D: „Justitia et Pax“ begrüßt Biden-Putin-Gespräch
DOMRADIO.DE: Der START-Vertrag zur nuklearen Abrüstung ist bereits Anfang des Jahres verlängert worden. Weitere Abrüstungsgespräche soll es geben. Jetzt sind auch Putin und Biden im direkten Austausch. War der Mittwoch ein guter Tag für den Weltfrieden?
Dr. Jörg Lüer (Geschäftsführer der katholischen Kommission "Justitia et Pax"): Auf jeden Fall war das jetzt erst einmal eine Ermutigung, dass dieses gemeinsame Zurasen auf die Klippe vielleicht ein Ende findet. Man redet wieder miteinander, man macht das, was verantwortliche Staatsführung machen soll: Man versucht auch bei unterschiedlichen Interessenslagen, sich die Fragen gemeinsam anzugucken und so etwas wie eine Verbindlichkeit herzustellen. Ich glaube, vor allem Joe Biden steht dafür. Aber Wladimir Putin hat dieses Signal ganz erkennbar angenommen.
DOMRADIO.DE: In der jüngsten Vergangenheit ist einiges an Geschirr kaputt geschlagen worden, besonders unter Präsident Trump. Ist diese Entwicklung jetzt gestoppt?
Lüer: So wollen wir hoffen. Joe Biden hat einen ganz anderen Ansatz von Politik als Trump. Wladimir Putin hat die Trumpsche Politik natürlich genutzt, um Räume für Russland auf der internationalen Bühne zu erweitern. Aber auch in der Russischen Föderation wird man sicherlich gesehen haben, dass dies am Ende des Tages eine zerstörerische Politik bis hin zu selbstzerstörerische Politik ist. Denn wir können die großen Fragen - Sicherheitsfragen, ökologische Fragen - in Wahrheit nur kooperativ behandeln können.
Insofern habe ich diese Hoffnung. Aber ich würde eher sagen, wir schalten jetzt erstmal einen Gang runter. Bevor wir den Wagen zum Stoppen bringen, muss erst einmal Geschwindigkeit reduziert werden und dann wird man vielleicht auch eine Wende hinbekommen - vielleicht.
DOMRADIO.DE: Vermutlich ist es noch ein langer Weg bis zu einer Welt, in der nicht mehr unendlich viele Ressourcen und Milliardensummen für Rüstung ausgegeben wird. Was muss denn weiter passieren?
Lüer: Ganz sicher ist, dass diese Gespräche fortgesetzt werden müssen. Und dabei muss man einen geduldigen Blick haben. Es ist nicht so, dass man einfach nur nett miteinander reden muss. Hier prallen auch scharfe Vorstellungen von Entwicklung, von gesellschaftlicher Entwicklung, von Legitimität aufeinander. Und aus einer westlichen Perspektive ist natürlich klar, dass Russlands Umgang mit der Meinungsfreiheit, mit den Menschenrechten so nicht geht und die Aggression gegen die Ukraine mit all den Auswirkungen auf die Sicherheitsarchitektur Europas, aber eben auch mehr als auf Europa - da müssen wir zu anderen Grundpositionen kommen.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass die Russische Föderation nach innen hin alles andere als stabil ist. Wenn wir uns das Agieren des Regimes gegenüber Nawalny anschauen, dann kommt einem schon der gute alte Handwerker-Spruch in den Sinn: "Nach ganz fest, kommt ab!" Wir haben es hier mit Akten der Verzweiflung zu tun und ich denke, Russland muss sich nach innen stabilisieren. Dazu braucht es eine Perspektive. Aber diese innere Stabilisierung sehen wir auch, wenn wir die Gefahr des Rechtspopulismus in den westlichen Staaten sehen. Während der letzten vier Jahre mit der Trump-Administration haben wir von diesem schwarzen Getränk ja zur Genüge trinken müssen. Und das Gespenst ist noch nicht besiegt!
DOMRADIO.DE: Welche Chancen geben Sie dem konstruktiven Austausch zwischen den beiden auch im Hinblick auf die Friedenspolitik? Russland mischt ja auch in Syrien ziemlich offensiv mit...
Lüer: Charakterlich sind das zwei ganz unterschiedliche Personen. Das ist vollkommen klar. Aber die Verbindlichkeit - und das ist auch etwas, was die Russische Föderation sich vom Westen immer wieder auch gewünscht hat - ist zurück. Und dann wird man hoffentlich auch zu anderen Lösungen kommen können.
Es gibt aber einen grundsätzlichen Unterschied: Die russische Politik denkt sehr stark in den Mustern alter Mächte-Politik, also in Einflusssphären: Hier ist unser Gelände, da ist euer Gelände und ihr mischt euch nicht bei uns ein, wir uns nicht bei euch. Das hat sich beim Kalten Krieg bewährt, um die Dinge nicht eskalieren zu lassen. Aber unter den Bedingungen von Globalisierung und gerade vor dem Hintergrund der unteilbaren Menschenrechte ist das nichts, was wir nicht ohne uns selbst zu verlieren, so einfach kaufen können.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns auf einen ganz anderen Aspekt zu sprechen kommen, nämlich auf den Papst, der sich ja auch immer wieder zu Wort meldet und an die Weltmächte appelliert, die Rüstungsausgaben zu stoppen. Kommt das bei den Spitzenpolitikern überhaupt an?
Lüer: Ich kann mir vorstellen, dass Spitzenpolitiker das hören und dann ein wenig die Achseln zucken und sagen: "Nun möge uns der Heilige Vater vielleicht auch noch sagen, wie wir die Sicherheitsprobleme lösen." Der Heilige Vater hat natürlich vollkommen Recht. Die hohen Rüstungsausgaben sind ein substanzielles Problem. Sie sind ein Symptom der mangelnden Sicherheit, des mangelnden Vertrauens zwischen den Staaten.
Aber die kooperative Herstellung von Sicherheit wird nicht allein - schon gar nicht im ersten Schritt - durch Abrüstung gelingen können. Abrüstung gehört wesentlich dazu, aber sie muss eingebettet sein in die Entstehung einer im Grunde genommen globaleren, gerechteren Ordnung, wie sie zumindest im Pariser Klimaabkommen, wie sie aber auch in den Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, Anm. d. Red.) von 2015 skizziert worden ist.
Das Interview führte Tobias Fricke.
(domradio – mg)
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