Unser Sonntag: Lebensfreude trotz Corona
Prof. Dr. Katharina Westerhorstmann
Weisser Sonntag 2021
„Lebensfreude trotz Corona! In 30 Tagen zu mehr Glück, Ausgeglichenheit und innerer Stärke.“
Corona Ratgeber wie diesen gibt es zur Zeit so einige. Manche versprechen ein besseres Zeitmanagement, andere mehr Resilienz – also die innere Widerstandskraft gegen Stress und Frustration, wieder andere werben damit, den Weg aus der inneren Krise bahnen zu helfen. Bei einem der Ratgeber fand ich nach dem Inhaltsverzeichnis einen „Haftungsausschluss“. Der Autor stellt klar, trotz der Sorgfalt, in der er das Buch geschrieben habe, könne er keinesfalls eine Erfolgsgarantie geben! Eine Erfolgsgarantie habe auch ich heute nicht zu bieten, aber: dafür das Angebot einer Perspektive!
Viele von uns hungern geradezu nach Orientierung, nach Geborgenheit und innerer Sicherheit – nicht nur während der Pandemie. Wenn schon die äußeren Umstände so herausfordernd sind, so viel Unsicherheit, Stress und Frustration mit sich bringen, möchte man wenigstens im eigenen Inneren, in der Seele, zur Ruhe kommen.
Glaube: innere Geborgenheit in Not
Der Münsteraner Philosoph Peter Wust, ein Weggefährte Josef Piepers, war ein eher ängstlicher Mensch, zurückhaltend und unsicher. Im März 1940 kann er wegen einer Krebserkrankung das Bett nicht mehr verlassen. Während eines Fliegeralarms macht sich Josef Pieper voll Sorge auf den Weg zu seinem Freund, um nach ihm zu sehen. Dieser kann zu jener Zeit bereits nicht mehr sprechen und schreibt zum großen Erstaunen Piepers in sein Notizheft: „Ich befinde mich in absoluter Sicherheit!“ Es war der Glaube und vor allem das Gebet, das ihn über die Jahre – auch der Krankheit – in diese innere Geborgenheit geführt hatte.
Im Evangelium vom heutigen 1. Sonntag nach Ostern, dem „weißen Sonntag“, oder auch „Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit“, kommt Jesus zu seinen Jüngern, die sich aus Angst verbarrikadiert hatten. Jesus sagt zu ihnen, die verängstigt und verunsichert sind: „Friede sei mit euch!“ Im Orient ist der Gruß mit dem Friedenswunsch Schalom oder Salam ein üblicher Gruß. Trotzdem hat es mit diesem Gruß Jesu etwas Besonderes auf sich: Einige Kapitel zuvor, in Joh 14,27 sagt er zu seinen Jüngern: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch.“ „Friede sei mit Euch“ ist daher nicht nur ein schlichter Gruß, sondern Zusage, ein Geschenk, das angekündigt wird: Der Frieden, den ich Euch verkündet habe, er soll – und er wird – mit euch sein. Solcher Frieden meint wohl nicht in erster Linie das Bewahrtwerden vor einer gewaltsamen Auseinandersetzung, das Verschont-Werden in einem kriegerischen Konflikt oder das Ende eines solchen.
Frieden ist der Inbegriff der guten Ordnung
Wenn man die anderen Evangelien und die gesamte Heilige Schrift hinzunimmt, meint „Frieden“ den Inbegriff einer guten Ordnung, das höchst Erstrebenswerte, das Gutsein und Gutwerden von allem, eine innere Balance und Harmonie, die nicht durch Betäubung oder Selbsttäuschung entsteht, weil man Probleme oder Leiden nicht sehen möchte, sondern der inmitten von dem was ist, empfangen werden will.
Die Corona-Pandemie hat uns alle nun schon mehr als ein Jahr fest im Griff. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen Sie in dieser Krise machen: Ob Sie Angst um Ihren Arbeitsplatz haben, oder doppelt belastet sind durch zusätzliche Arbeit von zu Hause, ob Sie krank sind und weniger Unterstützung bekommen als sonst oder ob Sie einsam sind? Für die meisten Menschen jedenfalls bringt diese Situation unzählige Herausforderungen mit sich, die erst einmal bewältigt werden müssen.
Eines ist dabei sicher: Jesus ist dabei. Und dies ist hier nicht als Floskel gemeint, weil man das so sagt oder weil man katholisch ist oder Theologin. Dies zu entdecken und daraus zu leben – wie Peter Wust und andere Menschen, die uns durch ihren inneren Frieden beeindrucken, erscheint mir erstrebenswert. Es ist sicher ein großes Geschenk oder klassisch ausgedrückt – eine besondere Gnade, wenn jemand in extrem unruhigen Zeiten offenkundig zutiefst im Frieden ist. Und zwar nicht aus Gleichgültigkeit oder weil er die Gegebenheiten ignoriert, sondern weil er sich mit Gewissheit getragen fühlt.
Die Verheißung Gottes: Ich bin, wo du bist
Als ich im Mai letzten Jahres Kevelaer besuchte, war in der Basilika auf dem Pfeiler vorne rechts das Jahresmotto der Marienwallfahrt zu lesen: „Ich bin, wo du bist“. Ein Vers aus der Bibel – in der Übersetzung von Martin Buber. Es ist die Übersetzung des Gottesnamens Jahwe aus dem Buch Exodus – „Ich bin, der ich bin“, „Ich bin der ‚Ich bin da‘“. Vom jüdischen Philosophen Buber übersetzt als Verheißung „Ich bin, wo du bist!“ Diese Zusage Gottes, als der Lebendige mit uns zu sein, kann solche innere Ruhe und die Erfahrung schenken, in guten Händen zu sein, beschützt zu sein. Letztlich so etwas wie ein innerer Friede.
Solchen Frieden spricht Jesus den Jüngern bei dieser Begegnung nach der Auferstehung zu. Mit diesem Frieden ausgestattet, sendet er sie aus. Er sagt nicht ausdrücklich, sie mögen den Menschen den Frieden bringen, aber er vergleicht ihre Sendung mit der eigenen. „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“. Und über diese Sendung Jesu sagt der Epheserbrief: „Er“ selbst, Jesus, „ist unser Friede“. Paulus nennt Gott den „Gott des Friedens“, derjenige, der diesen Frieden zu schenken und zu verwirklichen weiß. Heinrich Schlier schrieb über das Friedensverständnis des Paulus und seiner Schule, es sei: „ein Insgesamt von Unversehrtheit und ein Ganzes von Wohlergehen, ein Umfassen des Heiles und Heil“. Der griechische Begriff für Frieden „eiréné“ meint „eigentlich … Ruhe im Gegensatz zu Zwietracht, Streit, Krieg, also jeglicher Unruhe“. Frieden als der Zustand der richtigen Ordnung, dann wenn alles gut ist, alles so, wie es sein soll.
Das Kreuz als Heilszeichen
Das ganze Heil, das Gott den Seinen und damit auch uns versprochen und verheißen hat, findet seine Verwirklichung in dem Frieden, der geschenkt ist in Jesus Christus. „Er hat Frieden gestiftet am Kreuz durch sein Blut“ wie es im Kolosserbrief heißt (Kol 1,20). Weil er Versöhnung zwischen Gott und Mensch geschaffen hat und darin das Heil. Das lässt sich nur theologisch verstehen und ist das Zentrum des christlichen Glaubens schlechthin. Ansonsten wäre Ostern überflüssig und auch das Kreuz könnte gar kein Heil bringen, wenn es von Gott nicht als Heilszeichen aufgerichtet wäre, damit Jesus die Versöhnung zwischen dem Vater und den Menschen wiederherstellt. Die Vergebung dessen, was sich zwischen uns und Gott gedrängt hat, ist ein wesentlicher Aspekt auf dem Weg der Neu-Versöhnung mit Gott.
An diesem österlichen Tag verheißt Jesus seinen Jüngern Anteil an diesem, seinem Frieden, weil er die rechte Ordnung wiederhergestellt hat, weil uns in seiner Person wirklich das Heil und die Chance zum Neuanfang geschenkt ist.
Wie kann das uns modernen Menschen gelingen? Und wie viel würden Menschen wohl heute an Geld investieren, um innerlich zur Ruhe zu kommen, diese echte Geborgenheit mitten im Chaos und der frustrierenden Unsicherheit unserer Tage zu erfahren. Friede kommt jedoch als Geschenk des Auferstandenen. An uns ist es zu entscheiden, ob wir ihn empfangen möchten. Mögen heute viele davon hören, dass Gott Frieden schenkt und anbietet, dass er selbst die Quelle von innerer Ausgeglichenheit, der Erfahrung von Geborgenheit und echter Ruhe ist. Und mögen wir alle diesem Geschenk nicht gleichgültig gegenüberstehen, sondern es von ihm immer neu empfangen. Denn „er ist unser Friede“ (Eph 2,14).
Die Bitte: Komm mit deinem Frieden!
Im Unfrieden zu sein vor allem mit Menschen, denen man eigentlich nahe steht, wie den eigenen Eltern, dem Ehepartner, den eigenen Kindern oder Schwiegerkindern gehört für viele derzeit zu dem schweren Rucksack, den sie in Corona-Zeiten mit sich herumtragen, weil alle gestresst sind und kaum Kraft haben, aufeinander zuzugehen. Friedrich Schiller hat einmal diese Wahrheit über menschliches Zusammenleben recht gut ins Wort gebracht: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Das muss nicht in jedem Fall ein böser Nachbar sein, das kann auch jemand am Arbeitsplatz oder in der Familie sein, mit dem man im Zwist liegt, sich einfach nicht versteht. Solche Konflikte verhindern es, dass man innerlich ausgeglichen und in einer guten Ruhe, letztlich im Frieden, sein kann. Für diese Beziehungen kann man konkret den Frieden Jesu erbitten. „Komm mit deinem Frieden!“ So konkret wie möglich.
Auch Versöhnung ist ein Geschenk
Versöhnung ist Teil dieses Friedens und auch ein Geschenk. Dazu mahnt Paulus die Christen seiner Zeit im Brief an die Philipper: „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott!“ Die Kontaktaufnahme mit Gott im Gebet ist für ihn ein Türöffner, um Anteil zu haben an dem, was Gott schenken kann. Gott ist jedoch kein Automat: Man investiert nicht einfach in Meditation oder auch Geld für einen Kurs und erhält dafür inneren Frieden. Erst demjenigen, der das vertrauende Gebet wählt, sagt der Apostel den „Frieden Gottes“ zu, „der alles Verstehen übersteigt“ und der „eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren“ wird (Phil 4,6-7). Im Johannesevangelium geht der Zusage, den Frieden zu senden, ebenfalls die Einladung voraus, sich nicht den Sorgen zu überlassen: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht.“ (Joh 14,27) Und dann: „Meinen Frieden gebe ich Euch, …nicht wie die Welt ihn gibt.“
Für Versöhnung mit anderen kann darüber hinaus ein weiterer Schritt hilfreich sein: Es kann bedeuten, Gott die Verletzungen, die man erlitten oder auch anderen zugefügt hat, mit der Bitte hinzuhalten, er möge Versöhnung schenken. Wiederum, so konkret wie möglich. Eine erneute Begegnung mit demjenigen im guten Willen, kann ebenso ein erster Schritt sein selbst dann, wenn man sich hinter der Maske nur mit den Augen anlächeln kann.
All dies bedeutet, Gott in unsere Beziehungen hineinzulassen und den Frieden von ihm zu erhoffen und zu erbitten. In den unruhigsten Zeit zu Jesus selbst Zuflucht zu nehmen, der versprochen hat, das Heil in dem Frieden zu bringen, der alles Begreifen übersteigt und den die Welt tatsächlich nicht zu geben vermag, damit in unserem „Herzen … der Friede Christi“ zu herrschen beginne (vgl. Kol 3,15).
(radio vatikan - claudia kaminski)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.