Corona: Eine Chance für „Retro-Katholizismus“?
Schwierig wird es nach ihrem Dafürhalten, wenn die neuen Formen in ein anderes Kirchenverständnis transportiert werden. Das sagte sie jetzt in einem Interview mit dem Kölner Domradio. Generell kann sie aber der etwas improvisierten Religiosität, die sich jetzt manifestiert, einiges abgewinnen.
„Es ist natürlich eine ungeheuer bedrückende Zeit, die letztlich alle überfordert und in der alle auf sich selbst zurückverwiesen sind und experimentieren müssen. Aber es entsteht auch viel Neues. Das finde ich ermutigend, wenn man bedenkt, dass der Glaube ja ganz fundamental von Gemeinschaft und der Katholizismus auch ganz fundamental von Zeichen lebt. Dann wird es total schwierig, wenn ich auf zwei Personen oder auf meine Hausgemeinschaft und auf das reduziert bin, was ich selber aus mir heraus aktivieren kann. Und angesichts dieser Herausforderung ist es schon toll, was gerade passiert und entsteht.“
Zum Beispiel Menschen, die um 19 Uhr eine Kerze ins Fenster stellen, vielleicht auch einen Moment beten. „Das Zeichen ist leicht verständlich und zugleich kann jeder es ein bisschen anders deuten. So kann ich Gemeinschaft durch analoge Gleichzeitigkeit in einem Symbol erleben.“
Und trotzdem hat Julia Knop auch Bedenken. Sie fürchtet, dass da ein „Retro-Katholizismus fröhliche Urständ feiert“, so formulierte sie es in einem vielbeachteten Artikel.
„Der Begriff „Retro-Katholizismus“ hat einigen Wirbel, auch Widerstände ausgelöst. Ich habe ihn verwendet, weil ich den Eindruck habe, dass neben vielem Positivem auch einige Frömmigkeitsformen wieder auftauchen, die meine Generation nur aus Erzählungen kennt – eine Sakramentsprozession durch leere Straßen etwa, an der außer Priestern nur jemand teilnimmt, der das Ganze filmt. Da werden, gewollt oder ungewollt, Kirchenbilder und ein Eucharistieverständnis inszeniert, die sich seit Jahrzehnten stark weiterentwickelt haben und nicht mehr ohne Weiteres anschlussfähig sind.“
Angebote machen, die mit der Erfahrung der Menschen zu tun haben
Nun hat die Professorin aus Erfurt nichts gegen Prozessionen. Aber eine Fronleichnamsprozession etwa werde doch „von einer Gruppe von Gläubigen getragen“, sie sei „eingebettet in eine Eucharistiefeier am Hochfest“: „Und die Leute nehmen wirklich daran teil und schauen nicht nur zu.“ Ihr sei es wichtig, „dass wir Zeichen und Formen finden und Angebote machen, die mit der Erfahrung der Menschen zu tun haben“.
Viele der gestreamten Gottesdienste, mit denen die sozialen Medien gerade „überschwemmt“ würden, seien sicher „gut gemeint“, urteilt Knop. „Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wir haben in Deutschland eine sehr gut aufgestellte kirchliche Fernseharbeit. Da sind Leute, die sich seit Jahren mit der Übertragung von Gottesdiensten beschäftigen: Wie kann das gehen? Was kann ich überhaupt übertragen? Wie verändert eine Kamera das Geschehen? Was eben nicht passieren sollte, ist, dass eine Übertragung bloß dazu führt, dass ich einem Priester beim Zelebrieren zuschaue. Sondern ich brauche partizipative Momente, auch im TV und Internet.“
Auch der Gedanke der geistlichen Gemeinschaft aller, die miteinander beten, könne „nicht nur programmatisch verkündet“ werden, „sondern der muss erfahrbar werden“, sagt die Dogmatikerin. „Und das ist digital eine riesige Herausforderung. Dafür brauche ich allerdings gerade nicht hunderte von gestreamten Gottesdiensten. Dazu reicht im Grunde ein einziger, der das aber gut und sehr bewusst einholt.“
Doch Knop gibt zu, dass sie auch keine konkrete Vorstellung hat, wie genau das gehen soll. „Wir sind alle in einem Zustand der Überforderung und der Krise“, sagt sie, „wir müssen alle experimentieren.“ Immerhin biete sich in diesem Jahr angesichts der Corona-Krise die Chance, die Kar- und Ostertage mit ihrer geistlichen Botschaft viel besser zu verstehen und bewusster zu erleben.
„Aber das muss man natürlich gestalten. Da braucht es Angebote, die in den Hausgemeinschaften, in den Familien und auch für Alleinlebende funktionieren, die wirklich eine Brücke bauen zwischen den eigenen Sorgen, Verlustängsten und Abschieden und dem, was die Liturgie dazu bietet.“
Der Papst hat die Balance gehalten
Es sei wichtig, dass Theologie und Liturgie jetzt „aus einer diakonischen Perspektive denken“ und wirklich „treffen, was den Menschen jetzt gut tut“. Es gehe sicher nicht um „die einfachen, schnellen Antworten“, die würden der Situation nicht gerecht „und den Menschen auch nicht“.
„In der Feier auf dem Petersplatz am vergangenen Freitag hat der Papst es in seiner Predigt geschafft, die Balance zu halten: die Krise ins Wort zu bringen, zu verdeutlichen, was die Situation uns über unsere Zerbrechlichkeit zeigt und über unsere Prioritäten, dass wir wie blind durch die Zeit rasen. Aber er hat keinen Kausalzusammenhang hergestellt. Er hat nicht gesagt ‚und deswegen ist die Seuche da‘, sondern er hat das nebeneinander gestellt. Er hat gezeigt, dass wir uns im Gebet, in der Bitte, in der Klage verbinden können, ohne zu meinen, dass wir das Ganze lösen und erklären könnten.“
Franziskus hat am Freitagabend einen Gebetsgottesdienst auf dem leeren Petersplatz abgehalten und dann, die Monstranz in der Hand, einen eucharistischen Segen „Urbi et orbi“ erteilt. Dazu sagt Knop: „Es war ein sprechendes und eindrückliches Zeichen. Der Papst ist die Figur, die die Weltkirche symbolisch repräsentieren kann. Es gibt sicher Unterschiede, wie die Menschen das wahrgenommen haben und ob da jeder andocken konnte. Es hat, glaube ich, aber bei vielen stark gewirkt. Man kann es natürlich nicht überstrapazieren. Das kann der Papst nicht jeden Freitag machen. Ein solches Symbol hat eine herausgehobene, exzeptionelle Bedeutung.“
Knop lobt auch den Gebetssturm, zu dem Franziskus am letzten Mittwoch eingeladen hatte: Christen in aller Welt beteten um die Mittagszeit ein Vaterunser für die Opfer der Pandemie. Das sei ein ermutigendes Zeichen gewesen: „Was wir im Moment erleben, ob religiös oder nicht religiös, ist, dass es die medizinische und materielle Ebene gibt, aber auch eine psychologische und spirituelle. Dass unsere Solidarität auch diese Ebene betrifft und der Vereinzelung und den Nöten entgegenwirkt. Das ist eine ganz beeindruckende Erfahrung. Wo sonst religiöse Grenzen die Menschen auseinanderreißen und man auf konfessionelle Profile dringt, entsteht eine Gemeinschaft von Menschen, die an Gott glauben können, und auch derer, die das nicht tun.“
In diesen Momenten der Corona-Krise verändert sich nach Beobachtung der Dogmatikerin die Bindung der Menschen an die Institution Kirche massiv. Damit beschleunige und verschärfe sich ein Prozess, der schon länger anhalte.
„Die kircheninternen Probleme bleiben uns auch über Corona hinaus erhalten. Die Legitimationskrise der Kirche ist ja nicht weg, weil wir jetzt ein paar Wochen nicht in den Gottesdienst gehen, sondern eine Kerze ins Fenster stellen. Was wir aber jetzt entdecken und entwickeln können, und was wir auch in einer Zeit nach Corona hoffentlich weiter pflegen werden, ist eine selbstständige Form von Frömmigkeit, eine selbstbestimmte Weise, Spiritualität zu leben und aktiv mit Riten umzugehen, sie weiterzuentwickeln in die Formensprache der Menschen des 21. Jahrhunderts. Das geschieht ja schon an vielen Orten, aber ich denke, dass wir das künftig bewusster und vielleicht auch kreativer tun werden.“
(domradio/vatican news – sk)
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