zu enttäuschen, die hier eine Schwarz-weiß-Antwort erwartet haben. Aber wieder versucht er, die Perspektive zu erheben, zu weiten oder zu vertiefen, um den Konflikt zwischen zwei Positionen zu überwinden. Papst Franziskus blickt auf die immense Komplexität von „Querida Amazonia“ (dt. geliebtes Amazonien). Er hat keine simplen Lösungen parat, aber die Freude des Evangeliums gibt ihm jene Zuversicht, die sich nicht entmutigen lässt. Und er sagt all dies nicht nur für Amazonien, sondern für uns alle."

Was ist der Schlüssel für das Verständnis des Vierten Kapitels, das der Pastoral gewidmet ist?

Schönborn: „Die Prämisse zum ganzen Thema der Pastoral in Amazonien ist die Dringlichkeit der Evangelisierung. Franziskus versteht darunter vor allem die direkte Verkündigung Jesu Christi, das Kerygma. Auf der Synode habe ich viele gefragt, warum in Amazonien die ,Pfingstler‘, die Evangelikalen, die Freikirchen einen solchen Erfolg haben. Denn immer wieder war zu hören und zu lesen, dass inzwischen mehr als die Hälfte der Katholiken (manche sagen 60-80 Prozent) zu diesen Kirchen gegangen sind. Mich hat erstaunt, ja erschüttert, dass dieses höchst vitale Thema kaum angesprochen wurde. Aber eines wurde meist als Ursache genannt: Die ,Pfingstler‘ sprechen direkt von Jesus Christus. Sie verkünden das Kerygma, während die katholische Verkündigung dies zu wenig tue.“

Viri probati: „Keine schnelle Antwort"

Kommen wir nun zum Problem der fehlenden Priester und daraus resultierend der Unmöglichkeit für die amazonischen Gemeinden, die Sonntagsmesse zu feiern…

Schönborn: „Dass die Eucharistie ,Quelle und Höhepunkt‘ des ganzen christlichen Lebens ist, betont Franziskus entschieden. Was aber bedeutet das, wenn es an Priestern mangelt, ohne die es keine Feier der Eucharistie gibt? Papst Franziskus gibt darauf keine schnelle Antwort. Er erwähnt auch mit keinem Wort den Vorschlag der Synode, die Möglichkeit zu eröffnen, dass bewährte ständige Diakone für die entlegensten Gegenden Amazoniens zu Priestern geweiht werden können. Einige Elemente seiner Exhortatio sehe ich als Aufforderung des Papstes, alle bisher zu wenig begangenen Wege intensiv zu nutzen, um die prekäre Situation des Priestermangels zu beheben, ohne gleich auf die viri probati, die verheirateten Priester als ,Ausweg‘ zu kommen.“

Welches sind denn diese „zu wenig begangenen Wege“?

Schönborn: „Der Papst lädt die Bischöfe ein, großzügig Missionare nach Amazonien zu schicken. Darüber hinaus ist mir die Anmerkung 132 des Textes besonders aufgefallen, die diskret ein großes Thema anspricht, das auf der Synode direkt genannt wurde: Dass manche Amazonienländer mehr Priester nach Europa oder Nordamerika entsenden als in die eigenen Vikariate in Amazonien. Auf der Synode wurde die Zahl 1200 solcher Priester allein in Kolumbien genannt. Würde nur ein Drittel oder ein Viertel dieser Priester für die Amazoniendiözesen zur Verfügung stehen, dann gäbe es kaum Priestermangel vor Ort. Eine Feststellung hat mich auf der Synode erschüttert: der fast vollständige Mangel an indigenen Priestern. Wie ist es möglich, dass nach 500 Jahren Christentum in dieser Region praktisch kein einheimischer Klerus entstanden ist? Papst Franziskus erwähnt in Anmerkung 133 das Fehlen von Seminaren für Indigene. Schließlich erwähnt Papst Franziskus ein Thema, das im Schlussdokument Platz gefunden hat: der erstaunliche Mangel an ständigen Diakonen, „die in Amazonien viel zahlreicher sein müssten“. Warum wurde diese Chance, die das II. Vatikanum eröffnet hat, nicht mehr genützt? Das sind Wege, die es zu beschreiten gilt, um auf die Notwendigkeiten der Gemeinschaften zu antworten. Franziskus lädt uns ein, uns bei den Antworten keine Beschränkungen aufzuerlegen."

„In der Stärkung der schon seit eh und je unersetzbaren Rolle der Frauen vor allem in den entlegenen Gemeinden Amazoniens sieht Papst Franziskus eine vorrangige Aufgabe“

Der Papst schreibt in der Exhortation: „Es geht also nicht nur darum, eine größere Präsenz der geweihten Amtsträger zu ermöglichen, die die Eucharistie feiern können. Dies wäre ein sehr begrenztes Ziel, wenn wir nicht auch versuchen würden, neues Leben in den Gemeinden zu wecken.“ Was bedeutet das?

Schönborn: „Papst Franziskus lädt uns ein, nicht bei den schnellen, funktionalen Antworten stehenzubleiben. Er sagt uns, dass die wahrhaftigsten und fruchtbarsten Antworten aus einem neuen Leben in den Gemeinschaften kommen werden. Aber er beschränkt sich nicht darauf. Mit Nachdruck betont er die Wichtigkeit der vielfältigen Laiendienste, die Notwendigkeit, reife, mit Autorität versehene Laienheiten zu fördern, und besonders fordert er, auf neue Weise die Präsenz von starken und großherzigen Frauen aufzuwerten, die die Taufe spenden, Katechese halten, und das Gebet leiten könnten. Sie sollten einen festen Status und eine deutlichere Teilhabe in der Kirche haben, ohne deshalb ,klerikalisiert‘ zu werden. In der Stärkung der schon seit eh und je unersetzbaren Rolle der Frauen vor allem in den entlegenen Gemeinden Amazoniens sieht Papst Franziskus eine vorrangige Aufgabe.“

(vatican news)

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12. Februar 2020, 14:45