Peters- statt Felsendom: Das umgeleitete Studienjahr
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Wir wollten eigentlich nach Jerusalem – aber Rom ist natürlich eine gute Alternative.“ So pragmatisch wie dieser Student sehen es offenbar alle Teilnehmer des neuen Studienjahrs. Also wirklich keine Enttäuschung? „Ich denke, eher nicht“, antwortet eine Studentin. „Weil wir alle aufgrund dieser aktuellen Situation nicht damit gerechnet hätten, dass es überhaupt noch klappt. Deswegen sind wir wahrscheinlich alle froh, dass wir nicht in Deutschland bleiben müssen!“
Ich treffe vier Studierende an der römischen Engelsbrücke. Begleitet werden sie von ihrem Studienpräfekten, dem Benediktinerpater Nikodemus Schnabel. „Wir sind immerhin schon in der Mittelmeerregion“, meint dieser, „das heißt, kulturell sind wir schon näher an Jerusalem als an Deutschland.“
Mehr als tausend Studierende aus Deutschland haben bisher ein Ökumenisches Studienjahr absolviert. Haben in Jerusalem gewohnt und von da aus viele spannende Exkursionen quer durchs Heilige Land gemacht. Doch Israel erlebt derzeit als erstes Land der Welt bereits zum zweiten Mal einen kompletten Corona-Lockdown. Also startete das Studienjahr am Tiber.
Diese Studentin nimmt’s gelassen: „Ich sehe als Protestantin eine große Chance darin, dass ich jetzt in so einem katholischen Umfeld gelandet bin und denke, dass man da auch viel herausholen kann…“ Allerdings ist das dominant katholische Umfeld Roms ein etwas karger Ersatz für die religiöse Vielfalt, die Jerusalem bieten würde. „Ich habe mich tatsächlich vor allem aus der Motivation heraus beworben, interreligiösen Austausch zu erleben. Deswegen besteht weiterhin die Hoffnung, dass wir noch nach Jerusalem können.“
Ungewissheit über Weiterzug nach Jerusalem
Die Hoffnung ist groß, nach ein paar Monaten dann doch weiterziehen zu können ins Heilige Land. „Ich denke, dass wir die ganzen Vorlesungen vielleicht hier etwas vorziehen können, um dann, wenn wir irgendwann in Jerusalem sind, die Exkursionen machen zu können. Deswegen ist es eigentlich gar nicht so schlecht: Dann haben wir hier das ganze Theoretische schon mal teilweise hinter uns und können dann da starten.“
Doch wann es zu einem solchen Weiterzug des Studienjahrs nach Jerusalem kommen könnte, weiß keiner, auch nicht Pater Nikodemus. Er sei kein Virologe, erklärt der Benediktiner. „Die Frage ist ganz einfach: Wenn das Robert-Koch-Institut sagt, dass Israel und Palästina nicht mehr rote Gebiete sind, sondern grüne Gebiete, dann können wir losziehen. Aber ich glaube, das wird noch ein bisschen dauern.“
Vernunft und Gesundheit gingen vor. Außerdem werde das Studienjahr vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert, und man könne deutsche Studierende, die mit deutschen Steuergeldern gefördert werden, nicht in ein Risikogebiet schicken.
Nikodemus: „Für uns ist das auch eine spannende Herausforderung. Ich meine: 47. Studienjahr – wir sind ja schon seit Jahrzehnten in Jerusalem! Jetzt zum ersten Mal Rom, das ist auch eine kreative Herausforderung, um dieses alteingesessene Programm noch einmal neu zu akzentuieren. Natürlich – Ökumene kann man auch in Rom betreiben. Auch interreligiösen Dialog. Und auch Archäologie. Das geht schon, wenn auch mit anderen Schwerpunkten.“
Neue Schwerpunkte
Sie wollen es alle ausnutzen, dass sie jetzt mal Rom für sich haben. Etwa diese Studentin, die sich für die gesellschaftlich-politische Rolle von Religion interessiert: „Wir haben ja den Malteserorden als direkten Nachbarn, der, wie ich jetzt erfahren habe, ein Völkerrechtssubjekt ist. Das finde ich sehr interessant, und da wird das auch nochmal greifbarer, wie sehr Religion auch immer noch ein Akteur im internationalen politischen Kontext ist.“
„Wir kommen gerade aus unserer ökumenischen Werkwoche“, sagt eine andere Studentin, „und wir hatten natürlich untereinander – zwischen den Protestanten und Katholiken – intensive Gespräche. Da gibt Rom noch einmal einen ganz guten Ort ab, sich über solche Themen Gedanken zu machen.“
„Und dann tatsächlich unsere Wohnsituation: Wir leben in einem richtigen Kloster, nach Benediktinerregeln. Das war mir am Anfang gar nicht so klar, und das ist auch als Frau – als evangelische Frau! – eine besondere Situation, plötzlich diesen Klosteralltag miterleben zu können. Da sehe ich einen großen Gewinn.“
Auch Pater Nikodemus Schnabel hält es für eine Chance, „das Benediktinische“ jetzt einmal etwas in den Vordergrund zu stellen. Und nebenbei auch die Bande zur Mutter-Hochschule des Jerusalemer Studienjahrs, Sant’Anselmo auf dem römischen Aventin-Hügel, zu pflegen. Außerdem sagt er:
„Ein spannendes Dreieck“
„In Deutschland haben wir eine ganz starke Säkularisierung: Religion spielt eigentlich keine Rolle. Rom und Jerusalem sind dagegen zwei Städte, die radikal religiös sind. Rom als Ort, wo Religion sich politisiert (Heiliger Stuhl, Malteserorden als Völkerrechtssubjekte, die Außenpolitik machen), und Jerusalem, wo Politik sich religionisiert. Wo politische Argumentationsmuster religiös überhöht oder eingefärbt werden.“
Darum finde er die Konstellation, in der sich das Studienjahr jetzt ungewollt wiederfindet, eigentlich ganz interessant: „Deutschsprachige Studierende aus einem säkularen Kontext erleben in Rom Religion mit großer politischer Reichweite – und kommen dann in eine Stadt, wo Politik religiös argumentiert. Das ist ein spannendes Dreieck!“
(vatican news)
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