Unser Sonntag: Jesus sprengt alle Kategorien
P. Dr. Norbert Johannes Hofmann
Mt 16,21-27
Hat Sie schon einmal jemand als „Teufel“ bezeichnet, Sie einen „Satan“ genannt? Wahrscheinlich nicht, oder doch? Das wäre schon ein starkes Stück, einen Zeitgenossen derart zu beschimpfen. Aber genau das passiert im heutigen Evangelium. Jesus selbst wirft dieses Wort Petrus an den Kopf: „Tritt hinter mich, du Satan“ (Mt 16,23). „Satan“ bedeutet im Hebräischen als Verbum so viel wie „anfeinden, befeinden, verklagen, verführen, anschuldigen, widerstehen“, als Substantiv aber der „Widersacher, Gegner, Ankläger, Opponent“. Petrus erweist sich also hier scheinbar als der Widersacher Jesu, stellt sich ihm entgegen, verhält sich völlig konträr zu dem, was er eigentlich beabsichtigt. Aber schauen wir uns den Kontext an, dann wird die Sache vielleicht klarer.
Jesus erfüllt den Heilsplan Gottes
Sie werden ganz bewusst eingestreut, um das künftige Schicksal Jesu vorherzusagen, seinen Weg im Voraus zu kennzeichnen. Jesus stolpert nicht zufällig in seine Leidensgeschichte hinein, sondern erfüllt den bislang verborgenen Heilsplan Gottes. Hinter dem „es müsse so kommen“ steht im Griechischen grammatikalisch eine Passivform, die darauf verweist, dass Gott am Werk ist, er letztendlich die Dinge selbst in der Hand hat und steuert. Es gibt für den gehorsamen Sohn Gottes kein Entrinnen, will er sich dem Willen des Vaters nicht entziehen, sondern ihn bis zur Vollendung erfüllen. Das versteht Petrus überhaupt nicht, ist es doch von vornherein gegen jede Logik der damaligen jüdischen Religionsauffassung: Ein Messias, der kommt, um verworfen zu werden und zu leiden, der getötet wird, das geht über seinen Vorstellungshorizont hinaus. Petrus hat Jesus als den Messias Israels bekannt. Diesen Titel hat Jesus nicht von sich gewiesen, wenn er ihn auch nicht selbst im Munde führt. Ein Messias kommt, um die zwölf Stämme Israels zu sammeln, er verhilft dem Reich Gottes zum Durchbruch, richtet die endgültige Herrschaft Gottes auf.
Für Petrus macht ein leidender Messias keinen Sinn
Der Einwand des Petrus hat nicht nur damit zu tun, dass er ein missliches Schicksal von Jesus abhalten oder es aufgrund seiner Anhänglichkeit verhindern will, sondern es geht hier vor allem darum, dass für ihn ein „leidender Messias“ keinen Sinn ergibt. Er reagiert also mehr aufgrund dessen, dass er innerhalb der jüdischen Tradition keinen Platz sieht für ein wie auch immer geartetes Leiden des Messias. Völlig paradox wäre zudem für ihn das angekündigte Todesschicksal des Messias. Ist Jesus dann wirklich der Messias, wenn sich alles das bewahrheiten würde, was er voraussagt? Es sind also Bedenken grundsätzlicher Natur, die Petrus zu seiner Aussage veranlassen, das von Jesus Vorausgesagte solle nicht Wirklichkeit werden.
Jesus aber sprengt alle Kategorien, es geht ihm nicht darum, sich in die vorgängigen jüdischen Denkmuster einfügen zu lassen. Daher weist er den Petrus so schroff zurecht. Das Denken des Petrus stellt er in Gegensatz zu den Plänen Gottes. Aus diesem Grund ist Petrus dem Herrn ein Ärgernis. Im Griechischen steht dafür das Wort „skándalon“, was wir vom Deutschen her als „Skandal“ kennen.
Einen Skandal provoziert gleichsam der unwissende Petrus, weil er sich die Dinge nach seinem eigenen Geschmack zurecht legen will, und zwar ohne nach den Absichten Gottes zu fragen. Petrus wird vom Herrn vorgeworfen, er klebe zu sehr an den gängigen menschlichen Vorstellungen und gebe daher der Sache Gottes keinen Raum. Gott ist fähig über den menschlichen Vorstellungshorizont hinaus zu agieren, er kann vom menschlichen Verstand nicht einfach eingefangen werden, steht über allen Dingen. Jesus aber ist eng mit Gott, seinem Vater, verbunden, er ruht am Herzen des Vaters (vgl. Joh 1,18), ist sein vollmächtig Gesandter, ist gekommen, nicht seinen eigenen Willen zu tun, sondern den des Vaters (vgl. Mt 26,39).
Jesus kennt den Willen des Vaters
Mit der im Hintergrund stehenden Aussage, dass Jesus den Willen des Vaters kennt, wird natürlich auf seine göttliche Natur angespielt, die den Menschen zunächst verborgen bleibt. Hier spricht einer, der die Pläne Gottes kennt, die im Gegensatz zu dem stehen, was Menschen denken, erwägen und ersinnen. Daher wird Petrus vom Herrn als „Satan“ bezeichnet, als ein Widersacher, der gegen die Sache Gottes steht und sich selbst die Dinge so zurecht legen will, wie sie ihm plausibel erscheinen. Das ist dem Petrus zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht bewusst, wie sehr er mit seiner Aussage den Absichten Gottes entgegensteht und sich dann doch alles entwickeln wird: Er ist gleichsam ein Unwissender, den der Bannstahl des Herrn trifft. Er wird im Laufe der Zeit lernen und zusammen mit Johannes bei einem Verhör vor dem Hohen Rat in Jerusalem nach der Auferstehung Jesu gegenüber den jüdischen Autoritäten betonen: „Ob es vor Gott recht ist, mehr auf euch zu hören als auf Gott, das entscheidet selbst“ (Apg 4,19). Jetzt, nachdem ihm der Heilsplan Gottes durch Jesus klarer vor Augen steht, kann er eindeutig auf den Vorrang der Pläne Gottes verweisen.
Nachfolge in den Fußstapfen Jesu
Als Jesus den Petrus als „Satan“ bezeichnet, sagt er zuerst: „Tritt hinter mich“ (Mt 16,23). Genau die gleiche Formulierung findet sich nun im Weiteren, wenn es um die sich anschließenden Bedingungen zur Nachfolge Jesu geht: „Wenn einer hinter mir hergehen will …“ (Mt, 16,24). Nachfolge meint im wörtlichen Sinn, hinter Jesus herzugehen, ihn von hinten zu sehen, ihm zu folgen und seine Richtung einzuschlagen, ihm in seinen Fußstapfen hinterherzumarschieren. Es gibt also einen, der vorausgeht, der als Ideal die Orientierung und Sinnrichtung vorgibt, dem die anderen nachgehen. Einer sieht die Schultern seines Vordermanns, steht gleichsam auf den Schultern dessen, der ihm vorausgeht, ganz vorne aber gibt Jesus die Richtung und den Takt vor. In der katholischen Kirche gibt es das so genannte Prinzip der „apostolischen Sukzession“, das besagt, dass die göttliche Offenbarung mit dem Tod des letzten Apostels beendet war, diese aber nur dann authentisch weitergegeben werden kann, wenn man sich auf die durch die Jahrhunderte überlieferte apostolische Tradition stützt. Diese hat ja bei den Aposteln ihren Ausgang genommen, die direkten Umgang mit dem Herrn hatten. Unser Glaube ist also ein „apostolischer Glaube“ in der Nachfolge des Herrn. Wenn nun einer Jünger des Herrn werden will, so hat er seinem Beispiel zu folgen, ihn im wörtlichen Sinn zu imitieren, ihm gleichsam ähnlich zu werden. Dazu gehört vor allem auch, sich selbst zu verleugnen und sein Kreuz auf sich zu nehmen.
Die Märtyrer schreckten vor Leiden und Tod nicht zurück
Damit ist natürlich wieder auf die eingangs erwähnte Leidensankündigung Jesu angespielt. Der Jünger ist letztendlich bereit, sein eigenes ICH in den Hintergrund zu stellen, und wenn es hart auf hart kommt, dem Herrn sogar auf seinem Kreuzweg nachzufolgen. Viele christliche Märtyrer zeugen davon, dass sie die Worte Jesu ernst genommen haben und wie Jesus selbst nicht vor Leiden und Tod zurückgeschreckt sind. Wer nur an sich und sein Leben denkt, nur für seine eigene Selbstverwirklichung lebt und sich in egoistischer Weise das Leben untertan macht, der hat es längst schon verwirkt. Wer aber sein Leben auf Christus zentriert, ihn immer mehr im eigenen Leben Raum greifen lässt, der hat sich für das wahre Leben, das „Leben in Fülle“ entschieden. Es geht hier um eine ganz einfache Entscheidung: Geht es mir in all meinem Denken und Handeln nur um mich selbst oder um Jesus Christus. Echtes geistliches christliches Leben orientiert sich am Lebensbeispiel und der Lebenshingabe Jesu, der für die ihm Nachfolgenden „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist.
Unerbittliches und ausschließliches Festhalten an sich selbst, an den eigenen selbstzentrierten Bedürfnissen, Empfindlichkeiten und Vorstellungen führt nur zu einer „incurvatio in se“, wie es der heilige Augustinus genannt hat, einer „Verkrümmung in sich selbst“, die die Perspektive und Optik Gottes ausklammert und das eigene ICH absolut setzt. Letztlich ist der Mensch ein lebendiges Beziehungswesen, das sich nur im Kontakt mit anderen entwickeln und entfalten kann. Das ICH wird und reift am DU, wie es der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber ausgedrückt hat. Und das große DU unseres Lebens ist Gott selbst, der uns in Jesus Christus aufgezeigt hat, wie wahres Leben gelingen kann.
Im heutigen Evangelium gibt es zum Schluss noch einen Ausblick auf die Endzeit: „Der Menschensohn wird mit seinen Engeln in der Herrlichkeit seines Vaters kommen und dann wird er jedem nach seinen Taten vergelten“ (Mt 16,27). Der Kontext dieser Aussage ist natürlich die Nachfolge Jesu: Wer Jesus wirklich authentisch nachfolgt, wird sich wie er verhalten und Gutes tun, sich besonders aber für die Bedürftigen, Armen, Kranken, Schwachen und Ausgegrenzten einsetzen. Jesus nachzufolgen heißt, auf ihn zu schauen, ihm hinterherzugehen, seinem Beispiel zu folgen und die Absichten Gottes im eigenen Leben zu ergründen und zu verwirklichen.
(radio vatikan - claudia kaminski)
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