Unser Sonntag: Das Weltgericht
Pfarrer Stephan Rüssel
Christkönigssonntag, Lesejahr A
Mt 25, 31-46
Als die heilige Elisabeth einmal gefragt wurde, warum sie so viel für die Armen tue, da gab sie zur Antwort: „Ich bereite mich auf das Jüngste Gericht vor, damit ich zu meinem Richter, der von mir Rechenschaft fordern wird, sagen kann: 'Siehe, Herr, du warst hungrig und ich habe dich gespeist, du warst durstig und ich habe dich getränkt, du warst fremd und obdachlos und ich habe dich aufgenommen, du warst nackt und ich habe dich bekleidet, du warst krank und ich habe dich gepflegt, du warst gefangen und ich habe dich getröstet. Erfülle nun an mir, was du verheißen hast und sei mir barmherzig!“
Die Stunde der Verantwortung...
Der Text unseres heutigen Evangeliums ist die sogenannte „Weltgerichtsrede“. Am Ende der Welt kommt Christus wieder und hält Gericht über die Menschen. Die Trennung der weißen von den schwarzen Schafen hat im übrigen den Hintergrund, dass die Muttertiere zum Melken von den Blöcken getrennt wurden. Das Gericht Gottes, dass wir auch „Jüngstes Gericht“ nennen, weil es am Ende der Weltzeit stattfindet, geschieht in zwei Akten: Zum einen als Schiedsgericht, dass die Bösen von den Guten trennt, und als Lohn-und Strafgericht.
Schon in der Bergpredigt hat unser Herr Jesus Christus an „Jenen Tag“ erinnert. In Seinen Gleichnissen vom Unkraut und Weizen, von den guten und schlechten Fischen im Netz und von den Talenten hat auf den Ernst der Lage hingewiesen. Vom Kommen des Bräutigams in der Endzeit war im Gleichnis von den zehn Jungfrauen die Rede, dass wir am vorletzten Sonntag hörten. Der Herr mahnte da zur Wachsamkeit. Der rechte Gebrauch der anvertrauten Talente, von denen wir im Evangelium des letzten Sonntags hörten, wurde ebenso im Hinblick auf die künftige Verantwortung gesehen. Im heutigen Evangelium folgt dann entsprechend die Stunde der Verantwortung.
Der Gedanke des machtvollen Kommens Gottes in diese Welt war den Zuhörern Jesu, den Juden, wohlvertraut. Mit ihm verband sich für sie notwendig der Gerichtsgedanke, also der Scheidung der Guten von den Bösen. Neu ist dann, was der Herr als Maßstab des Gerichtes verkündet: der Richter wird die Menschen an sich selbst messen. Sie müssen einen Vergleich mit Ihm aushalten.
Christus ist also das Maß aller Dinge. Sein Verhalten zu den Menschen wird von Ihm zum Maß zwischenmenschlichen Verhaltens erhoben. So hat ja unser Herr Jesus Christus gesagt: „Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe“, und: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“.
Wenn Christus sich selbst zu Maßstab des Gerichtes macht, wir also einen Vergleich mit Ihm aushalten müssen, dann ist das nur folgerichtig und logisch. In der Taufe sind wir Kinder Gottes geworden, also Söhne und Töchter Gottes. Wir wurden Christus gleich gestaltet. Wenn wir ihm aber gleich gestaltet sind, dann ist das nicht nur ein Lebensauftrag, sondern auch der Maßstab des Gerichts. So kann dann der Herr sagen: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Glaube darf nicht auf Nächstenliebe reduziert werden
Manchmal wird dieses Wort Christi leider auch missverstanden, indem man die Liebe zu Christus mit der Liebe zum Nächsten identifiziert. Wenn man die Nächstenliebe mit der Liebe zu Christus identifiziert, dann besteht die Gefahr, dass der Glaube auf die Nächstenliebe reduziert wird und die Liebe zu Christus praktisch stillschweigend unter den Tisch fällt. Es steht also nicht mehr die Liebe zu Christus im Mittelpunkt, sondern die Nächstenliebe, die dann auch gerne „Mitmenschlichkeit“ genannt wird. Damit ist dann die Nächstenliebe nicht mehr ein Ausfluss der Liebe zu Christus, sondern Jesus Christus tritt in den Hintergrund und wird praktisch irrelevant.
„Was ihr einem der geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Dieses Wort unseres Herrn Jesus Christus besagt eigentlich nur, dass die Liebe zum Nächsten der Prüfstein für die Liebe zu Gott ist. Besagt, dass wahre Gottesliebe nicht möglich ist ohne die Liebe zum Mitmenschen.
Der heilige Evangelist Johannes legt das in seinem ersten Brief so aus: „Wer aber seinem Bruder hasst, ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis.“ „Wer seinen Bruder nicht liebt, ist nicht aus Gott.“ „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.“ „Wer Gott liebt, soll auch seinen Bruder lieben.“
Da sich der Herr mit dem bedürftigen, leidenden und bedrängten Menschen identifiziert, kann man im Bedürftigen Christus sehen und finden. Die Nächstenliebe erhielt so eine ganz neue Motivation, in dem ein Zusammenhang hergestellt wurde zwischen der Liebe zum Menschen und der Liebe zu Christus. Mutter Teresa von Kalkutta hat dies einmal ihren Mitschwestern so gesagt: “In der Frühe seid ihr dem Herrn beim Empfang der heiligen Eucharistie begegnet; während des Tages begegnet Er euch wieder in den Hungernden, Aussätzigen und Sterbenden, die auf eure Dienste warten.”
Wir sollten aber nicht übersehen, dass die Liebe zu Christus nicht nur in der Nächstenliebe sichtbar wird, sondern auch in vielen anderen Dingen: zum Beispiel der Reue über begangene Sünden, der Demut, der Anbetung Gottes, in jedem Opfer, dass wir zur Ehre Gottes darbringen. Sie zeigt sich auch darin, dass wir Gott mehr gehorchen als den Menschen. Darum hat auch der Märtyrertod eine so hohe Bedeutung.
Die ganze Geschichte der Menschheit wäre wohl sinnlos, wenn nicht an ihrem Ende das Gericht Gottes stände. Ich glaube sogar, dass der beste Beweis für das Weiterleben des Menschen nach dem Tode die Ungerechtigkeiten in dieser Welt sind. Wenn wir nur auf die letzten 100 Jahre der Weltgeschichte schauen, dann stellen wir fest, dass viele schwere Verbrechen keinen irdischen Richter gefunden haben. Wenn es nicht das Jüngste Gericht also jene letzte Instanz der Gerechtigkeit jenseits des Grabes und der Geschichte gäbe, dann würde das ganze Dasein des Menschen in ein auswegloses Dunkel münden. Die Menschheit und ihre Geschichte schreien förmlich nach einem Letzten und Jüngsten Gericht, sie schreien förmlich nach einem Richter, vor dem es kein Ansehen der Person gibt, keine Rücksicht auf Erfolg oder Misserfolg. Einem Richter, der letztlich die fehlende Gerechtigkeit in dieser Welt wiederherstellt.
Des weiteren will die Rede unseres Herrn Jesus Christus vom Weltgericht uns letztlich ein nüchternes und zukunftsorientiertes Handeln ermöglichen. Sie soll uns zeigen, was für uns auf dem Spiel steht: nämlich welche Vollendung wir erreichen und welchem Unheil wir verfallen können.
Der Herr nennt hier einige elementare Notlagen, wie das Fehlen von Essen, Trinken, Obdach und Kleidung. Dazu noch Krankheit und Gefangenschaft. Die Kirche hat darin 6 Werke der Barmherzigkeit erkannt. Die hier aufgezählten sechs Arten von guten Taten sind schon im Alten Testament Kennzeichen einer Gott wohlgefälligen Frömmigkeit. Bald hat die Kirche aus 6 Werken 7 gemacht, um zu zeigen, dass auch das Begraben von Toten zu einer wichtigen Aufgabe der Lebenden gehört.
Und wieder: Die Unterlassungssünden
Im heutigen Evangelium erfahren wir also klar, worauf es im Leben ankommt.
Wir erfahren klar, nach welchen Kriterien wir einmal gerichtet werden: Beim Weltgericht werden nur jene Taten berücksichtigt, die aus Liebe zu Christus und zum Nächsten vollbracht wurden. Andere Taten, und mögen sie nach irdischen Maßstäben noch so groß sein, finden beim Weltgericht keine Berücksichtigung.
Und noch etwas ist von Bedeutung: Christus, der Weltenrichter, hält denen auf der linken Seite nur Unterlassungssünden vor. „Ich war hungrig und ihr habt mir nichts essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich nicht aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben; ich war krank und im Gefängnis und ihr habt mich nicht besucht“. Hätte man eigentlich nicht erwarten müssen, dass der Herr ihnen etwas Handfestes vorhält? Etwa Mord und Totschlag, Feindschaft und Hass? Nicht aufgrund konkreter Taten erhalten die auf der linken Seite die ewige Strafen, sondern aufgrund von Unterlassungen.
Im Confiteor zu Beginn der Heiligen Messe, bekennen wir ja „dass ich Gutes unterlassen habe“ noch bevor wir bekennen „Böses getan“ zu haben. Die Unterlassungssünde steht also vor den bösen Taten. Das heißt: wir stehen in einer hohen Verantwortung für das, was wir hätten tun können, tatsächlich aber nicht getan haben.
Auch Stillschweigen kann eine Sünde sein
In früheren Zeiten kannte man einmal den Begriff der „fremden Sünde“. Im allgemeinen werden 9 solcher fremden Sünden genannt: darunter das „Stillschweigen“ zu den Sünden anderer. So dürfen wir uns durchaus fragen: Wo bleiben die vernehmlichen und hörbaren Proteste der Christen, wenn Gott in der Öffentlichkeit gelästert, verhöhnt und verspottet wird? Wo bleiben die Proteste, wenn Gottes Gebote mit den Füßen getreten werden bis hinein in die Gesetzgebung? Unterlassungssünden: das hört sich harmlos an, sind sie aber nicht. Im Blick auf das heutige Evangelium können wir die Bedeutung von Unterlassungssünden kaum unterschätzen.
Dies alles hatte die heilige Elisabeth vor Augen, als sie nach der Motivation für ihr Engagement an den Armen gefragt wurde: „Ich bereite mich auf das Jüngste Gericht vor, damit ich zu meinem Richter, der von mir Rechenschaft fordern wird, sagen kann: 'Siehe, Herr, du warst hungrig und ich habe dich gespeist, du warst durstig und ich habe dich getränkt, du warst fremd und obdachlos und ich habe dich aufgenommen, du warst nackt und ich habe dich bekleidet, du warst krank und ich habe dich gepflegt, du warst gefangen und ich habe dich getröstet. Erfülle nun an mir, was du verheißen hast und sei mir barmherzig!“
(radio vatikan - claudia kaminski
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