Corona: Ethikerin fordert Spielraum für Pflegeheime
Künftige Verordnungen sollten „Lebensqualität, Schutz vor Ansteckung und Menschenrechte klug gegeneinander abwiegen“ und dabei auf Erfahrung der Pflegekräfte Rücksicht nehmen, forderte Geschäftsführerin Susanne Kummer in einer Aussendung vom Donnerstag. „Ältere Menschen dürfen nicht bloß darauf reduziert werden, ein schützenswerter Risikofall zu sein. Sie brauchten gerade in Ausnahmesituationen Sauerstoff für die Seele in Form von menschlicher Nähe“, so die Expertin.
Für Pflegeheim-Bewohner waren die Covid-19-Maßnahmen enorm belastend. „Menschen leiden mehr unter körperlichen Einschränkungen und physischen Schmerzen, wenn sie einsam und alleine sind“, erklärte Kummer. Erwiesenermaßen könne soziale Isolation das Sterblichkeitsrisiko deutlich erhöhen, wobei besonders der Verlust sinnstiftender Beziehungen und sozialer Teilhabe zu Einsamkeit führt. Indem der Lockdown den Menschen einen „Verzicht von außen aufgelegt“ habe, hätten diese auch Selbstbestimmung verloren. „Lebensqualität bedeutet, den Menschen ihre Eigenverantwortung zurückzugeben“.
Ähnlich schwierig stellt sich die Situation jedoch auch auf Seiten der Bediensteten in den Pflege- und Gesundheitsberufen dar. Sie seien durch die vielzähligen Beschränkungen einem „vielfältigen moralischen Stress“ ausgesetzt, betonte Kummer. Um hier eine Verbesserung zu erwirken, seien „realistische Konzepte“ nötig: Vertreter der Pflege und Institutionen sollten gehört, ihnen Rechtssicherheit gegeben und sie zugleich zu kreativen Lösungen ermutigt werden. Jedenfalls sei diese Gruppe in der Ausformulierung neuer Regelungen für Pflegeheime einzubeziehen.
Die IMABE-Geschäftsführerin verwies auf ein „hilfreiches Diskussionspapier“ der Akademie für Ethik in der Medizin, das pflegeethische Reflexionen zu den Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 vorgelegt hat. Darin enthalten sind auch Vorschläge, ein „menschenwürdiges Leben unter den Bedingungen der Pflegebedürftigkeit in Pandemiezeiten“ zu ermöglichen - auf der Ebene der direkten pflegerischen Versorgung bis hin zur institutionellen und gesellschaftspolitischen Ebene. (Vgl. „Covid-19: Handlungsempfehlungen, Stellungnahmen und Positionspapiere aus Medizin, Pflege und Ethik“)
Einsames Sterben verhindern
Dass nicht nur der letzte Lebensabschnitt, sondern auch das Sterben in Corona-Zeiten menschlich bleiben muss, haben US-Pflegewissenschaftlerinnen, -Intensivmedizinerinnen und -Psychologinnen in einem aktuellen Beitrag für das Fachblatt „Intensive Care Medicine“ gefordert, von dem das IMABE-Institut auf seiner Homepage berichtet. „Schutz vor Infektionen und eine familienzentrierte Versorgung schließen einander nicht aus“, heißt es darin. Dass hingegen Patienten unter Covid-19 allein sterben mussten, habe für die Betroffenen selbst wie auch das Personal zu „traumatischen Erfahrungen“ geführt.
Ein „Umdenken“ in diesen außergewöhnlichen Zeiten müsse einen Entscheidungsrahmen schaffen, „der das Infektionsrisiko minimiert, die Beziehungen zwischen Patient und Familie respektiert, kulturell wichtige Sterberituale einhält und potenzielle psychische Schäden mindert, die durch das Trauma der Familientrennung hervorgerufen werden können“, heißt es in dem Fachbeitrag. Ein bloß virtueller Kontakt zwischen Patient und Angehörigen sei zu wenig. Die Anwesenheit erwachsener Familienmitglieder am Kranken- und Sterbebett von Patienten während Covid-19 sollte unter bestimmten Auflagen ebenso erneut ermöglicht werden wie auch kulturelle und religiöse Traditionen, die den Sterbenden die Angst nehmen und Hinterbliebenen Trost geben. „Allein zu sterben sollte trotz sozialer Distanzierung überhaupt nicht Teil des Sterbens sein“, betonen die Autoren.
(kap – sk)
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