Schweiz: Neue handschriftliche „Corona-Bibel“ entsteht
Der Gedanke, sich in einer Zeit von Isolation, Untätigkeit und Ungewissheit einer vermeintlich simplen Tätigkeit zu widmen, fand auf Anhieb Anklang. Inzwischen schreiben nicht nur Freiwillige in St. Gallen, Bern und Zürich, sondern auch in Österreich, Deutschland und den USA an der Corona-Bibel mit.
„Einzige Bedingung ist, dass man von Hand schreiben kann“, sagt der reformierte Pfarrer und Initiator des Projekts, in dessen Team auch Mitarbeiter der katholischen St. Galler Citykirche sind. Während es im effizienzgetriebenen Arbeitsalltag mit Copy-Paste, Scannen und Audio-Transkriptionsprogrammen darum geht, Abschreiben von Hand möglichst zu vermeiden, steht beim Corona-Bibel-Projekt das Gegenteil im Vordergrund: „Es geht um Verlangsamung, Körperlichkeit und darum, in der neuen, außergewöhnlichen Situation zu einem neuen Rhythmus zu finden“, so Habenicht.
Für den Pfarrer war es wichtig, dass das Projekt nicht nur auf der individuellen Ebene bleibt. „Die Schreibenden können sich als Teil von etwas wahrnehmen, was außerhalb ihrer selbst liegt“, erläutert er seine Idee. Denn zum einen sind die einzelnen Kapitel Beiträge zu einem größeren Ganzen. Zum anderen verbinden sich die Schreibenden mit Vergangenem und Zukünftigem: Der Bibeltext stammt aus der Vergangenheit. In der Zukunft liegt die feierliche Übergabe des fertigen Werks an die St. Galler Stiftsbibliothek, Teil jenes berühmten Klosters also, in dem Mönche im Mittelalter ihre Abschriften der Bibel und anderer Texte herstellten.
„Lustigerweise hatte ich zunächst die Vorstellung, dass Abschreiben in den Klöstern im Mittelalter eine einsame Tätigkeit war“, so Habenicht. Doch als er sich näher damit befasste, sei ihm klar geworden, dass man im Skriptorium oftmals sehr gemeinschaftlich arbeitete. „Somit hat sich auch schon dort die Einzel- mit einer Gemeinschaftsleistung verbunden.“
Bereits als sich der Lockdown abzeichnete, stellte Habenicht in Windeseile Projektteam und Website zusammen, Erklärvideos inklusive. Gut fünf Wochen später ist das Projekt auf gutem Weg. Rund 1.000 der fast 1.200 Kapitel der Bibel sind an die Projektteilnehmer verteilt. Dem Initiator war klar, dass die verschiedenen Teile der Bibel nicht in gleichem Maße bekannt und beliebt sind. „Psalm 23, das Hohelied der Liebe, die Schöpfungs- und die Weihnachtsgeschichte waren wahnsinnig schnell weg“, sagt Habenicht.
Bei den wenig bekannten biblischen Büchern wie Esra und Nehemia hätten die Schreiber sich erst kundig machen müssen, worum es darin geht. Das hat aber offenbar niemanden abgeschreckt. „Die Leute gehen auf Entdeckungstour“, sagt Habenicht. „Plötzlich nehmen die Leute wahr, was da steht. Es brechen viele spannende Wahrnehmungen und Fragen auf.“
Auch Beiträge in Dialekt
Angesichts der bereits eingetroffenen Beiträge - teils mit eigenen Illustrationen und Kommentaren, im eigenen Dialekt oder in einer Fremdsprache - wurde Habenicht klar, dass das Projekt nicht nur als gedrucktes Exemplar öffentlich aufgelegt werden sollte, sondern dass auch die vollständige Digitalisierung wichtig wäre.
Derzeit sei man daran, dies mit Verantwortlichen der St. Galler Kantonsbibliothek abzuklären. Habenicht rechnet damit, dass bis Pfingsten rund 95 Prozent der Kapitel vorliegen werden. Für die übrigen, verbliebenen Kapitel werde man dann eine eigene Schreibstube einrichten. Falls der Fortschritt der Lockerungen des Lockdowns es zulässt, soll die Übergabe an die Stiftsbibliothek diesen Herbst erfolgen, spätestens aber nächsten Frühling. (Infos unter: www.kathsg.ch/coronabibel)
(kap/kath.ch - cs)
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