Flut in Deutschland: Ein Hoch auf die Nachbarschaftshilfe
Radio Vatikan: Herr Hinsken, sie sind leider durch die Flutkatastrophe in Essen an der Ruhr getroffen worden. Können Sie uns erzählen, wie sie die Situation erleben?
Sascha Hinsken (Anrainer der Ruhr in Essen): „Ich wohne schon länger direkt an der Ruhr, auch meine Eltern wohnen hier und ich kenne die Situation am Fluss ganz gut. Beruflich komme ich auch aus der Wasserwirtschaft und habe dadurch ein bisschen Einblick, ich werte für eine Kommune hier in NRW Pegelstände aus und war dadurch schon bisschen vorgewarnt… In der Nacht, als das Hochwasser kam, hatte ich schon so ein ungutes Gefühl, bin nachts wach geworden und habe den steigenden Pegel beobachtet. Ich habe dann nachts noch beim Ruhrverband angerufen und die Meldung bekommen, dass es besser wäre, sich in Sicherheit zu bringen.
Am frühen Morgen habe ich dann entsprechend auch die Nachbarn gewarnt. Eine andere Warnmeldungen gab es nicht, von der Feuerwehr oder so haben wir nichts mitbekommen. Das lief also alles sozusagen über die Nachbarschaftshilfe. Und der Pegel ist tatsächlich soweit gestiegen, wie wir das hier an der Straße bisher noch nicht gekannt haben und auch ältere Nachbarn noch nicht erlebt haben.
Zum ersten Mal ist dann bei uns der Keller vollgelaufen und wir haben über WhatsApp versucht, uns Hilfe zu holen. Leute haben Pumpen und Aggregate vorbeigebracht und da haben es viele von uns hier in der Nachbarschaft geschafft, das Niveau des Wassers im Keller ein bisschen geringer zu halten als das Ruhr-Niveau, so dass die Elektrik im Keller nicht Schaden genommen hat. Aber es ist natürlich alles vollgelaufen mit dieser schlammigen und auch etwas stinkigen Brühe, und alles, was damit in Berührung gekommen ist, kann man im Grunde genommen auch wegschmeißen. Dieser Geruch und dieser Schlamm sind so schwer wegzubekommen, dass eben ganz viel zerstört wurde. Bei vielen der Nachbarn, die es nicht geschafft haben, Sachen zu retten, auch bei Alleinstehenden, ist das schon ein katastrophales Bild, was sich da ergeben hat.
Große Solidarität untereinander
Radio Vatikan: Wie helfen Sie sich denn untereinander? Ich sehe, Sie haben schon im Vorfeld der Katastrophe zusammengearbeitet mit den Nachbarn, wie läuft jetzt die Nachbarschaftshilfe?
Hinsken: Ja, das hat nochmal enger zusammengeschweißt, muss man ganz ehrlich sagen. Wir haben uns hier in einer WhatsApp-Gruppe zusammengetan, da haben wir uns darüber ausgetauscht, wer was braucht, ob Raumtrockner gebraucht werden, wie das mit Versicherungen funktioniert, wer Gutachter oder Banken als Kreditgeber weiß und das klappt sehr gut.
Wie auch gerade gesagt, es gibt auch Nachbarn, die älter sind - meine direkte Nachbarin ist 91 - die war aber auch die erste, die angefangen hat aufzuräumen und in Gummistiefeln im Keller stand und gearbeitet hat. Und wer immer noch eine Hand frei hat, geht eben rüber zum Nachbarn und packt da mit an. Wenn dann Container (zum Abholen der beschädigten Gegenstände, Anm.) geliefert werden, dann sind im Grunde alle wieder mit Arbeitshandschuhen draußen auf der Straße und helfen mit.
Es kamen auch unglaublich viele Leute vorbei und haben ihre Hilfe angeboten. Bei uns war es so, dass die Pfadfinder vorbeigekommen sind und im Keller aufgeräumt haben, dann ist vor kurzem noch eine andere Pfadfindergruppe bei den Nachbarn gewesen und hat da mit aufgeräumt, das klappt schon sehr sehr gut und man spürt eine unheimlich große Solidarität.
Radio Vatikan: Sie sind auch bei den Parents 4 Future aktiv. Inwieweit fühlen Sie sich denn durch diese Ereignisse in Ihrem Einsatz bestätigt?
Hinsken: Ich fühle mich sehr bestätigt dadurch! Es ist auch ein bisschen frustrierend, wenn man sich denkt, wie ungerecht, ich weise immer auf die Gefahren hin und jetzt bin ich selbst betroffen - aber es ist ja klar, dass das Klima oder das Wetter darauf keine Rücksicht nehmen kann…
Also die Ladestation für mein E-Auto hat es leider auch erwischt und darüber bin ich sehr traurig. Jetzt muss ich doch wieder mit dem Verbrenner fahren (lacht)… Und die Bautrockner, die jetzt im Keller laufen, werden natürlich auch nicht nur mit sauberem Strom betrieben, das ist mir schon klar.
Ich empfinde dabei natürlich auch eine gewisse Wut, wenn einen das so persönlich erwischt. Man überlegt ja dann auch, wie kann es dazu kommen, und im Grunde ist ja die Lebensweise, die wir hier an den Tag legen und jahrzehntelang pflegten, Schuld. Immer mehr wollen und immer schneller, immer weiter wollen, egal wie wir die Energie dafür bekommen. Dass das so nicht weitergeht, war uns schon vor dem Hochwasser klar und manchmal denke ich auch, es braucht so einen Schuss vor den Bug. Das klingt natürlich zynisch, denn es gibt ja viele Menschen, die darunter leiden und tatsächlich auch ihr Leben verloren haben und auf so eine Art und Weise sollte das natürlich nicht ins Bewusstsein gedrängt werden.
Aber es muss einfach mehr passieren und da hoffe ich einfach auch, dass so ein massives Ereignis jetzt so ein bisschen Hallo-Wach-Effekt ist für die Politik, doch endlich die Schrauben am Klimaschutz ein bisschen mehr anzuziehen. Es kann doch nicht sein, dass man immer weiter irgendwelche Daten nennt, die in der weiten Zukunft liegen und dann lässt man sich von einem Gericht vielleicht mal sagen, dass man doch fünf Jahre eher mit etwas fertig sein muss…
Wir müssen jetzt loslegen, wir hätten das eigentlich schon vor 30 Jahren machen müssen, die Schalter umzustellen. Ich denke auch, wir als Deutschland sind da in einer Vorbildfunktion. Man kann nicht immer nur sagen, wir als Deutschland können das nicht allein machen, da müssen noch andere Länder mitmachen. Natürlich müssen auch andere Länder mitmachen, aber wir haben auch eine Vorbildfunktion und da können wir auch gerne mal die Speerspitze bilden und sagen, wir gehen voran und setzen uns die Latte etwas höher als vielleicht woanders. Und dann können andere nachziehen, das ist ja an sich kein Problem.
Glimpflich davongekommen
Radio Vatikan: Vielen Dank, dass Sie mit uns Ihre Erfahrungen in dieser Hochwasserkatastrophe geteilt haben, und viel Glück auch für Ihren weiteren Einsatz und für die weiteren Aufräumarbeiten…
Hinsken: Ja, vielen Dank. Und was mir wichtig ist, wir wissen das Ganze hier mittlerweile auch einzuschätzen. Wir waren natürlich sehr verzweifelt, als das Hochwasser kam und unsere Keller vollgelaufen sind, aber als wir dann gesehen haben, was in Deutschland passiert ist, wie andere Leute betroffen waren, was für ein Ausmaß das angenommen hat, ja, da wussten wir auch schnell das Ganze einzuordnen und konnten das relativieren. Und schon am Tag danach waren sich eigentlich alle an der Straße hier darüber einig, dass wir doch wirklich Glück gehabt haben, und dass es andere sehr viel schlimmer getroffen hat. Wir sind sehr froh, dass niemand zu Schaden gekommen ist und unsere Häuser weiterhin bewohnbar sind - und da klopfen wir doch mal auf Holz.
Radio Vatikan: Vielen Dank nochmals und alles Gute nach Essen.
Die Fragen stellte Christine Seuss
(vatican news)
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