Unser Sonntag: Christus - Weg, Wahrheit und Leben
Kaplan Thomas Widmer
5. Sonntag der Osterzeit
Joh 14, 1-12
Es gibt zwei Grunderfahrungen, die der Mensch macht:
Die erste Grunderfahrung besteht darin, dass der Mensch Respekt oder gar Angst hat vor dem Ungewissen. Dies umso mehr, wenn dieses Ungewisse eine Krankheit ist, wo man nicht weiss, ob man sterben wird, oder nicht. Die kritische Situation, welche der Coronavirus hervorruft, führt das wieder deutlich vor Augen.
Der Mensch möchte im Grunde genommen nicht sterben. Er möchte leben und er möchte lange leben. Die Wissenschaft versucht das ‘Heilkraut’ zu finden, das den Tod aufhält. Der Tod ist ein Tabuthema, denn er stellt die Grenze unserer Möglichkeiten dar.
Tod ist ein Tabuthema
Gleichzeitig bemerkt aber der Mensch, dass ein ‘Immer so weiter’, doch auch mit Mühen verbunden wäre. Das Alter bringt seine Beschwerden mit sich und ewig kann es so ja auch nicht weitergehen. Er spürt also in sich den Drang nach erfülltem Leben, das nicht zu Ende gehen darf und gleichzeitig merkt er, dass das hier irgendwie nicht möglich ist, dass die Welt, ja das irdische Leben, dies nicht vollkommen bieten kann.
Eine zweite Grunderfahrung, die der Mensch macht, ist das Angewiesen sein auf andere; und dies, obwohl der Mensch unabhängig sein möchte. Es gibt die verbreitete Haltung, dass man ja niemandem zur Last fallen möchte. Und trotzdem: ohne andere Menschen kann der Mensch nicht leben. Dies zeigte angeblich ein Experiment von Friedrich II: Er wollte wissen, welche Sprache die Kinder von Natur aus sprechen und ließ sie deswegen nach ihrer Geburt isoliert aufwachsen. Sie bekamen alles, außer dem menschlichen Zu-Spruch. Die Folge davon war, dass sie nicht überleben konnten. Sie starben.
Dass der Mensch ohne andere nicht kann, zeigt sich auch im Schmerz der Entbehrung und des Abschieds. Es zeigt sich im Schmerz von zerbrochenen Beziehungen. Gott selbst sagt es: «Dann sprach Gott, der Herr: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht» (Gen2,18). Und so schuf Gott die Frau. Das Schweizer Lied ‘ewigi Liebi’ von Padi Bernhard entspricht dem tiefsten Wunsch des Menschen. Aber auch dieser Wunsch wird nie in aller Tiefe total erfüllt, denn spätestens setzt der Tod ihm die Grenzen.
Im Evangelium des heutigen Sonntags hören wir die Abschiedsworte Jesu vor seinem Leiden und Sterben. Diese Worte sind Worte der Hoffnung, denn zunächst geben sie den Jüngern Mut. Sie trösten die Jünger im Moment des Abschieds und geben ihnen Kraft. Sie sprechen von der Hoffnung, die über den Tod hinaus geht. Aber aufgepasst, gleichzeitig geben diese Worte Jesu jedem Menschen eine Antwort auf seine tiefinnersten Fragen und Bedürfnisse, auf jene Fragen, die wir vorhin betrachtet haben.
Euer Herz lasse sich nicht verwirren...
So sagt Jesus: «Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott, und glaubt an mich! Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin» (Joh14,1-3). Mit anderen Worten sagt Jesus hier: Hab keine Angst. Blicke auf den Ewigen. Traue ihm. Setze dein Vertrauen auf den ewig Seienden, denn so stellte sich Gott ja Mose im brennenden Dornbusch vor und so sagt Jesus von sich selbst: „Ich bin“. Er sagt: Ich entspreche deiner tiefsten Sehnsucht auf ewig zu leben, denn beim Ewigen gibt es Wohnungen und ich bereite eine für dich vor, damit dein Wunsch nach ewigem, erfüllten Leben, das der Tod nicht wegnehmen kann, entsprochen wird.
Der Wunsch des Menschen, ewig zu leben
Und zweitens, du wirst nicht alleine sein. Denn ich komme wieder, um dich zu holen, damit du und alle anderen, dort sind, wo ich bin, in der ewigen Gemeinschaft miteinander. Der heilige Augustinus kommentiert einmal diese Evangelienstelle und sagt: »Gott wird in solcher Weise allen alles sein, daß, weil Gott die Liebe ist, durch die Liebe allen gemeinsam gehört, was die Einzelnen haben. Wenn einer nämlich beim anderen liebt, was er selbst nicht hat, besitzt er dies auch selbst. So wird es keinerlei Neid mehr geben wegen mehr oder wenig großer Herrlichkeit, weil unter allen die Einheit der Liebe herrschen wird».
Was jeder Mensch in seinem Menschsein verspürt, wird durch den Glauben an Jesus Christus, von ihm selbst bestätigt. Er sagt: Dein Wunsch, ewig zu leben, dein Wunsch nach Gemeinschaft und ewiger Liebe, ist in mir, in Gott in seiner ganzen Fülle gegeben. Die Grunderfahrungen eines jeden Menschen nach immerwährendem, erfüllten Leben und nach ewiger Liebe, findet also in den Abschiedsworten Jesu eine Antwort, die für jeden Menschen gültig ist.
Diese Worte des Herrn, mögen gerade in der gegenwärtigen Situation unserer Weltgeschichte unser Bewusstsein wecken, dass es das ewige Leben gibt. Sie mögen in uns und in jedem Menschen, der diese Worte hört, die Sehnsucht nach Gott stärken. Genauso aber, wie die Grunderfahrung eines jeden Menschen, ist der Weg dahin für jeden Menschen, unabhängig von Nationalität, Religion und politischer Überzeugung gültig. Und welcher ist dieser Weg dahin? „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, ausser durch mich“(Joh14,6), sagt Jesus. Der heilige Johannes Chrysostomus kommentiert diesen Satz mit den Worten: „Wenn ich nämlich der Herr bin, der zum Vater führt, werdet ihr dorthin gelangen. Denn es ist nicht möglich, auf einem anderen Weg dorthin zu kommen“.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben
Für das weltliche Denken scheint diese Überzeugung eine Gefahr darzustellen, denn es darf ja nichts für absolut erklärt werden. Trotzdem dürfen wir dieser Überzeugung nicht aus dem Weg gehen. Jesus ruft es uns heute zu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“(Joh14,6).
Und was bedeutet das?
Es bedeutet, dass durch ihn, durch seine Offenbarung, die Offenbarung Gottes ganz erfüllt ist. Ja, in ihm ist die Fülle der Wahrheit Gottes geoffenbart. So lehrt das zweite Vatikanische Konzil: »Die Tiefe der durch diese Offenbarung über Gott und über das Heil des Menschen erschlossenen Wahrheit leuchtet uns auf in Christus, der zugleich der Mittler und die Fülle der ganzen Offenbarung ist«(Dei Verbum 2). Paulus drückt dies mit den Worte aus: »Denn in ihm allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes. Durch ihn seid auch ihr davon erfüllt« (Kol 2,9-10).
Ja, in Christus, in seinen Werken, in seiner Hingabe, aber auch durch die Sendung des hl. Geistes, hat Gott für jeden Menschen gezeigt, wer er ist. Dies wird auch durch die Aussage Jesu noch einmal hervorgehoben: «Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen»(Joh14,9).
Niemand kommt zum Vater außer durch mich
Und was bedeutet es noch, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist? Es bedeutet, dass er uns zeigt, was es heißt Christ zu sein, was es bedeutet auf dem Weg zu gehen, der zum Vater führt. Es bedeutet, mit dem Maß Christi zu lieben, mit der Liebe ohne Maß, durch das, was uns der Alltag beschert. Durch die alltägliche Hingabe in den kleinen Dingen des Alltags, welche jeden Tag erforderlich ist und durch die Verbindung dieser Hingabe mit der Hingabe Christi im Altarssakrament. Dadurch, durch das Mit-ihm-sein, das uns selbst verwandelt und zu Liebe werden lässt, ist unsere tiefste Sehnsucht erfüllt.
«Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich»(Joh14,6), sagt der Herr im heutigen Evangelium. Bitten wir auf die Fürsprache der seligen Jungfrau Maria, die wir im Monat Mai ganz besonders anrufen, dass wir diese Worte tiefer verstehen und so immer tiefer ins Geheimnis des Lebens und ins Geheimnis Gottes eingeführt werden.
(radio vatikan - claudia kaminski)
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