Unser Sonntag: Gott wählt aus und beruft
Prof. Dr. Stefan Mückl - Vatikanstadt
Mt. 9,36 - 10,8
Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Dieser Ausruf des Herrn aus dem heutigen Evangelium (Mt 9,36 - 10,8) umschreibt eher den Normal- als den Ausnahmefall in der Kirche im Wandel der Zeiten. Er trifft ohne Frage die aktuelle Situation in Deutschland: Nach einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Statistik betrug im vergangenen Jahr die Zahl der Seminaristen nur noch ein gutes Drittel des Stands von 2000. Ebenso verhält es sich im gleichen Zeitraum mit der Zahl der Neupriester. 2019 lag sie in allen 27 deutschen Diözesen bei 63. Der Trend hat sich in den letzten Jahren noch merklich beschleunigt: Allein in den vergangenen sieben Jahren hat sich die Zahl sowohl der Seminaristen wie der Neupriester fast halbiert.
So bekannt wie der Befund sind auch die Versuche, Abhilfe zu schaffen. Bei dem Bestreben, zusätzliche Arbeiter zu rekrutieren, mischt sich Bedenkenswertes mit Verwegenem. Nicht wenige der Vorschläge, die immer wieder unterbreitet werden, bieten Alt-Bekanntes, das längst geprüft und entschieden wurde. Andere Rezepte können für sich immerhin in Anspruch nehmen, so orginell zu sein, daß bisher noch niemand auf sie gekommen ist. Aber kommen wir so dem Befund wirklich bei? Kann die Abhilfe aus eigener Kraft und Anstrengung kommen?
Die Antwort des Herrn ist eine ganz andere, sie ist ganz einfach, ja, fast schlicht: Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden. Die gleiche Antwort gibt in seinem letzten Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Papst Franziskus, wenn er dazu ermutigt, „das Gebet um Priesterberufungen zu fördern“.
Beten wir wirklich um Berufungen?
Fragen wir uns einmal in aller Aufrichtigkeit: Ist es mir, meiner Pfarrei, meiner Gemeinschaft, meiner Gebetgruppe ein wirkliches Anliegen, das ich beharrlich im Gebet vor den Herrn trage? Übe ich die Kraft des langen Atems, auch angesichts der scheinenden Unfruchtbarkeit solchen Betens? Habe ich Geduld in der Erfüllung meines Anliegens oder will ich schnelle Erfolge sehen? Vertraue ich auf die Wirksamkeit des Gebetes, oder will ich es letztlich doch wieder selbst „machen“?
Hören wir noch einmal den Heiligen Vater. Im vergangenen Jahr schrieb er am Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus einen „Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“. Dabei betont er eindringlich die Notwendigkeit, den „Primat der Evangelisierung zurückzugewinnen“ (Nr. 7) und verweist darauf, daß bestimmte Gaben uns nur der Herr schenken kann. „Uns muß es genügen“, so fährt er fort, „durch Gebet und Fasten um seine Gnade zu bitten“ (Nr. 12).
Genau das entspricht dem Handeln des Herrn selbst. Vor der Berufung der zwölf Apostel, von der wir gleichfalls im heutigen Evangelium hören, verbrachte der Herr nach der Parallelstelle bei Lukas die ganze Nacht im Gebet zu Gott (Lk 6,12). Bei allen Elementen der Berufung beobachten wir den Primat des Herrn: Er ist es, der bestimmte Menschen zu sich ruft, sie zuvor auswählt (und ganz offensichtlich diese Auswahl im Gebet mit seinem Vater im Heiligen Geist gleichsam „vorbereitet“ hat), sie als Apostel einsetzt und ihnen eine konkrete Sendung mit einem spezifischen Inhalt anvertraut. In alledem zeigt sich das, was der hl. Johannes in die Worte faßt: Nicht ihr habt mich erwählt, Ich habe euch erwählt (Joh 15,16).
In allem ist es also der Herr selbst, der die Initiative ergreift. Er wählt aus und ruft, wen Er will. Niemand hat ein Recht auf einen solchen Ruf, der Gabe und Geschenk ist. Es geht dabei auch nicht um menschliche Fähigkeiten und Qualitäten, sondern allein um die Maßstäbe und Kriterien Gottes, der allein in das Herz sieht. Wie viele hat der Herr berufen, die zuvor von den Bauleuten verworfen worden waren! Und umgekehrt: Die Berufung ist nicht schon die Garantie für den Erfolg der Sendung. Wie viele Biographien des Scheiterns, beginnend mit Judas, gibt es!
Berufung ist Logik göttlichen Handelns
Spricht nicht schon das gegen eine, wie manche meinen, „spiritualistische Überhöhung“ der Berufung? Nun, gewiß wußte der Herr schon im Augenblick der Berufung des Judas, welches Ende er nehmen würde. Seine Berufung aber fügt sich bruchlos in die Logik göttlichen Handelns ein: Das Wirken Gottes, auch Sein Ruf, bewirkt keine Determination. Gewiß ist der Mensch von Gott zum Guten vorherbestimmt, doch Gott hat ihn zugleich als freie Person geschaffen – als solche kann sie den göttlichen Ruf annehmen oder auch nicht (immerhin überliefert uns die Heilige Schrift in der Perikope vom reichen Jüngling das Beispiel einer negativen Antwort, vgl. Mt 10,17-22 par.), kann ihm treu bleiben oder auch nicht. Solche und ähnliche Fälle des Scheiterns und der Untreue haben – gegen jede Regel des modernen Marketing – deshalb Eingang in die Heilige Schrift gefunden, um uns immer wieder vor Augen führen, daß wir stets den göttlichen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen tragen (vgl. 2 Kor 4,7), damals wie heute.
Allgemeine Berufung zur Heiligkeit
Nun erschöpft sich der Begriff der Berufung, bei aller Bedeutung für das Leben der Kirche, nicht auf das priesterliche Amt. Eine der zentralen Erkenntnisse des II. Vatikanischen Konzils besteht bekanntlich in der Wiederentdeckung der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit in der Kirche. Was im fünften Kapitel der Konstitution Lumen gentium niedergelegt ist, konnte sich auf zahlreiche Aufbrüche im Lauf des 20. Jahrhunderts stützen, wie z.B. das Wirken des hl. Josefmaria Escrivá. Alle Christen habe eine gemeinsame Berufung – diejenige zur Heiligkeit. Zugleich ist Berufung immer etwas Persönliches. Die Verschiedenheit der Berufung zeigt sich nun darin, daß jeder das gemeinsame Element – eben den Ruf zur Heiligkeit – in (s)einer persönlichen Konkretisierung lebt. Diese persönliche Konkretisierung ist eine Modalität der christlichen Berufung, sei sie nun dienstbezogen (priesterliche Berufung), in Distanz zur Welt (typisch für die Ordensberufung) oder umgekehrt inmitten der Welt. Im mystischen Leib Christi, der Kirche, müssen nicht alle Glieder die gleiche Funktion wahrnehmen (vgl. Röm 12,4).
Eine jede Berufung baut, auf die ihr eigene Weise, die Kirche auf: Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn (1 Kor 12,4-5). Welch großer Dienst am vom Papst so gewünschten „Primat der Evangelisierung“ wäre es, die Berufungen in ihrer Vielfalt in den Blick und ins Gebet zu nehmen – um Priester, deren sakramentaler Dienst essentiell für die Kirche ist, um Ordensleute, die schon durch ihre Existenz öffentlich Zeugnis vom ewigen Leben geben, um gläubige Laien, welche die Welt auf Christus hin ausrichten, vor allem um Eheleute, die Zeugnis von der schöpferischen Liebe Gottes geben.
Fronleichnam: Eucharistie im Mittelpunkt
Eine jede Berufung hat ihre Sendung, so wie sie den Aposteln im heutigen Evangelium anvertraut wird. In manchen Gegenden Deutschlands wird an diesem Sonntag das Fronleichnamsfest gefeiert, das zweite große Fest des Kirchenjahres, in dessen Mittelpunkt die Heilige Eucharistie steht. Infolge der gegenwärtigen Umstände konnten wir dieses Jahr das erste Fest – den Gründonnerstag – nur still und zumeist über die Medien begehen. Die fortbestehenden Einschränkungen machen auch heute eine Feier des Festes, wie wir sie gewohnt sind, nicht immer möglich. Eine Feier ist aber stets die Außenseite dessen, was wir im Inneren empfinden. Möge unsere Sehnsucht, den Herrn sakramental zu empfangen, uns zu einer immer tieferen und innigeren Beziehung zu Ihm führen, einer Vertrautheit, die uns in unserer eigenen Berufung trägt und stärkt, die uns rufen und bitten läßt: Herr, sende Arbeiter für deine Ernte!
(radio vatikan - claudia kaminski)
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