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Klimaaktivisten protestieren anlässlich des G-20 Ministertreffens in Neapel am 22.7.2021 Klimaaktivisten protestieren anlässlich des G-20 Ministertreffens in Neapel am 22.7.2021  

Misereor zum Erderschöpfungstag: Es gibt noch keine Trendwende

Die Erde und ihre Ressourcen sind erschöpft - daran erinnert der Erderschöpfungstag, der in diesem Jahr bereits auf den 29. Juli fällt. Was der Tag uns genau klar machen soll und wie es um den jüngsten Plan der EU für grünen Wandel steht, darüber haben wir mit Antje Kathrin Schroeder von MISEREOR gesprochen. Sie ist bei dem Hilfswerk für die Themen Energie- und Klimapolitik in der Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen zuständig.

Radio Vatikan: Welterschöpfungstag, was bedeutet das?

Antje Kathrin Schroeder: Das bedeutet, dass die Ressourcen der Erde, jetzt schon aufgebraucht sind -  also das was die Menschheit entnimmt an Wasser, an Erde an anderen Stoffen, die aus der Erde kommen - das ist jetzt eigentlich schon alle und die nächsten Monate leben wir auf Pump.

Zum Nachhören - das Interview mit Antje Kathrin Schroeder

Radio Vatikan: Im Vorjahr ist der Tag wegen Corona ausnahmsweise mal in den August gefallen. Jetzt ist der Tag wieder extrem früh, also der 29. Juli, das war 2019 auch schon Weltrekord praktisch, und jetzt ist es wieder genau derselbe Tag. … Da kann ja von einer Trendwende keine Rede sein, oder?

Antje Kathrin Schroeder: Ja, das sehe ich auch so. Durch die Einschränkungen, die durch die Corona-Pandemie in allen Ländern eingeführt wurden, waren ja viele Dinge nicht möglich. Aber man sieht jetzt, dass es eben nicht so ist, dass sich signifikant etwas geändert hat in den Konsummustern, im Wirtschaftssystem. Es gab nur aufgrund der Pandemie eine kleine Pause, aber die stellt keine Trendwende dar. Von daher ist trotzdem die Aufgabe, die wir jetzt entschieden angehen müssen, dem CO2 Ausstoß entgegenzuwirken, der ja da eine ganz große Rolle spielt.

„Es gab nur aufgrund der Pandemie eine kleine Pause, aber die stellt keine Trendwende dar.“

Radio Vatikan: Einen ganz ehrgeizigen Plan dazu hat ja auch jetzt gerade eben erst die EU Kommission vorgelegt, „Fit für 55“, was sind denn da die zentralen Punkte?

Antje Kathrin Schroeder: Das Klimapaket „Fit für 55“ enthält ganz wichtige Bausteine, die nötig sind, um das ambitionierte Klimaziel der Europäischen Union zu erreichen - also bis zum Jahr 2030 in Europa 55 Prozent weniger Ausstoß von Treibhausgasen als noch 1999. Deswegen hat dieses Paket einige Überarbeitungen vorgeschlagen, z.b. im Emissionshandelssystem, der erneuerbaren Energierichtlinie oder der Energieeffizienzrichtlinie. Neu ist auch der Vorschlag für ein CO2- Grenzausgleichsystem. Und alle diese Richtlinien müssen eben dazu beitragen, dass verbesserte Klimaziel zu erreichen.

Das Fit for 55-Paket ist enorm wichtig für die Umsetzung des neuen Klimaziels, aber es reicht noch lange nicht aus, um uns auf einen 1,5 Grad-Pfad zu bringen. Also das EU-Parlament hat ja auch gesagt, das Klimaziel sollte bei -60% liegen, zivilgesellschaftliche Gruppen haben 65% weniger gefordert. Und wir sehen eben auch, dass der jetzige Vorschlag noch wichtige Fragen zur sozialgerechten Ausgestaltung offen gelassen hat.

Antje Kathrin Schroeder von Misereor
Antje Kathrin Schroeder von Misereor

Radio Vatikan: Was muss jetzt noch geschehen, damit es auch in Kraft treten kann?

Antje Kathrin Schroeder: „Die EU-Kommission hat mit diesem Paket jetzt erstmal einen Vorschlag vorgelegt, der muss jetzt mit dem Parlament und den Mitgliedstaaten weiter ausgearbeitet werden und das wird wahrscheinlich noch weitere zwei Jahre dauert. Diese Zeit haben wir eigentlich nicht mehr angesichts der Klimakrise, die wir jetzt schon sehen, aber natürlich bieten die weiteren Arbeitsschritte auch immer noch die Chance, Dinge nachzubessern, die heute noch nicht so optimal sind.“

„Drastisch ist das, was mit der Klimakrise ja noch auf uns zukommt“

Radio Vatikan: Ja, nun sprechen wir da ja über den europäischen Raum. Ist es denn aber überhaupt sinnvoll, hier solche drastischen Maßnahmen zu verabschieden angesichts der Tatsache, dass man in Europa ja weltweit doch schon ganz gut dasteht im Vergleich?

Antje Kathrin Schroeder: „Drastisch ist das, was mit der Klimakrise ja noch auf uns zukommt. Der Weltklimarat hat in seinem Sonderbericht 2018 sehr deutlich gemacht, dass uns nur noch sehr wenig Zeit bleibt, mit dem verbleibendenden CO2-Budget, das für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad noch übrig ist, diese Umsteuerung auch zu vollziehen. Auf der Website eines Forschungsinstituts in Potsdam, des Mercator Research Instituts, gibt es eine Uhr, die diese Zeit abbildet. Wir haben noch sechs Jahre, wenn wir mit den Emission so weitermachen, bis dieses Budget aufgebraucht ist. Und da finde ich, die Maßnahmen müssen drastisch und deutlich sein, denn sie müssen in allen gesellschaftlichen Bereichen spürbar machen, dass es so wie bisher nicht weiter geht.

Und gerade der Verkehrssektor ist ja in Deutschland und Europa derjenige, der in den letzten 30 Jahren seine Emission immer nur gesteigert hat. Wir haben beispielsweise in Deutschland etwa 18% der Gesamtemissionen aus dem Verkehrssektor. Hier muss also ein so genannter U-Turn vollzogen werden, also wirklich eine Vollbremsung und eine Umkehr in eine andere Richtung. Und angesichts des Erderschöpfungstages muss ja auch klar sein, hier geht es nicht nur um Emission. Es geht eben auch um die Ressourcen, die wir im Mobilitätssektor für die Art der Mobilität einsetzen.“

Radio Vatikan: Ja, dabei braucht es aber natürlich auch die Unterstützung beziehungsweise Zusammenarbeit aller Länder. Immerhin haben sich ja auch die G20 Minister, die kürzlich in Neapel getagt haben, in ihrer Abschlusserklärung drauf geeinigt, dass zum Beispiel die Biodiversität erhalten werden muss und dass es auch finanzielle Anreize und Hilfen für die Erhaltung von Ökosystemen geben muss. Auch die Ergebnisse des jüngsten IPCC-Reports, nämlich dass Klimawandel und Artenvielfalt oder eben auch Artensterben zusammenhängen, wurden in diesem Forum ja erstmals ausdrücklich anerkannt. Was für Hoffnungen verbinden Sie denn mit diesen bisher eher politischen Aussagen.

Antje Kathrin Schroeder: „Ja, wir Christen und Christinnen sind ja Experten für Hoffnung und deshalb möchte ich die auch noch nicht aufgeben, gerade wenn man auch immer wieder sieht – wie auch bei diesem G20-Gipfel - wie schwierig die konkrete Umsetzung ist. Also ich fand es wirklich gut, dass die G20-Umweltminister den Sonderbericht des Klimarates zu 1,5 Grad noch mal in ihrer Abschlusserklärung erwähnt haben. Denn gerade unter den G20-Ländern gibt es Länder, die mit den Konsequenzen aus diesen Berichten ein großes Problem haben. Das zeigen zum Beispiel die Punkte, bei denen es keine Einigung gegeben hat, wie Kohleausstieg und Naturschutz…

Beispielsweise Australien ist ja ein Land, in dem ein Fünftel Bevölkerung katholisch ist, und hier spielt das Land als Kohleexporteur eine extrem negative Rolle. Hier frage ich mich auch, ob die Weltkirche auf ein solches Land ist zu dem Thema nicht mehr Druck ausüben könnte. Und zurecht erinnern auch einige G20-Mitglieder, wie Indien, immer wieder daran, dass es Verpflichtungen der Industrieländer gibt, ärmere Länder bei ihrer Transformation mit Geld, Wissen und Technologietransfers zu unterstützen. Das sind Dinge, die im Pariser Abkommen festgelegt sind, sind, aber auch schon in der Agenda 21 von 1992. Von daher sind die Punkte zu Klimafinanzierung, was auch ein wichtiges Thema auf der nächsten Weltklima-Konferenz sein wird, und die Rolle multilateraler Banken in diesen Abschlussdokument der G20-Minister so wichtig.

Es gibt ja auch immer wieder Themen der konkreten Umsetzung, da steht ja zum Beispiel Deutschland und Europa auch nicht alleine da - nicht alleine schlecht, aber auch nicht alleine gut.  Wir bei Misereor sagen zum Beispiel, diese Verkehrswende, die wir benötigen, ist ja kein rein europäisches Problem. Man kann sich ja vielleicht vorstellen, wie eine indische Stadt wie Delhi aussehen würde, wenn dort alle Einwohnerinnen und Einwohner mit dem eigenen PKW fahren würden. Wir haben schon heute dort an den meisten Tagen im Jahr einen gesundheitsbedrohlichen Smog und extremen Stau und hier könnten beispielsweise internationale Partnerschaften dazu beitragen, gemeinsam voneinander zu lernen und Lösungen für schwierige Probleme auch international zu entwickeln.“

„Ich finde schon, das hat durchaus Potenzial, unser Wirtschaftssystem zu revolutionieren“

Radio Vatikan: Im Abschlussdokument des G20-Gipfels stand ja unter anderem auch der Vorschlag, dass Natur und Klimaschutz einen Platz in der Kalkulation des staatlichen Haushalts bekommen sollen. Also simpel gesagt, was rechnet sich in Sachen Klimaschutz, und was nicht. Was halten Sie denn von diesem Vorstoss?

Antje Kathrin Schroeder: „Ich finde schon, das hat durchaus Potenzial, unser Wirtschaftssystem zu revolutionieren. Natürlich ist es aus religiöser Sicht fragwürdig, der Natur ein Preisschild zu verpassen, aber die Tatsache, dass der Amazonas-Regenwald jetzt zu einer Kohlenstoffquelle zu werden droht, anstatt weiter zur Senkung beizutragen, ist alarmierend. Wir brauchen daher dringend neue Instrumente und neue Ideen.“

Die Fragen stellte Christine Seuss

(vatican news - cs)

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29. Juli 2021, 14:26