Rotes Kreuz: „Humanität ist mehr als Tonnen von Nahrungsmitteln“
Stefanie Stahlhofen - Vatikanstadt
Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Peter Maurer, war einer der Sprecher bei der internationalen Online-Konferenz zum Thema „Brüderlichkeit, Multilateralismus und Frieden“, die die Vertretung des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen jüngst organisiert hat. Wir haben nach der Konferenz, am Donnerstagabend, mit Peter Maurer gesprochen.
Radio Vatikan: Mit Blick auf die Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus, die Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft zum Thema hat und die die Folie dieser Konferenz war: „Fratelli tutti“ - das erinnert Sie als Präsident des IKRK wahrscheinlich sofort an die Wurzeln des Roten Kreuzes, als es im improvisierten Feldlazarett nach der Schlacht von Solferino hieß: „tutti fratelli“ - wir sind alle Brüder. Also könnte man meinen, eine Konferenz zu „Fratelli tutti“, die brauchen sie gar nicht. Was haben Sie denn durch Ihre Teilnahme gelernt?
Ein geschwisterliches Fundament
IKRK-Präsident Peter Maurer: Gelernt habe ich einmal mehr, dass es sich bei humanitärer Hilfe eben nicht um ein technokratisches Unternehmen handelt. Ich glaube, was der Papst mit seiner Enzyklika betont hat und was auch wir letztlich in unserem Engagement immer wieder betonen, ist, dass es jenseits des Aktes der Hilfe selbst eine mentale Prädisposition braucht, um diese Hilfe leisten zu können: Sie brauchen Solidarität in der Gesellschaft. Sie brauchen eben Brüderlichkeit, Schwesterlichkeit. Sie brauchen ein Fundament, welches jenseits der Technizität humanitärer Dienstleistungen ist. Dass diese Perspektive durch eine Konferenz ins Zentrum gerückt wird, ist wichtig gerade heute, wo allzu oft Humanität reduziert wird auf Tonnen von Nahrungsmitteln oder Dienstleistungen, welche in irgendwelche Gebiete gebracht werden.
Dass der Papst hier die Werte-Bedeutung hervorhebt, ist außerordentlich wichtig und gibt natürlich unserer Arbeit, die dann sehr konkret werden kann, eine besondere Legitimität. Es ist offensichtlich, dass in den letzten Jahren, wenn sich der Papst geäußert hat zu gesellschaftspolitischen, zu humanitären Themen, zu Migration, zu Waffen, zu Krieg und Frieden - dass diese Äußerungen dem sehr nahe standen, wofür wir beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz stehen und was wir machen. Dass dies dann auch immer in einem Spannungsverhältnis steht, zur neutralen und unabhängigen, unparteiischen humanitären Hilfe, das ist selbstverständlich.
Für alle Menschen da sein
Radio Vatikan: Wie lässt sich dieses Spannungsverhältnis denn überwinden?
IKRK-Präsident Peter Maurer: Ich glaube man muss sich einfach klar darüber sein, dass humanitäre Hilfe eben nicht reserviert sein kann für Glaubensgemeinschaften und ihre eigene Glaubensgemeinschaft. Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sind wichtige Normen des konkreten Handelns, welche durchaus in Einklang stehen mit religiös begründeter Brüderlichkeit und Solidarität. Ich denke, es ist an uns zu zeigen, wie diese Systeme ineinander übergreifen und wie man religiöse Überzeugungen haben kann und gleichzeitig für alle Menschen da ist und nicht ausgrenzt. Das ist eine wichtige Botschaft in der heutigen Welt, weil wir eben in unterschiedlichen gesellschaftlichen, religiösen und unterschiedlichen Wertesystemen arbeiten. Und daher ist das Hervorheben dieser Gemeinsamkeiten, dieser Werte-Gemeinsamkeiten beim humanitären Arbeiten für uns so bedeutend.
Gemeinsame Werte hervorheben
Radio Vatikan: Neben Ihnen und verschiedenen Würdenträgern des Vatikan haben am Donnerstagnachmittag etwa UNHCR-Chef Filippo Grandi und WHO-Chef Tedros Adhanom gesprochen. Viele der Teilnehmer schienen schon ganz gut auf einer Wellenlänge zu sein. Wie wollen Sie die Leute erreichen, die das anders sehen?
IKRK-Präsident Peter Maurer: Gerade als IKRK lassen wir uns von diesen Themen und von diesen Diskussionen inspirieren, um durchaus auch mit anderen religiösen Führern in anderen Kontexten zu sprechen. Für uns ist von zentraler Bedeutung, dass wir in allen Kontexten, in denen wir tätig sind, mit allen sprechen, die Einfluss nehmen auf die gesellschaftlichen Dynamiken. Dazu gehören religiöse Führer, religiöse Gruppierungen. Es ist ein zentraler Punkt des IKRK, dass wir in den jeweiligen Kontexten, Religionen, Spezifitäten, in Konfliktregionen, in welchen wir tätig sind - dass wir immer dort auch diesen Dialog suchen, von dem wir gesprochen haben rund um die Enzyklika des Papstes. Aber es gibt eben für uns auch wichtige und andere Kontexte, wo wir über andere religiöse Äußerungen von anderen Religionen und anderen Religionsführern sprechen. Diese Gemeinsamkeiten, dieses globale Wertesystem hervorzuheben, das ist eine der großen Aufgaben auch des IKRK. Wir vertreten ja eine rechtskräftige Konvention, die Genfer Konvention aus dem Jahr 1949 ist das am meisten ratifizierte internationale Vertragswerk - von 196 Staaten. Ich glaube, es ist wichtig, immer hervorzuheben, dass das, was in den Genfer Konventionen steht, nicht spezifisch für eine Religion ist, sondern für die meisten Religionen in dem Kontext, in dem wir arbeiten.
(vatican news - sst)
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