Nuntius in Syrien: „Lassen wir die Hoffnung nicht sterben“
Mario Galgano und Massimiliano Menichetti - Vatikanstadt
Der Krieg in Syrien habe das Leben und den Frieden „in den Abgrund getrieben“, nun drohe die derzeitige Lage, „jegliche Hoffnung auszulöschen“. Das ist die Befürchtung des Apostolischen Nuntius in Damaskus, Kardinal Mario Zenari, der seit zehn Jahren in einem von Krieg, Gewalt und geostrategischen Interessen zerrissenen Land lebt. Das sei nicht immer so gewesen, erinnert er sich, aber heute fehle es an allem. Der Hilfsbedarf sei „enorm“.
Ein Hoffnungszeichen sei der Aufruf des Papstes am Sonntag beim Angelus, ergänzt Zenari. Es sei schön, dass der Papst von einem „ihm geliebten und gequälten Syrien“ spricht, hebt der Nuntius hervor. Seit Beginn des Konflikts sei das in den Appellen von Papst Franziskus oft wiederkehrende Bild über das Land gleich geblieben: „geliebtes und gequältes Syrien“. Syrien sei eines der Länder, die dem Papst am meisten am Herzen liegen, so der Nuntius.
Eindringlicher Appell des Papstes
„Auch kürzlich, während der Apostolischen Reise in den Irak, erwähnte der Heilige Vater Syrien. Beim Angelus an diesem Sonntag erinnerte er anlässlich des traurigen Jahrestages des zehnjährigen Krieges noch einmal an das unermessliche Leid der Bevölkerung und appellierte eindringlich an die internationale Solidarität, damit die Waffen zum Schweigen gebracht werden und damit an Versöhnung, Wiederaufbau und wirtschaftlichem Aufschwung gearbeitet werden kann, um so die Hoffnung so vieler Menschen wiederzubeleben, die durch wachsende Armut und Ungewissheit über die Zukunft schwer geprüft werden.“
In den vergangenen Jahren habe es „viele und vielfältige Initiativen“ gegeben, die der Vatikan unterstützt habe. Zenari nennt die zunächst von Papst Benedikt XVI. und dann von Papst Franziskus gemachten Friedensappelle und Initiativen, um der Gewalt ein Ende zu setzen und den Friedensprozess in Gang zu bringen. Eine der eindringlichsten Gesten sei jene vom 7. September 2013 gewesen, wenige Monate nach der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst, als Franziskus zu einem Fasten- und Gebetstag für den Frieden in Syrien aufgerufen hatte.
Thema auf dem Rückflug aus Bagdad
„Der Petersplatz war voll mit Gläubigen, und da konnte der Papst gerade in einem dramatischen Moment, vielleicht einem der entscheidendsten für Syrien, einen wichtigen Appell lancieren. Er selbst erinnerte sich daran im Flugzeug, vor ein paar Tagen, während seiner Rückreise vom apostolischen Besuch im Irak“, erinnert Nuntius Zenari.
Das Kriegsland sei heute nicht mehr das Syrien, das er kannte, als er vor zwölf Jahren als apostolischer Nuntius dort ankam, fügt er an.
„Wenn ich heute auf die Straßen von Damaskus gehe, sehe ich lange Schlangen von Menschen vor den Bäckereien, die geduldig darauf warten, dass sie an der Reihe sind, um Brot zu vom Staat subventionierten Preisen zu kaufen, oft das einzige Lebensmittel, das sie sich leisten können. Szenen, wie man sie noch nie gesehen hat, nicht einmal in den härtesten Kriegsjahren“, erläutert der italienische Kardinal.
„Und man muss bedenken, dass Syrien zum so genannten ,Fruchtbaren Halbmond´, dem oberen Mesopotamien, gehört, mit Ebenen so weit das Auge reicht, die sich über etwa 500 km zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris erstrecken: ein Teppich aus goldfarbenem Weizen im Monat Mai, wenn die Ernten blond sind!“
Lange Autoschlangen vor leeren Tankstellen
Ein weiteres trauriges Bild seien die langen Autoschlangen vor den Tankstellen und die Schwierigkeiten, Heizöl für die Heizung zu finden, obwohl es im Osten des Landes, an der Grenze zum Irak, Ölquellen gebe, die für eine fast vollständige Versorgung mit Brennstoff für den Hausgebrauch ausreichen würden. Deshalb falle seine Bilanz zehn Jahre nach Ausbruch des Konflikts düster aus, so Kardinal Zenari:
„Das Syrien von heute hat das Gesicht eines Landes, in dem im Vergleich zu vor zehn Jahren mehrere Gruppen von Menschen fehlen: Die Toten des Konflikts belaufen sich auf etwa eine halbe Million; 5,5 Millionen syrische Flüchtlinge befinden sich in den Nachbarländern; weitere sechs Millionen wandern, manchmal mehrmals, als Binnenflüchtlinge von einem Dorf zum anderen. Außerdem gibt es etwa eine Million vermisste Migranten. Zehntausende von Menschen werden vermisst. Die jungen Menschen, die Zukunft des Landes, fehlen. Mehr als die Hälfte der Christen wird vermisst. Für viele Kinder gibt es keine Väter, und manchmal auch keine Mütter. Für viele von ihnen gibt es kein Zuhause. Außerdem fehlt es an Schulen, Krankenhäusern, medizinischem und pflegerischem Personal inmitten des Covid-19-Notstands.“
Das soziale Gefüge, „das Mosaik des vorbildlichen Zusammenlebens zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen“, sei schwer beschädigt worden. Auch die Natur leide unter der Verschmutzung der Luft, des Wassers und des Bodens, die seit zehn Jahren durch den Einsatz von Sprengstoffen und verschiedenen Arten von Kampfmitteln verursacht werde. „Kurzum, ein wirklich düsteres Bild“, bringt Zenari die Lage auf den Punkt.
(vatican news)
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