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See Genezareth See Genezareth 

Unser Sonntag: Die Augen für den Herrn schärfen

Pater Norbert Johannes Hofmann geht in der Betrachtung auf den Gegenwind ein, den das Boot der Jünger auf dem See Genezareth erfährt. Er sieht die katholische Kirche im Gegenwind und von innerkirchlichen Stürmen betroffen - aber der Herr ist unsere Zuversicht, der jedem Sturm trotzt.

P. Dr. Norbert Johannes Hofmann

Mt 14,22-33

Wer in sportlicher Hinsicht das Fahrrad nutzt, der weiß, dass zum schnellen Fortkommen nicht nur die persönliche Fitness, die Qualität und der Zustand des Rads, sondern auch der Wind eine gewisse Rolle spielt. Rückenwind beschleunigt die Geschwindigkeit, allerdings merkt man den kaum, weil er einem nicht ins Gesicht bläst und behindert. Gegenwind allerdings kann sehr unangenehm sein, weil man ihn mit größeren Kraftanstrengungen zu überwinden versuchen muss und er die Geschwindigkeit ziemlich bremsen kann.

Unser Sonntag - zum Nachhören:

Von Gegenwind ist auch im Evangelium die Rede als die Jünger entsprechend der Empfehlung Jesu auf dem See Genezareth in einem Boot „an das andere Ufer“ vorausfahren. Dazu muss man wissen, dass an diesem See bis heute jeweils am späteren Nachmittag bis in die Nacht ein ziemlich heftiger Wind aufkommen kann. Es handelt sich also um ein ganz normales Wetterphänomen in dieser Gegend, und so wird das Boot weit draußen auf dem See von den starken Wellen hin- und hergeworfen. Jetzt müsste man meinen, dass die ersten Jünger Jesu als Fischer mit diesem Wellengang gut vertraut wären, dennoch scheinen sie besorgt und unsicher zu sein. In der Nacht begegnet ihnen Jesus wandelnd auf dem See und sie erkennen ihn in ihrer Angst und Sorge nicht, meinen sogar, es handle sich um ein Gespenst.

Eine überraschende Gottesbegegnung

Die Jünger sind derart auf sich und ihre Situation fixiert, dass sie nicht über ihren Horizont hinausschauen können. Sie erschrecken, haben große Angst, schreien sogar in ihrer Verzweiflung. Und diese negativ besetzte emotionale Situation verhindert, dass sie objektiv erkennen, was mit ihnen wirklich geschieht, wer auf sie zukommt. Letztlich geht es um eine unvorhergesehene und überraschende „Gottesbegegnung“. Aber wer ist auf eine solche schon vorbereitet? Auch in der alttestamentlichen Lesung geht es an diesem Sonntag um eine „Gottesbegegnung“, die dem Propheten Elija zuteil wird.

Dr. Norbert Johannes Hofmann
Dr. Norbert Johannes Hofmann

Die klassischen Theophanieelemente, also Zustände bei einer Gotteserscheinung, sind in der Bibel oft Naturgewalten, wie Sturm, Donner, Feuer und Erdbeben, aber dem Elija begegnet Gott am Gottesberg Horeb in einem sanften, leisen Säuseln, entsprechend des ursprünglichen hebräischen Wortes eigentlich ein Zustand der absoluten Windstille. Jesus aber begegnet den Jüngern auf dem See in einem Sturm.

„Das 'Fürchtet euch nicht' hallt hunderte von Malen durch die Bibel“

Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass ihnen kein normaler Mensch entgegenkommt, sondern „Gottes Sohn“, als der er ja am Schluss des Evangeliums bekannt wird. Erst als sich der auf dem See wandelnde Jesus durch seine Stimme zu erkennen gibt und mit den Jüngern redet, beruhigen sie sich. Jesus spricht ihnen Mut zu: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht“ (Mt 14,27). Dieses „Fürchtet euch nicht“ hallt hunderte von Malen durch die Bibel als göttlicher Trost und Zusicherung in schwieriger Situation, in denen sich das Volk Israel oder auch einzelne Menschen befinden. Gott weiß um die Gebrochenheit, die Angst und Gefährdung im menschlichen Leben, und reagiert darauf mit der An- und Zusage seines göttlichen Beistands, seiner Hilfe.
Und nun tritt der Apostel Petrus auf den Plan, der als der Repräsentant aller Jünger gelten kann, weil er in den Apostellisten des Neuen Testaments immer an erster Stelle steht.

Petrus hat kein Vertrauen

Er hat den Wunsch, Jesus auf dem See näher zu kommen, es ihm gleichzutun, bittet ihn aber vorher, dass er ihm die Fähigkeit verleihe, auf dem Wasser wandeln zu können. Jesus lässt sich auf diesen Handel ein, und tatsächlich geht auch Petrus über das Wasser. Aber nur für eine kurze Zeit! Weil er zu wenig auf das Wort Jesu vertraut und vor den Naturgewalten immer mehr Angst bekommt, geht er im Wasser unter und ruft den Herrn zu Hilfe. Der streckt ihm seine Hand aus und rettet ihn, wobei er ihn aber aufgrund seines schwachen Glaubens tadelt: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt 14,31) Die Angst, der Zweifel, das mangelnde Vertrauen hat Petrus in diese missliche Lage gebracht, aus der nur der Herr ihn retten kann.
Gegenwind, das erfährt in unseren Tagen immer mehr auch unsere Kirche. Könnte man sie nicht mit dem Boot vergleichen, in dem die Jünger auf dem See dem Sturm trotzen müssen? Die Kirche wird wie im Sturm auf dem See von den Wellen der Kritik, der Anfeindung, der Angriffslust hin- und hergeworfen. Auch innerkirchlich toben oft Stürme um den rechten Kurs und wie sie sich angesichts einer immer mehr säkularisierten Gesellschaft verhalten soll.

„Die Kirche ist wie eine kleine Herde, die sich immer mehr in die Katakomben der Selbstbespiegelung zurückzieht“

Sind Strukturdebatten zielführend, soll sie sich immer mehr in die Zeitumstände hineinbegeben oder geht es um ein authentisches christliches Zeugnis entsprechend des Evangeliums? Geht es darum, die Kirche menschengerecht zu machen oder den Menschen kirchengerecht?
Das Evangelium von heute lehrt uns, dass wir bei allen Stürmen, bei allem Gegenwind in unserer Kirche unsere Augen für den Herrn schärfen müssen, er ist schon immer der, der uns entgegenkommt, auch auf den trudelnden Wassern der Unsicherheit, die uns in die Tiefe zu reißen drohen. Er ist kein Gespenst, sondern vertreibt vielmehr die Gespenster unseres Zweifels mit seinem beschwichtigenden Wort. Das „Fürchtet euch nicht, ich bin es!“ gilt verstärkt der Kirche unserer Tage, die wie eine kleine Herde dabei ist, den Mut zu verlieren und sich immer mehr in die Katakomben der Selbstbespiegelung zurückzieht. Unsere Zuversicht ist der Herr, der jedem Sturm trotzt, der auf unserer Seite steht und uns kraftvoll in eine gute Zukunft führen will. Wir brauchen nur mehr Vertrauen, müssen noch mehr Christus in den Blick nehmen und auf seine Stimme hören.

Die Kirche muss die Nähe des Herrn suchen...

Petrus gilt als Repräsentant der Kirche, er ist der Fels, auf den der Herr seine Kirche bauen will. Zunächst zieht ihn der auf dem See wandelnde Herr an, er sucht noch mehr seine Nähe, hat den Mut, ins Ungewisse zu springen, und zwar im Vertrauen auf sein Wort. Dann aber lässt er sich von den Gefahren übermannen, wird unsicher, fürchtet sich und geht in seinen eigenen Ängsten unter. Er kann sich nicht vorbehaltlos dem Wort des Herrn hingeben, seine Selbstbezogenheit gewinnt die Überhand. Was bleibt ihm in dieser Situation anderes übrig, als den Herrn um Hilfe zu bitten: „Herr, rette mich!“ (Mt 14,30). Und Jesus streckt die Hand aus, reißt ihn heraus aus den lauernden Untiefen seines Zweifels, gibt ihm Halt und rettet ihn. Als „Kleingläubiger“ (Mt 14,31) erweist sich nach den Worten Jesu der Fels der Kirche, als einer, der sich zuerst vorwagt, dann aber Angst vor der eigenen Courage bekommt. Petrus blamiert sich, er lernt eigentlich sehr wenig aus dieser Situation, denn als er Jesus nach seiner Verhaftung vor den anderen verleugnet und der Hahn dreimal kräht, erweist er sich wieder als der Unzuverlässige und angepasst Selbstbezogene.

...der Herr wird seine ausgestreckte Hand nie zurückziehen

Die Kirche ist immer angehalten, die Nähe des Herrn zu suchen, gerade in schwierigen Zeiten. Sie muss davon überzeugt sein, dem Herrn entgegenzugehen, und dabei auf ihn und seine Hilfe zu bauen. Kein Anlass sollte bestehen, sich von den Unwägbarkeiten, Unsicherheiten und Schwierigkeiten der Zeit beeindrucken und verängstigen zu lassen. Selbst wenn wir aufgrund mangelnden Vertrauens in den Wogen der alltäglichen Sorgen unterzugehen drohen, dürfen wir den Herrn um seine Hilfe bitten. Seine ausgestreckte Hand wird er nie zurückziehen. Nicht als „Kleingläubige“ sollen wir uns erweisen, sondern als „Großgläubige“, die nicht auf die eigenen unzulänglichen menschlichen Kräfte setzen, sondern alles dem Herrn anheimstellen. Es besteht für uns kein Grund, Angst zu haben, wenn er mit uns ist und unseren Lebensweg begleitet.
Das Evangelium endet damit, dass Jesus zu den Jüngern ins Boot steigt, sie vor ihm niederfallen und ihn als „Gottes Sohn“ bekennen. Das ist die Quintessenz dieser Erscheinung auf dem See: Die Göttlichkeit Jesu anzuerkennen, vor ihm niederzufallen und ihn als den zu bekennen, der aus dem Schoß Gottes zu uns kam, damit wir durch ihn Gott näherkommen.

„Die Quintessenz der Erscheinung auf dem See: Die Göttlichkeit Jesu anzuerkennen“

Es handelt sich um eine Theophaniegeschichte, eine Erscheinung Gottes, in der sich Jesus als der göttlich Bevollmächtige offenbart: Er ist nicht nur ein Mensch, der sich bedürftiger Menschen annimmt, sondern Gott selbst, der menschgewordene Gott, der mit einer besonderen Vollmacht und Autorität den Anbruch des Reiches Gottes verkündet. Auch wir sind eingeladen, ihn als Retter, als Heiland, als Sohn Gottes zu bekennen, als den, bei dem unser Leben geborgen und aufgehoben ist, bis wir von den Armen Gottes liebend umschlossen sind. Sich auf Jesus einzulassen, heißt, in aller Not nicht verlassen zu sein, sondern von ihm gehalten und bis hinein in die unverbrüchliche Gemeinschaft mit Gott getragen zu werden.
Gegenwind in unserer Zeit scheint fast normal zu sein, aber davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen, weil Jesus uns immer schon entgegengeht und schließlich in unser Lebensboot einsteigt. Er nimmt den Gegenwind aus den Segeln dieses Bootes und benutzt ihn, damit wir hineingetragen werden in die Nähe Gottes.


(radio vatikan - claudia kaminski)

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08. August 2020, 08:44