D: Indischer Armutsforscher erhält Friedenspreis des dt. Buchhandels
Der in den USA lebende Wissenschaftler war wegen der Zeitverschiebung besonders früh aufgestanden und forderte Wachsamkeit beim Thema freie Meinungsäußerung. Der 86-Jährige rief zum „Widerstand gegen politische Tyrannei“ in vielen Teilen der Welt auf. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich wegen eines Corona-Falls in seinem Umfeld in Quarantäne befindet, hatte die Teilnahme kurzfristig abgesagt. Seine Laudatio trug der Schauspieler Burghart Klaußner vor.
Die Friedenspreis-Jury würdigte den Wirtschaftswissenschaftler und Philosophen Sen als Vordenker, der sich seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen Gerechtigkeit auseinandersetze. Seine Arbeiten zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit seien heute so relevant wie nie zuvor, hieß es zur Begründung.
Sen sagte in seiner Dankesrede, die Welt sehe sich heute „mit einer Pandemie des Autoritarismus konfrontiert“. Sie ziehe das Leben auf vielfältige Weise in Mitleidenschaft. Die Menschen hätten aber allen Grund, „sich nicht nur um das eigene Land Sorgen zu machen“. Stattdessen sollten sie sich interessieren für Probleme „überall auf der Welt“, fügte der Armutsforscher hinzu.Er betonte, wer Disput und kritische Diskussionen verbiete, verhindere letztlich den Fortschritt. „Sozialer Fortschritt hängt in hohem Maß von Zusammenarbeit ab“, sagte Sen. Unter anderem kritisierte er die Situation in Brasilien, Polen und den USA.Der in den USA lebende Wissenschaftler ging in seiner knapp 30-minütigen Ansprache ausführlich auf die Lage in seinem Heimatland Indien ein und prangerte wiederholt die Entwicklung unter der hindu-nationalistischen BJP-Regierung an. „Besonders rigoros“ gehe sie gegen Muslime in dem asiatischen Land vor.
Bundespräsident Steinmeier bezeichnete in der verlesenen Ansprache den geehrten Wirtschaftsphilosophen als „Weltbürger“ und „moralische Instanz“. Amartya Sen schreibe „gegen die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten dieser Welt“. So betrachte sein Index zur menschlichen Entwicklung nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern schaue auf das Wohlergehen der Menschen.
Der Bundespräsident wörtlich: „Wir ehren heute einen Menschen, der wie kein anderer verbunden ist mit der Idee der globalen Gerechtigkeit.“ Deutschland selbst profitiere „ganz wesentlich von der internationalen Arbeitsteilung“. Die Verantwortung reiche jedoch weiter als allein bis zum freien Welthandel. Steinmeier betonte: „Globale Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd kann nur gelingen, wenn wir uns der Ungleichgewichte, der Machtasymmetrie wie auch der wechselseitigen Abhängigkeiten bewusst werden. Und wenn wir entsprechend handeln.“
Der Bundespräsident sagte, für Sen gebe es Gerechtigkeit „nicht ohne politische Freiheit und politische Freiheit nicht ohne Demokratie“. Demokratie sei für diesen daher „kein Luxusartikel für reiche Länder“. Menschen in aller Welt sehnten sich danach. „Auch daran erinnern uns die Demonstrantinnen und Demonstranten auf den Straßen von Caracas, Minsk und Hongkong!“, fügte Steinmeier hinzu.
Sen hatte 1998 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten und wurde über 100 Mal als Ehrendoktor ausgezeichnet. Der Friedenspreis des Buchhandels wird seit 1950 vergeben. Geehrt wird eine Person aus Literatur, Wissenschaft und Kunst, die in hervorragendem Maß „zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat“. Zu den Preisträgern zählen Navid Kermani, Jürgen Habermas, Amos Oz, Siegfried Lenz und Frere Roger Schutz.
(kna - cs)
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