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Assistierter Suizid? (Symbolbild) Assistierter Suizid? (Symbolbild) 

Suizidbeihilfe: „Töten ist keine Therapieoption“

Mit Blick auf die am Donnerstag anstehende öffentliche Verhandlung über Suizidbeihilfe beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) mehren sich Stimmen, die vor einer Lockerung des geltenden Verbots warnen.

„Töten ist keine Therapieoption. Steht diese Möglichkeit erst einmal offen, wächst der Druck auf Kranke, ihrer Umgebung das alles zu ersparen“, betonte die Ethikerin Susanne Kummer in der „Kleinen Zeitung“ vom Sonntag. Aufgabe des Staates sei „nicht, Tötungswünsche zu regeln, sondern Menschen auch in verletzlichen Lebensphasen zu schützen“, so die Geschäftsführerin des kirchlichen Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE).

Verhandlung zu Lockerungen bei Suizidbeihilfe  

Für Donnerstag haben die heimischen Höchstrichter in Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung angesetzt. Dabei geht es um vier beim VfGH mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfe-Vereins Dignitas eingebrachte Anträge, wonach die bestehenden Paragrafen 77 und 78 des Strafgesetzbuches - es geht dabei um „Tötung auf Verlangen“ und „Beihilfe zum Suizid“ - gelockert werden sollen. Nachdem im Februar dieses Jahres das deutsche Bundesverfassungsgericht das Verbot der „geschäftsmäßigen Beihilfe“ zum Suizid gekippt hatte, stand das Thema im Juni auf der Agenda des VfGH, wurde dann aber auf den Herbst verschoben.

Selbstbestimmung?

Das von Suizidbeihilfe-Befürwortern in die Diskussion gebrachte Argument der Selbstbestimmung über den eigenen Tod sei „nur die halbe Wahrheit“, mahnte Kummer in ihrem Gastbeitrag. „Menschen, die sich mit Tötungsgedanken befassen, leben nicht auf einer seligen Insel der Autonomie. Im Gegenteil: Wer schwer krank, einsam oder gebrechlich ist, befindet sich in einer höchst verletzlichen Phase seines Lebens.“ Verlusterfahrungen, die Angst oder auch die Tatsache, anderen zur Last zu fallen, könnten Betroffene in eine Sackgasse tiefer Isolation und Hoffnungslosigkeit treiben. Stehe dabei die Tötungsoption als Lösung im Raum, wachse für sie der Druck, „dass sie das alles ihrer Umgebung jederzeit ersparen könnten“.

Gefahr der Entsolidarisierung

Die gesellschaftlichen Folgen einer Freigabe der Sterbehilfe wären enorm, warnte Kummer. „Entsolidarisierung geht schneller, als man denkt. In Kanada gibt es bereits Berechnungen, wie viel Geld sich dank 'Euthanasie', wie sie dort unverblümt genannt wird, eingespart werden kann.“ Zahlen aus der Schweiz und den USA belegten einen „beunruhigenden Anstieg von Selbsttötungen, wo der Staat die Hand zum Suizid reicht“, und in den Beneluxstaaten hätten Ärzte zugegeben, ihre Patienten getötet zu haben - auch ohne deren Wunsch. „Hier sind Machtstrukturen wirksam, die es klar zu benennen gilt“, so die IMABE-Geschäftsführerin. Forcieren sollte man hingegen wirkliche „Hilfe beim Sterben“ - nämlich: „Schmerzkontrolle, Begleitung, Handhalten und Trost“.

Theologen für derzeitige Regelung

Von wachsendem Druck nicht nur auf die Betroffenen, sondern auch auf die Ärzte warnte der Mediziner, Priester und katholische Moraltheologe Prof. Matthias Beck in der ORF-Sendung „Orientierung“ am Sonntag. Angehörige würden bei Suizidhilfe-Freigabe stärker als bisher darauf pochen, den Sterbeprozess zu „beschleunigen“. Bleibe die umstrittene Praxis verboten, wäre dies eine „Entlastung für uns Ärzte und auch die Angehörigen“, so das Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt.

Beck plädierte zudem für präzisere Unterscheidung in der Debatte: Aktive Sterbehilfe bzw. „Tötung auf Verlangen“ sei etwa das Verabreichen einer Todesspritze durch den Arzt - wobei es in deutschsprachigen Ländern einen Konsens gebe, „dass man das nicht will“. Assistierter Suizid hingegen bezeichne das Hinstellen eines Giftbechers, den der Patient selbst trinke, womit er „Tatherrschaft“ übernehme. Auch diese Praxis lehnt Beck ab, und zwar „schweren Herzens, da ich auch die Gegenargumente kenne“.

Befürwortet wird vom Experten hingegen die heute schon erlaubte passive Sterbehilfe durch das Aussetzen lebensverlängernder Maßnahmen. Hier gelte es mehr Möglichkeiten zu schaffen, forderte Beck, denn: „Wir machen viel zu viel Intensivmedizin, um Menschen noch länger am Leben zu halten. Wir sollten das Sterben noch mehr zulassen.“ Dass der Patient bei dieser indirekten Form der Sterbehilfe „an seiner Krankheit, nicht an einem Gift, das ich ihm zur Verfügung stelle oder ihm spritze“, aus dem Leben scheide, sei ein „großer Unterschied“. 

„Die Mühe, zu helfen, das Leben der Betroffenen neu zu ordnen, hat sich oft gelohnt. Die meisten Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, sterben nicht an Suizid.“

Für eine Beibehaltung der aktuellen österreichischen Gesetzeslage plädiert auch Becks Fachkollege Prof. Günter Virt. Er selbst habe schon mehrere Menschen nach Suizidversuchen begleitet, berichtete der emeritierte Wiener Moraltheologe in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“. „Die Mühe, zu helfen, das Leben der Betroffenen neu zu ordnen, hat sich oft gelohnt. Die meisten Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, sterben nicht an Suizid.“ Es sei eine klare Entscheidung fällig, ob die Gesellschaft in die Richtung einer „Beihilfe-Mithilfe-Nachhilfe zum Suizid“ oder aber eines „klaren Schutzes des grundlegenden Gutes des Menschenlebens auch in schwierigen Situationen“ gehen solle. 

Bischöfe und Orden: „Sterben an der Hand“

Von offizieller kirchlicher Seite meldete sich zuletzt Erzbischof Franz Lackner zu Wort. Geburt und Tod verlangten „höchste moralische Standards“ und dürften „nicht dem Kalkül allein menschlicher Interessen und Bedürfnisse ausgeliefert werden“, erklärte der Bischofskonferenz-Vorsitzende in einer auf der Internetseite lebensende.at veröffentlichten Stellungnahme. Anfang und Ende des Lebens würden „in eine andere Wirklichkeit“ weisen und seien „einzigartige Momente, in denen das Leben als Gabe sichtbar wird“, betonte der Salzburger Oberhirte.

Ähnlich meldete sich die Österreichische Ordenskonferenz mit dem Zwischenruf „Sterben ist kein Geschäftsmodell!“ zu Wort. Die Vorsitzenden Erzabt Korbinian Birnbacher und Sr. Franziska Bruckner verwiesen in einer Aussendung auf die christliche Überzeugung, wonach Lebensbeginn und -ende „in Gottes Hand“ seien und nicht zum „Spielball ökonomisch orientierter Unternehmen oder pseudo-humanistischer Argumentation werden“ dürften. Den von Kardinal Franz König formulierten „österreichischen Konsens“, wonach Sterben „an der Hand, nicht durch die Hand eines Menschen“ erfolgen soll, gelte es zu wahren. In den von Orden betriebenen Krankenhäusern und Hospizen zeige sich, dass die bestehende Gesetzeslage ausreiche, um schwierigen Situationen mit viel Empathie und mit pflegerischer und medizinischer Kompetenz in der Palliativmedizin zu begegnen.

Kardinal Christoph Schönborn verwies an derselben Stelle auf die höhere Verletzlichkeit in Zeiten der Krankheit, die auch er selbst erfahren habe. Wer in einer solchen existentiellen Krisensituation, zu der auch Lebensmüdigkeit zu zählen sei, einen Sterbewunsch äußert, „braucht aber keine Hilfe zur Selbsttötung, sondern menschliche Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand. Nur so kann jeder Mensch sicher sein, dass er in seiner Würde auch in verletzlichen Lebensphasen geachtet und geschützt wird“, forderte der Wiener Erzbischof. 

„Gegenargument nicht religiöser Natur“

Kardinal Schönborns Sprecher Michael Prüller widersprach in der „Presse am Sonntag“ der Auffassung, der Ausdruck der „Heiligkeit des Menschenlebens“ bei der Suizidbeihilfe-Frage sei „angeblich rein religiös“ und müsse daher ausgeklammert werden. Dies sei ein „Denkfehler, der uns viel kosten kann“, warnte der Diözesansprecher. Nicht die Heiligkeit des Lebens wäre der rein religiöse Einwand gegen den Suizid, „sondern die Heiligkeit des Todes“. Die Idee, dass menschliches Leben mit einer ganz besonderen Würde ausgestattet und somit unverfügbar ist, sei hingegen „auch allgemein-menschlicher Natur“.

„Wer auch nur sein eigenes Leben verfügbar, disponibel macht, stellt diese Würde in Frage“, so Prüller, und weiter: „Eine solche Erschütterung hat Auswirkung auf uns alle. Denn der Unverfügbarkeit des Lebens verdanken wir wesentlich unsere Sicherheit, weitgehend sogar unsere Lebensfreude“. Dabei sei die menschliche Scheu vor einer „Verdinglichung des Lebens, das dann bei Bedarf vernichtet werden darf“, jedoch „nicht ausreichend angeboren“ und müsse „kulturell verstärkt und in Tabus geborgen werden“, was in der Praxis dem Einzelnen ein großes Opfer abverlangen könne. „Dem steht aber auch eine große Errungenschaft für alle gegenüber: Eine intakte Kultur des Lebens“, betonte der Sprecher.

(kap – pr)
 

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21. September 2020, 15:26