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Unser Sonntag Prof. Dr. Stefan Mückl Unser Sonntag Prof. Dr. Stefan Mückl 

Unser Sonntag: Eros, Philia und Agape

In seiner Betrachtung zum Evangelium weist Stefan Mückl auf, dass die deutsche Sprache, die nur das Wort "Liebe" kennt, geradezu unterkomplex ist und geht der Frage nach, wie die Liebe uns eigentlich in der Heiligen Schrift entgegentritt.

Prof. Dr. Stefan Mückl - Vatikanstadt

Mt; 10, 37-42

Es gibt Begriffe von einer scheinbar intuitiven Klarheit – man glaubt zu wissen, was gemeint ist, tut sich aber damit schwer, dies auch in Worte zu fassen. Zu diesen Begriffen gehört jener der „Liebe“. Von ihr ist im heutigen Evangelium die Rede, allerdings auf eine eher sperrige, ja sogar schroffe – manch einer würde sagen: „wenig pastorale“ – Art: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, mahnt uns der Herr (Mt 10,37).

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Das klingt wie eine Provokation. Hat nicht Gott selbst im Vierten Gebot ausdrücklich gefordert, Vater und Mutter zu ehren, und dieses Gebot als das einzige mit einer Verheißung verbunden – damit du lange lebst und es dir gut geht (Dt 5,16, vgl. auch Ex 20,12)? Und widerspricht es nicht dem Wesen der Liebe, wenn sie durch Vorgaben, wer mehr und wer weniger zu lieben sei, gleichsam hierarchisiert wird?

Das Doppelgebot der Liebe

Immerhin läßt sich darauf verweisen, daß die Aussage des heutigen Evangeliums in der Heiligen Schrift keinesfalls alleine steht, also keinen „Ausreißer“ darstellt. Vergleichbar heißt es im berühmten Doppelgebot der Liebe: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (Mt 22,37 ff.). Damit knüpft der Herr an das gleiche Gebot an, von dem schon das Buch Deuteronium handelt und das jeder fromme Jude bis heute täglich verrichtet: Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. (Dt 6,4-5).
Das führt uns zu entscheidenden Fragen: Was meint die Offenbarung eigentlich mit Liebe, wie tritt sie uns in der Heiligen Schrift entgegen? Was bedeutet es, Gott zu lieben? Wie verhält sich dazu die zweite Dimension jenes Doppelgebots, den Nächsten zu lieben?

„Simon, ... liebst du mich?“

Daß unsere Vorstellungen von „Liebe“ so klar zu sein scheinen, hat zunächst etwas mit unserer Sprache zu tun. Denn unsere deutsche Sprache ist insoweit, man glaubt es kaum, „unterkomplex“. Wo sie nur den einen Begriff „Liebe“ kennt, der dann in der Konsequenz eine ganze Bandbreite von Sachverhalten und Bedeutungsschichten abdecken muß, verwendet die Originalsprache des Neuen Testaments, das Griechische, gleich deren drei: eros, philia und agape. Der eros sucht das Schöne im eigenen Leben und bezeichnet die leidenschaftliche sinnliche Liebe. Im religiösen Bereich spielt sie, sehen wir einmal von Phänomenen wie der Tempelprostitution und Berichten über amouröse Eskapaden antiker Gottheiten ab, keine Rolle. Demgegenüber erstrebt die philia das Wohl des anderen, sie ist die durch Altruismus gekennzeichnete persönliche geistige Liebe. Das gegenüber dem antiken Verständnis Neue ist die agape, ein im Profangriechisch kaum benutzter Ausdruck. Sie meint die vorbehaltlose, allumfassende und bedingungslose Liebe.

Untreue und Drama des Petrus

Bezeichnend für diese unterschiedlichen Bedeutungsgehalte ist der Dialog zwischen dem auferstandenen Herrn und Petrus am Ufer des See von Tiberias (Joh 21,15-19). Dreimal fragt Jesus den Petrus: Simon, ... liebst du mich? Indes, in den ersten beiden Frage bittet ihn der Herr um die vorbehaltlose, allumfassende, bedingungslose Liebe (agapâs-me). Petrus, wohl in Erinnerung an die bittere Traurigkeit der Untreue und das Drama der eigenen Schwäche im Augenblick des Verrats, antwortet Ihm: Herr, ich habe dich lieb (philô-se), also „Ich liebe dich mit meiner armseligen menschlichen Liebe“. Erst beim dritten Mal verwendet Jesus selbst den Begriff der philia: Phileîs-me? (Hast du mich lieb?) Nun versteht Petrus, daß Jesus seine armselige Liebe genügt, die einzige, zu der er fähig ist. Was ihn, wie der Evangelist anmerkt, traurig macht (Joh 21,17), ist nicht so sehr die wiederholte Frage des Herrn, sondern die Einsicht, nicht mehr geben zu können.
Jene agape kann es nur geben, wenn und weil es Gott gibt. Sie ist jene Liebe, die Maß nimmt an der Liebe Gottes, der Liebe jenes Gottes, der uns zuerst geliebt hat (1 Joh 4,19) – weil Er die Liebe ist (1 Joh 4,8.16).

„Was bedeutet es, Gott zu lieben?“

Das führt uns sogleich zum zweiten Fragenkreis: Was bedeutet es, Gott zu lieben? Zunächst ist die Vergewisserung hilfreich, warum wir eigentlich Gott lieben sollen. Die Antwort ist ebenso einfach wie tiefgründig: Weil Er ist, weil Er Gott ist. Die vollkommene Liebe ist, so sagten wir, vorbehaltlos, allumfassend und bedingungslos. Sie hängt also nicht davon ab, was wir selbst empfangen haben oder als empfangen wahrnehmen. Dementsprechend ist der Grund unserer Liebe zu Gott gerade nicht der Umstand, daß er etwas tut, und sei es Gutes. Das vermag gewiß unsere Liebe zu verstärken. Doch Gott ist liebenswert wegen seines Seins – Gott ist die Liebe –, an dem Er uns teilhaben läßt.

Liebe zu Gott heißt Halten seiner Gebote

Dementsprechend ist unsere Liebe zu Gott eine übernatürliche Liebe, sie verdankt sich nicht menschlicher Sympathie und Empathie, sondern ist Geschenk und Gabe. Eben darum ist sie absolut. Da wir sie vom Schöpfer empfangen haben, darf kein Geschöpf Ihm gleichgestellt oder vorgezogen werden. Wann immer das geschieht, wenden wir uns von Gott ab und der Kreatur zu – mit dieser knappen Definition bezeichnet der hl. Augustinus die Sünde. Diese nun besteht nicht darin, daß wir uns an den geschaffenen Dingen erfreuen – was legitim, ja sogar gottgewollt ist, da auch sie aus seiner Schöpferhand hervorgegangen sind –, sondern wenn wir dies ohne Ihn oder gar gegen Ihn tun. Gerade so erhält die wahre Liebe zu Gott ihren Maßstab: Unser gesamtes Tun muß sich daran messen lassen, ob es sich immer wieder an Ihm ausrichtet, an Seinem Wort und Seinem Ratschluß. Der hl. Johannes bringt es auf den Punkt: Denn die Liebe zu Gott besteht darin, daß wir seine Gebote halten. (1 Joh 5,3). Das Wesen der Liebe besteht – entgegen verbreiteten Fehlvorstellungen – nicht in den flüchtigen und wandelbaren Gefühlen und Leidenschaften, sondern im Willen, der fest auf ein Ziel ausgerichtet ist: den Willen Gottes zu erfüllen, Ihm in unserem Tun und Handeln nachzufolgen.
Was das heißt, zeigen uns so viele Heilige: jene Unbekannten und Unbenannten, die still, aufopferungsvoll und unter Verzicht auf eigene Bedürfnisse einen kranken Angehörigen pflegen, ebenso jene, die wir anrufen dürfen wie die hl. Mutter Teresa.

Gibt es eine Rangordnung der Liebe?

Damit sind wir beim dritten Fragenkreis angelangt: Wie verhält sich das Gebot der Gottes- zu jenem der Nächstenliebe? Kann es eine Rangordnung, eine Priorität in der Liebe geben?
Hören wir noch einmal in das heutige Evangelium hinein: Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat. (Mt 10,40). An anderer Stelle heißt es beim gleichen Evangelisten, dem hl. Matthäus: Wer ein ... Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf (Mt 18,5).
Die christliche Nächstenliebe erhält ihr proprium gerade dadurch, daß sie in Christus zentriert ist: in meinem Namen, um meines Namens willen sollen wir handeln – weil wir im anderen Christus sehen. Eben dies unterscheidet die wahre Nächstenliebe von bloßer Philanthropie und diffuser Fernstenliebe, so sehr sie sich auch in schwärmerische Rhetorik kleidet wie Schiller’s „alle Menschen werden Brüder“. Genauer gesagt, sie werden es dann – und nur dann –, wenn es in Anerkennung der Tatsache geschieht, daß alle denselben Vater haben.

„Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig“

Jene Zentrierung auf Christus hin führt auch zu einer legitimen Randordnung in der Nächstliebe, einem ordo caritatis. Hat Gott uns bestimmte Menschen an die Seite gestellt – wie durch Verwandtschaft, Freundschaft, spezifische Fürsorgeverhältnisse oder auch in konkreten Situationen (wie im Fall des barmherzigen Samariters) –, hat sich gerade an ihnen unsere Liebe zu erweisen. Über allem freilich steht der Ruf des Herrn, mitzuwirken am Aufbau des Reiches Gottes und in Seine Nachfolge einzutreten: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig (Mt 10,38). Gott beruft uns immer wieder zum Großen, unsere überschaubaren Verhältnisse und Horizonte weit Überschreitendem. Ein solcher Ruf ist Ausfluß Seiner Liebe, einer Liebe, die Erwiderung erbittet und erwartet.
(radio vatikan - claudia kaminski)

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27. Juni 2020, 10:24