Unser Sonntag: Staunen und Glauben
P. Eberhard Gemmingen SJ
2. Fastensonntag - Mt, 17, 1-9
Wir haben im Evangelium von einer geheimnisvollen Szene, von einer mystischen Schau der drei Apostel gehört. Wir können nur ahnen, was da gewesen ist, auf das sich der Evangelist Matthäus bezieht. Es war geheimnisvoll, eine göttliche Vision. Aber wir können sehr wohl vernehmen, was der Evangelist Matthäus seinen Lesern und Hörern vermitteln will.
Die drei Jünger Jesu hören: „Dies ist mein geliebter Sohn, den ich erwählt habe, ihn sollt ihr hören.“ Das ist die Botschaft des Evangeliums: Der Jesus von Nazareth, dem die Jünger seit einiger Zeit folgen, ist der geliebte Sohn, auf den sie hören sollen. Es heißt nur, dass eine Stimme aus der Wolke kam. Die Wolke ist ein Symbol Gottes. Es wird nicht direkt von Gott gesprochen. Denn auch hier wird vorausgesetzt: Gott ist ein unendliches Geheimnis. Ihn kann der Mensch nicht sehen, nicht hören. Wenn er ihn sähe, würde er sterben.
Früher waren Berge heilige Orte
Der Evangelist bezieht sich in seinem Text sicher auch auf die Begegnung des Moses mit Gott auf dem Berg. Seine Hörer und Leser kennen die Heilige Schrift und verstehen sofort die Anspielung auf das Sprechen Gottes zu Moses auf dem Berg. Schon ein Berg ist ein Ort der Gottesbegegnung, der Gotteserscheinung. Berge waren den Menschen fast bis in die Neuzeit heilige Orte, Orte, wo Gott wohnt. Man wagte nicht auf Berge zu steigen. Nur wer von Gott gerufen wurde, durfte aufsteigen. Erst in der Neuzeit und mit der Aufklärung sind Berge touristische Ziele geworden. Wir können uns wahrscheinlich kaum vorstellen, wie die Menschen noch im Mittelalter und erst recht im Altertum zu Berggipfeln hinaufschauten, wo man Gott begegnen konnte, wenn man gerufen war. Im Buch Exodus kann man nachlesen: „Moses stieg zu Gott hinauf. Da rief ihm der Herr vom Berg her zu: Das sollst du dem Haus Jakob sagen und den Israeliten verkünden: Ihr habt gesehen, was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch auf Adlerflügel getragen und hierher zu mir gebracht habe.
Jetzt aber, wenn ihr meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unter allen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört die ganze Erde, ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und ein heiliges Volk gehören.“ All diese Sätze hatten die Hörer und Leser von Matthäus wohl vor Augen, als sie seine Worte über die Erscheinung Jesu und die Stimme aus der Wolke lasen oder hörten. Die Anweisung Gottes an Moses lautet: Auf dich sollen sie hören, die Anweisung an die drei Apostel lautet ebenso: Auf Christus sollen sie hören.
Und es geschieht mit den Aposteln das, was dem Menschen geschieht, wenn er Gott begegnet. Er bekommt Angst. Die drei Apostel werfen sich mit dem Gesicht zu Boden. Gottesbegegnung geht über alle menschliche Erfahrung hinaus. Sie wirft den Menschen zu Boden.
Und dann tritt eben der Mensch gewordene Gott – nämlich Jesus - zu ihnen, fasst sie körperlich und sagt zu ihnen „Steht auf, habt keine Angst“. Gott ist in Jesus dem Menschen so entgegen gekommen, dass er sich vom Boden erheben, aufstehen kann und keine Angst mehr haben muss.
Die Jünger sollen bis zur Auferstehung schweigen
Und nun gibt es noch mehrere wichtige Schritte im Text des Matthäus: Jesus sagt den drei Jüngern beim Abstieg vom Berg: Erzählt niemand von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sein wird. Also die Jünger sollen schweigen. Noch ist nicht Zeit, das der Welt zu verkünden, was sie aus der Wolke gehört haben. Zeit dafür ist gekommen, wenn die Jünger den auferstandenen Herrn erlebt und angefasst haben. Die Zeit der Verkündigung ist erst gekommen, wenn die Jünger reif geworden sind. Noch sind sie auf dem Weg.
Und noch eine wichtige Beobachtung: Jesus nimmt nicht alle zwölf Apostel mit auf den Berg, sondern nur Petrus, Jakobus und Johannes. Es sind die gleichen drei, die Jesus dann auch am Abend vor seinem Leiden mit in den Ölgarten nimmt. Die anderen Jünger bleiben draußen vor dem Ölgarten. Die drei erleben aus einer gewissen Distanz das Zittern und Zagen, die schreckliche Angst Jesu vor seiner Geißelung und Kreuzigung. Freilich ist das Evangelium dann auch hier sehr realistisch, denn es sagt: die drei Jünger sind im Ölgarten eingeschlafen. Die Solidarität, die Jesus gewünscht und erwartet hat, erhält er nicht. Er ist entsetzlich einsam.
Evangelien wollen keine Biographie Jesu sein
Und noch einmal zum ganzen Abschnitt über die Verklärung Jesu: Auch an dieser Stelle ist es sinnvoll, daran zu erinnern, dass die Evangelien keine Biographie Jesu sein wollen. Sie sind Glaubensverkündigung, sie sind in gewisser Weise Theologie. Nicht, dass nicht ein biographischer Hintergrund vorhanden wäre. Die Evangelisten erfinden nicht frei. Aber sie interpretieren Geschehnisse im Leben Jesu als Glaubensaussagen. Sie zeigen Jesus Christus, wie sie an ihn glauben. Sie bezeugen ihren Glauben. Und sie bezeugen ihren Glauben als Menschen, die aus dem Alten Testament kommen. Das zeigt sich bei dieser Szene, dass Jesus eben erscheint zwischen Moses und Elias. Jesus ist in der Mitte. Er ist damit der wichtigste von den dreien. Die Autorität Jesu wird unterstrichen dadurch, dass er zwischen den beiden großen Zeugen des Glaubens an Gott steht.
Und noch ein weiterer Punkt: Warum will Petrus drei Hütten bauen? Erstens wäre es in der deutschen Übersetzung wohl richtige von drei Zelten zu sprechen. Das Volk der Juden war ja lange Zeit von Weideplatz zu Weideplatz gezogen und hatte von Ort zu Ort Zelte aufgeschlagen, um darin für einige Tage zu wohnen. Wir erinnern uns, an Abraham. Im Buch Genesis heißt es: „Der Herr erschien Abraham bei den Eichen von Mamre, während er bei der Hitze des Tages am Eingang des Zeltes saß. Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm. Als er sie sah, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes aus entgegen, warf sich zur Erde nieder.“ Warum also wollte Petrus drei Zelte aufschlagen: Manche Interpreten meinen, er habe so etwas wie jüdische Lehrstätten erstellen wollen.
Die Menschen im Altertum dachten anders...
Und schließlich nochmals zurück zur Frage des Berges. Ich meine, wir sollten sehr intensiv versuchen, uns vorzustellen, wie anders Menschen im Altertum und auch noch im Mittelalter lebten und dachten. Für sie war unendlich Vieles geheimnisvoll, mystisch, mysteriös, von Gott erfüllt und getragen, was wir einfach Natur, natürliche Vorgänge oder halt Naturereignisse nennen. Besonders das Geborenwerden und Sterben, alle Naturereignisse waren Geschenke und Zeichen Gottes. Erst recht Blitz und Donner, aber auch Regen und Schnee, Atmen, Schlafen und Wachen. Es waren Zeichen Gottes, Zeichen der Gegenwart Gottes. Gott war überall, hinter allem und in allem. Durch die Naturwissenschaften wurden die Vorgänge entgöttlicht. Wir machten Aufklärung, erklärten die Dinge mit Biologie, Physik, Chemie. Gott verschwand aus dem Gesichtskreis. Man meinte alles zu kennen, erklären zu können. Und es gibt ein wunderbares Wort des ganz großen Physikers, Werner Heisenberg. Es schrieb einmal: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott.“
Vor dem Glauben kommt das Staunen
Aber wenn wir wache Handy- oder Smartphone-Benutzer sind, dann könnten wir gerade durch diese Geräte wieder erkennen, wie unwissend wir noch sind. Heute können wir mit dem Handy nach Brasilien, Indien, China telefonieren. Wer hätte das vor 100 Jahren gedacht? Die allermeisten Vorfahren hätten gesagt, dass so etwas undenkbar ist. Es ist denk- und machbar. Und nun ein gewagter Sprung: Bis heute meinen die meisten Menschen, beten helfe nicht, sei überflüssig, überholt. Man habe erkannt, dass Gebet kein Mittel ist, das man einsetzen kann gegen Krankheit und Elend. Woher wissen wir das eigentlich so genau? Werden Menschen in hundert Jahren über uns lachen, weil sie erkannt haben, dass jedes Gebet einen Sinn hat und ein Ergebnis bringt, wenn auch nicht das Ergebnis, um das wir gebetet haben? Wir meinen heute oft noch alles technisch zu verstehen. Wenn wir weise werden wie Werner Heisenberg, werden wir bescheiden und werden erkennen: ich weiß, dass ich nichts weiß. Wir werden anders als die Menschen vor 3000 Jahren vielleicht Gott wieder entdecken - nicht nur auf den Gipfeln der Berge, sondern im Lauf der Geschichte, im Lauf von Menschenleben. Wer heute ein gläubiger Mensch sein will, einer der an Gott glaubt, an seine Vorsehung, der sollte neu versuchen, zu staunen. Vor dem Glauben kommt das Staunen. Wer meint, alles zu wissen und nicht staunt, ist ein Anfänger. Aber Anfänger können anfangen, aufzusteigen, in die Höhe zu steigen, aufs Antlitz zu fallen, um Gott anzubeten und zu glauben.
(vatican news - ck)
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