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P. Bernd Hagenkord S.J. ist geistlicher Begleiter beim Synodalen Weg in Deutschland P. Bernd Hagenkord S.J. ist geistlicher Begleiter beim Synodalen Weg in Deutschland  

Hagenkord zu Marx-Vorstoß: „Ein einzelner Schritt reicht nicht"

Bischöfe sollten in der katholischen Kirche „auch da im Zentrum stehen, wo’s schief gegangen ist“. Diese Botschaft liest der deutsche Jesuit Bernd Hagenkord im jüngsten Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx an den Papst. Im Interview mit Radio Vatikan wertet der geistliche Begleiter des Synodalen Weges Marx‘ Vorstoß als Impuls für eine kirchliche Erneuerung.

Radio Vatikan: Kardinal Marx war einer der Impulsgeber für den Synodalen Weg, wo Sie selbst als geistlicher Begleiter in Erscheinung treten. Wie beeinflusst sein Vorstoß jetzt diese Reformdebatte?

Pater Hagenkord (geistlicher Begleiter beim Synodalen Weg und ehemaliger Redaktionsleiter bei Radio Vatikan): Das müssen wir noch sehen… Kardinal Marx ist sicherlich einer der treibenden Kräfte des Synodalen Weges gewesen und einer der großen Unterstützer. Aber mittlerweile hat der Synodale Weg auch so eine Eigendynamik entwickelt – natürlich wäre das ein Verlust für alle, aber es ist inzwischen nicht mehr nur sein Ding, sondern tatsächlich läuft der Synodale Weg jetzt alleine. Und er wird weitergehen, Marx‘ Impulse werden bleiben - noch ist der Rücktritt ja auch nicht angenommen und noch wird Marx weiter mitarbeiten. Und die Anfangsimpulse, die mitgegeben wurden, die werden auch bleiben. Deshalb ist Marx nicht aus dem Synodalen Weg verschwunden und auch nicht wegzudenken.

Hier das Interview in voller Länge

Teil des Systems? Persönliche Verantwortung

Radio Vatikan: Kardinal Marx spricht in seinem Brief davon, dass es für Missbrauchsaufarbeitung nicht reicht, sich nur persönliche Fehler und Versäumnisse bescheinigen zu lassen. Was ist das für ein Signal an kirchliche Verantwortungsträger?

Pater Hagenkord SJ: Ich habe das für mich so übersetzt: Ein guter Bischof zu sein, heißt nicht, nichts falsch gemacht zu haben. Wir haben ja eine sehr starke Überhöhung des Bischofsamtes, der Bischof steht ja bei allem im Zentrum, und jetzt sagt Kardinal Marx: ,Er muss auch da im Zentrum stehen, wo es schief gegangen ist, bei den Katastrophen.‘ Und da übernimmt er jetzt Verantwortung. Es reicht nicht zu sagen: ,Ich habe mir nichts zuschulden kommen zu lassen‘. Was Kardinal Marx sagt, ist: ,Ich bin Teil eines Systems. Das System hat das irgendwie hervorgebracht, das Vertuschen, das Weggucken, all die ganzen Katastrophen, die es da gegeben hat in Zusammenhang mit sexueller Gewalt. Und deswegen übernehme ich die Verantwortung und biete dem Papst meinen Rücktritt an.‘ Also ein weitergehendes Verständnis von Verantwortung, wo er nicht sagt: ,Das war das System und ich verstecke mich hinter dem System‘, sondern wirklich sagt: ,Ich.‘ Und wo er dann die Verantwortung übernimmt, die ihm als Bischof zukommt, die ,ich von meinem Gewissen her übernehmen muss‘.

Radio Vatikan: An den Reaktionen zu Kardinal Marx Rücktrittsangebot lässt sich bereits ablesen, dass dieser Schritt auch über Deutschland hinaus als ziemlich gewichtig wahrgenommen wird. Warum ist das so – ist Marx den Bischöfen, was Benedikt den Päpsten war?

P. Hagenkord SJ: Ich glaube, das liegt zum einen daran, dass Kardinal Marx in der Weltkirche nicht irgendjemand ist, er ist eine sehr wichtige Stimme. Weil er was zu sagen hat, im Kardinalsrat sitzt, immer wieder auch öffentlich aufgetreten ist als Stütze im Pontifikat von Papst Franziskus – das ist das eine. Und das andere ist, dass es tatsächlich ein spektakulärer Schritt ist: dass ein Bischof, dem nicht konkret etwas vorgeworfen wird, von sich aus sagt: ,Ich möchte Verantwortung übernehmen für all die Katastrophen, die passiert sind, auch wenn ich jetzt vielleicht persönlich nicht beteiligt war. Aber es ist wichtig, dass jemand Verantwortung übernimmt.‘ Das ist so außergewöhnlich, dass es hohe Wellen geschlagen hat.

„In jedem Fall ist dieser Schritt etwas, was wahrgenommen wird und was Bischöfe, die vielleicht vor ähnlichen Problemen stehen, sich zu Herzen nehmen werden.“

Radio Vatikan: Marx hat im Vatikan als Papstberater eine Schlüsselfunktion und ist international bekannt. Inwieweit wird diese Geste auch international möglicherweise Auswirkungen haben auf das Verhalten kirchlicher Verantwortungsträger?

Pater Hagenkord: Wenn man so liest, was die internationale Presse so schreibt – die einen wissen nicht so recht, was gerade passiert oder bringen das in Zusammenhang mit dem Synodalen Weg, andere sehen bei dem Schritt die Frage der Verantwortung in der Weltkirche - ganz verschieden. Ob das Auswirkungen haben wird auf Bischöfe, werden wir dann sehen. Ebenfalls, ob es in Deutschland die Auswirkungen haben sollte, die es haben sollte oder ob das auch wieder verpufft... In jedem Fall ist dieser Schritt etwas, was wahrgenommen wird und was Bischöfe, die vielleicht vor ähnlichen Problemen stehen, sich zu Herzen nehmen werden.

Radio Vatikan: Marx spricht von einem „toten Punkt“, an dem sich die Kirche befindet - was signalisiert er damit dem Papst?

Pater Hagenkord: Also ich lese das ganz stark vor dem Hintergrund von dem, was Papst Franziskus immer wieder über die Kirche sagt, angefangen von Evangelii gaudium. Seit seinem ersten Pontifikatsjahr hat er immer wieder scharfe Worte gefunden für den Zustand der Kirche. So lese ich das. ,Toter Punkt‘ – das überdramatisiere ich nicht, aber ich lese das jetzt mal so in der Optik von: ,Wir kommen hier nicht weiter, wir stecken fest.‘ Und da braucht es eben Impulse, und Kardinal Marx versucht eben, einen solchen Impuls zu setzen.

„Es muss weiter nachgefragt werden, und es wichtig, dass die richtigen Nachfragen kommen, die nicht nur Schlagzeilen wollen, sondern die zum Kern der Dinge vorgehen.“

Radio Vatikan: Marx hat sich nach langjähriger Auseinandersetzung mit den Missbrauchsvergehen zum Amtsverzicht berufen gefühlt. Auch Journalistenfragen haben in diesem Prozess eine Rolle gespielt, wie er selbst in seinem Brief explizit sagt. Was sagt uns das zur Rolle des Kirchenjournalismus heute?

Pater Hagenkord: Im Prinzip das, was die Bischöfe auch schon betont haben – dass nachgefragt wird. Es gibt auch viele Journalistinnen und Journalisten, die spekulieren, was macht er dann danach usw. Außerdem ist ja immer noch die Frage offen, was damals in München und in Trier passiert ist, wo Marx war, bevor er nach München kam. Diese Fragen werden weiter gestellt werden, es ist nicht so, als ob das alles jetzt gut wäre, ganz im Gegenteil – es muss weiter nachgefragt werden, und es wichtig, dass die Nachfragen kommen, es ist wichtig, dass die richtigen Nachfragen kommen, die nicht nur Schlagzeilen wollen, sondern die – wie die angesprochene Journalistenfrage – zum Kern der Dinge vorgehen und fragen: ,Wie halten Sie es eigentlich mit Verantwortung.‘

Viele Schritte notwendig

Radio Vatikan: Ob der Papst dem Rücktrittsgesuch entsprechen wird, steht noch aus. Wie könnte es weitergehen – welche Rolle könnte Marx in Zukunft spielen?

Pater Hagenkord: Da fehlt mir im Augenblick die Fantasie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Papst das Gesuch nicht annimmt. Auch wenn ich kein besonderes Wissen habe, das mir irgendwie sagen würde, darauf berufe ich mich jetzt mal. Es ist eine Vermutung von mir, dass der Papst das nicht nicht annehmen kann. Und dann müssen wir schauen, was der Kardinal dann macht. Er bleibt ja Kardinal, er bleibt ja immer noch Chef des Wirtschaftsrates im Vatikan. Die Frage ist, bekommt er ein permanentes Amt im Vatikan? So sehe ich Kardinal Marx nicht, so wie ich ihn kennengelernt habe… Da ist er gar nicht der Typ für. Aber das sind alles so Spekulationen. Ich glaube nicht, dass er das im Kopf hatte, als er die Entscheidung getroffen hat. Wir werden sehen, was sich da weiterentwickelt.

„Die meisten Schritte werden ja getan von Betroffenen, von Überlebenden sexueller Gewalt, die sehr stark antreiben.“

Radio Vatikan: Meinen Sie, dass Marx‘ Vorstoß der Beginn eines Wandels sein kann?

Pater Hagenkord: Also sicherlich nicht alleine, ein einzelner Schritt reicht nicht aus, es ist einer von vielen. Die meisten Schritte werden ja getan von Betroffenen, von Überlebenden sexueller Gewalt, die sehr stark antreiben. Es ist ganz ganz wichtig, dass da die Betroffenen gehört werden, die den wichtigsten Antrieb bilden. Innerkirchliche Antriebe sind auch wichtig, der Synodale Weg ist auch wichtig, der internationale, der weltkirchliche Weg wird hoffentlich auch sehr wichtig. Das was der Papst sagt, kann wichtig sein, wenn man dem wirklich zuhört! Und dann Kardinal Marx mit seinem Schritt – das gehört in einen Gesamtrahmen, ganz alleine auch so ein Schritt nichts bewirken, aber im Zusammenspiel mit den anderen schon.

Radio Vatikan: Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
 

Die Fragen stellte Anne Preckel.

(vatican news - pr)

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08. Juni 2021, 13:41