Kirche und Homosexualität: „Moraltheologische Suchbewegung“
In kirchlichen Lehraussagen wird heute die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Veranlagung grundsätzlich anerkannt; Betroffene, denen uneingeschränkte Würde zukomme, dürften nicht diskriminiert werden. Hier ortete Hilpert in der Fachzeitschrift „Katechetische Blätter“ „zaghafte“ Korrekturen früherer Positionierungen. Im Widerspruch dazu stehe in den Augen vieler jedoch die weiterhin „kompromisslose Missbilligung sämtlicher homosexueller Handlungen“. Dass laut Kirchenlehre „homosexuelle Menschen zur Keuschheit gerufen“ sind (Katechismus Nr. 2359), könne von den meisten nicht nachvollzogen werden und gelte den Betroffenen als übergriffig und respektlos.
Der begründende Hinweis, dass beim homosexuellen Geschlechtsakt die Weitergabe des Lebens ausgeschlossen ist, sei zwar berechtigt, so der emeritierte Moraltheologe. „Problematisch ist allerdings, ob er auch das Verbot gleichgeschlechtlicher Handlungen begründen kann.“
Ein Defizit der Praxis katholischer Seelsorge
Ein „Defizit der Praxis“ katholischer Seelsorge besteht laut Hilpert in der verweigerten Segnung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, die in einigen anderen Konfessionen üblich sind. „Dass die Einführung eines offiziellen Segnungsritus eine Debatte über den sakramentalen Charakter von LGBT-Beziehungen auslösen würde, kann vermutet werden, ist aber nicht zwangsläufig.“ Und dies wäre - so Hilpert - auch „kein ausreichender Grund, auf Dauer hin jede Art von Segnung für das gemeinsame Leben lesbischer bzw. schwuler Paare prinzipiell zu verweigern oder dem subjektiven Ermessen des jeweiligen Seelsorgers zu überlassen“.
Als Hintergrund der oft sehr emotional geführten Debatte über Kirche und LGBT nannte der Theologe gesellschaftliche Entwicklungen wie eine auf Entkriminalisierung und Entdiskriminierung von Minderheiten abzielende Rechtspolitik sowie die Öffnung des Instituts Ehe „für alle“. Und im Zuge der Gender-Debatte werde seit Jahren darüber debattiert, wieweit die Aufteilung der Geschlechter in Mann und Frau zwingend und von der Natur vorgegeben oder aber ein gesellschaftliches Konstrukt sei; dabei gerieten auch Möglichkeiten der Inkongruenz von biologischem, sozialem und gefühltem Geschlecht in den Blick.
Jeder Mensch ist Träger von Würde
All das und auch die Missbrauchskrise spielten laut Hilpert bei den „kleineren Schritten“ eine Rolle, die in der Kirche bei der Neubewertung sexueller Vielfalt und speziell der Homosexualität gesetzt wurden: „Unumkehrbar“ sei die frühere Positionierung aufgegeben worden, Homosexualität bzw. homosexuelle Praktiken „per se und pauschal als Sünde zu klassifizieren“. Sexuelles Interesse am gleichen Geschlecht werde „nicht mehr wie früher als Ausdruck einer pathologischen Veranlagung bezeichnet“, sondern als „nicht selbst gewählte“ Veranlagung anerkannt. Ebenso wurde anerkannt, dass jeder Mensch Träger von Würde ist – „unabhängig von der sexuellen Orientierung“ - und daher uneingeschränkt den Respekt der anderen verdiene.
Differenzierter als viele vermuten
Derartige Aussagen in kirchlichen Lehraussagen wie dem Weltkatechismus oder im Papstschreiben „Amoris laetitia“ würden - aufgrund der genannten Widersprüche - von der Öffentlichkeit „nicht in ihrer Differenziertheit wahrgenommen“, erklärte Hilpert.
Einen Gesinnungswandel in der Kirche markieren auch die demnächst am Valentinstag gefeierten „Gottesdienste für Liebende“, zu denen oft ausdrücklich auch gleichgeschlechtliche Paare eingeladen sind. Aufhorchen ließ jüngst ein Vorstoß des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße, der bei der ersten Vollversammlung des deutschen „Synodalen Wegs“ neue Wege in der geltenden kirchlichen Lehre zur Homosexualität forderte. Die Aufforderung, Betroffenen mit Respekt zu begegnen, enthalte eine Perspektive von oben herab und entspreche nicht einer Begegnung auf Augenhöhe.
(kap – sk)
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