Tag gegen Menschenhandel: Ordensleute im Einsatz gegen die Plage
Frage: Was versteht man unter Menschenhandel?
P. Eidenberger: „Seit der Palermo-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 gibt es eine klare Definition: Es handelt sich um Menschenhandel, wenn Menschen in ein anderes Land gebracht werden, unter Vortäuschung falscher Tatsachen und zum Zweck der Ausbeutung. Nur wenn alle drei Tatsachen zutreffen, tritt auch die Strafe gegen Menschenhandel in Kraft. Ganz schwer ist die Manipulation, die Täuschung in der Realität nachweisbar.
Menschenhandel läuft oft nach dem gleichen Muster ab: Mit falschen Versprechen werden Menschen in ein Zielland gelockt und sind dann dort den Profiteuren und Kriminellen ausgeliefert. Im Zielland angekommen, trauen sich die betroffenen Personen oft nicht die Wahrheit über ihrer Ausbeutungssituation zu sagen, weil sie Angst haben, dass ihrer Familie (zu Hause) etwas passieren könnte. Erst vor kurzem hat es einen Fall in Oberösterreich gegeben. Die Frau hatte offensichtliche und sichtbare Zeichen von Gewalt und Misshandlung und kam deshalb sogar ins Krankenhaus. Sie wollte aber auf keinen Fall etwas sagen. Ihr einziger Wunsch war, mit ihrer Familie zu telefonieren und zurück nach Rumänien gebracht zu werden. Somit konnte die Polizei keine Schritte gegen den/die Täter einleiten.
Es herrscht ein starkes Ungleichgewicht zwischen den kriminellen Akteuren, also den Tätern, und den Opfern. Im Falle eines wirklichen Menschenhandels ist es sehr schwierig, den Fall aufzudecken und vor Gericht zu bringen.“
Frage: Menschenhandel ist ein weltweites Problem und klingt trotzdem in unserer „heilen Welt“ so weit weg. Betrifft das Thema auch Österreich?
P. Eidenberger: „Ja, auf jeden Fall. Einerseits ist Österreich ein Transitland für Menschenhandel. Das heißt, die Opfer werden – meist vom Osten Europas – über Österreich nach Deutschland, England, Spanien etc. gebracht.
Und Österreich ist auch Zielland von Menschenhandel. Erst vor kurzem hat es am Landesgericht Linz einen Fall von 14 Männern gegeben, die wegen Schlepperei angeklagt wurden. Es ist noch offen, ob dies auch ein Fall von Menschenhandel ist. Der Punkt der Manipulation, der bewussten Täuschung der Personen, ist nur schwer nachweisbar.“
Frage: Wer sind die Gesichter des Menschenhandels? Wen trifft es?
P. Eidenberger: „Es betrifft meistens Frauen und Mädchen, Personen von sogenannten „vulnerablen Gruppen“. Sie haben oft wenig Selbstwertgefühl, wenig Bildung, können sich gegen die kriminellen Organisationen nicht wehren und kommen so in vollkommene Abhängigkeit.
Laut der International Labour Organization (ILO) findet Menschenhandel zu 2/3 in der sexuellen Ausbeutung statt und 1/3 betrifft andere Formen der Ausbeutung, wie z.B. in der Landwirtschaft, am Bau oder in der Pflege.“
Wirtschaftlicher Druck und traditionelle Gesellschaftsmodelle fördern Menschenhandel
Frage: Was sind die Hintergründe? Warum werden Menschen gehandelt?
P. Eidenberger: „Dafür gibt es vielfältige Gründe. Einerseits der ökonomische Druck: Das Ost-West-Gefälle beim Einkommen in Europa – oder das globale Süd-Nord-Gefälle – ist nach wie vor enorm und das macht Menschen in ärmeren Ländern anfälliger für solche scheinbar „lukrativen“ Versprechen.
Anderseits spielen gesellschaftliche traditionelle Rollenbilder bzw. Gesellschaftsmodelle eine Rolle. In Regionen, wo patriarchale Gesellschaftsformen ausgeprägter sind, bestimmt der Mann, wo die Frau arbeiten muss. Sie werden als „die Retterin der Familie“, die sie aus der Armut, aus der Misere herausholt, dargestellt und so unter Druck gesetzt. Von selbstbestimmter Arbeit kann hier keine Rede sein.
Auch emotionale Gründe spielen eine große Rolle. Die Situation der Frauen – oft kommen sie aus zerrütteten, prekären Familienverhältnissen – wird ausgenutzt, um sie in die Prostitution zu zwingen. Es handelt sich um moderne Sklaverei. Früher legte man den Menschen in der Sklaverei Metallketten um, heute sind es in der Zwangsprostitution emotionale Ketten, die den Frauen angelegt werden, um sie in der Abhängigkeit zu halten.
Aus Berichten weiß ich, dass die Familien zu Hause oft gar nicht wissen, dass die Frau in der Prostitution arbeitet. Sie telefoniert nur mehr mit ihren Kindern, die oft von der Großmutter betreut werden. Zu Ostern und Weihnachten sollen die mitgebrachten Geschenke dies dann ausgleichen. Die Frau lebt in einer Doppelrolle, einer Scheinwelt. Diese Doppelrolle kommt auch in der Ausübung der Prostitution vor. In der Fachsprache nennt man das „Dissoziation“: Die Frau spaltet einen Teil ihres Lebens ab. Die Prostitution ist wie ein eigener Lebensbereich, der verdrängt wird. Nur so lässt sich ein derartiges Leben über mehrere Jahre aushalten. Diese Frauen zahlen also einen hohen psychischen Preis!”
Frage: Um wie viel Geld geht es beim Menschenhandel?
P. Eidenberger: „Laut ILO werden weltweit mit Menschenhandel 150 Milliarden (!) Dollar Gewinn gemacht. Davon 100 Milliarden Dollar in der Zwangsprostitution, 34 Milliarden im Bauwesen, 9 Milliarden in der Land- & Forstwirtschaft und 8 Mrd. Dollar in privaten Haushalten. Der Anteil nimmt überall zu, in letzter Zeit besonders im Bauwesen.
Die Menschen werden in Länder gebracht, wo die kriminelle Organisation am meisten rausholen kann. Deutschland wird etwa als Bordell Europas bezeichnet. Man geht dort von 400.000 Prostituierten aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass 400.000 Frauen freiwillig in der Prostitution arbeiten. Die Nachfrage der Männer schafft diesen „Frauen-Markt“. In Berlin spitzt sich die Lage gerade zu, es bilden sich Männergruppierungen, sogenannte Clans, die Frauen in der Prostitution halten.
Durch sexuelle Ausbeutung können pro Opfer und Jahr 21.800 Dollar erzielt werden. Im Industrie- und Baubereich sind es 4.800 Dollar pro Opfer pro Jahr, in der Landwirtschaft 2.500 Dollar und in der Hauswirtschaft 2.300 Dollar. Mit sexueller Ausbeutung kann eindeutig am meisten Geld gemacht werden und das wissen die kriminellen Täter.“
Frage: Welche Regionen sind besonders betroffen? Warum gerade diese Regionen?
P. Eidenberger: „Weltweit betrachtet, kommt der Hauptanteil der Opfer von Menschenhandel aus dem asiatischen Raum. Sehr viele junge Menschen machen sich dort auf den Weg, sind auf der Suche und bereit zu reisen. Diese Menschen anzusprechen und sie unter Vortäuschung falscher Tatsachen in diese Arbeitswelt hinein zu locken ist für die Kriminellen ein leichtes Spiel. In Europa handelt es sich meist um Menschen aus Billiglohnländern – Rumänien, Bulgarien, Moldawien, Polen, ungarische Minderheiten usw.“
Frage: Wie engagiert sich Ihre Initiative?
P. Eidenberger: „In unserer Initiative „Aktiv gegen Menschenhandel – Aktiv für Menschenwürde in OÖ“ wollen wir nicht nur gegen etwas sein, sondern auch für etwas – nämlich für die Würde des Menschen. Und diese wird beim Menschenhandel eindeutig mit Füßen getreten. Menschen werden enteignet, fremdbestimmt, ausgebeutet. Die Initiative wurde 2014 von Sr. Maria Schlackl SDS in Linz gegründet und gehört zum Verein SOLWODI.
SOLWODI betreibt in Wien ein Schutzhaus in dem 10 Frauen samt ihren Kindern Platz finden. Es ist tatsächlich ein SCHUTZhaus – Schutz, den Frauen nach dem Ausstieg dringend brauchen. Es sind Frauen, die in einer „anderen“ Welt gelebt haben, in einer Welt in der 10 Männer pro Nacht „normal“ waren. Man muss das klar benennen, um zu verstehen, in welcher Welt diese Frauen leb(t)en. Es braucht lange, bis solche Frauen den Mut fassen und genügend Kraft aufbringen können, um hier auszusteigen.
Aber es passiert: Erst vor kurzem hat eine Frau Hilfe bei Sr. Maria gesucht, um einen Weg aus der Abhängigkeit eines Mannes zu finden, der sie zwang als Prostituierte Geld zu verdienen. Sie hat einen Ort gebraucht, um überhaupt Freiraum zu finden, eine eigene Entscheidung zu treffen. Sie ist nach Wien ins Schutzhaus gekommen und ich hoffe sehr, dass es gelingt ihr ein besseres Leben zu ermöglichen.
Als Initiative ist uns Bewusstseinsarbeit sehr wichtig. So bieten wir jedes Jahr eine Großveranstaltung am europäischen Tag gegen Menschenhandel am 18. Oktober zu einem aktuellen Thema an. Und Papst Franziskus kämpft auch sehr entschlossen gegen „die Geißel des Menschenhandels“. Dazu hat er den Weltgebetstag gegen Menschenhandel ins Leben gerufen, der am 8. Februar, dem Gedenktag der Heiligen Josephine Bakhita, begangen wird. Diesen tragen wir auch aktiv mit.“
Frage: Neben der aktiven Hilfe braucht es auch gesellschaftliche Aufklärung und Wissensvermittlung zu diesem Thema. Was wird hier unternommen?
P. Eidenberger: „Es braucht einerseits die Barmherzigkeit, jemanden in der Not aufzufangen und zu stützen. Und andererseits Änderungen in der Struktur und im Denken, um mehr Gerechtigkeit herbeizuführen. Diese Bewusstseinsveränderung ist eines unsere Ziele.
Als Vorzeigemodell gilt hier das sogenannte Nordische Modell, das bereits von vielen Ländern wie Norwegen, Schweden, Irland, Kanada, Frankreich und Israel angewendet wird. Es enthält vier wichtige Punkte, die wir auch in Österreich erreichen möchten:
Entkriminalisierung jener Personen, die in der Prostitution arbeiten (müssen), damit diese sich trauen, aus dem System der Zwangsprostitution auszusteigen. So brauchen z. B. diese Personen für etwaige Schwarzarbeit in der Vergangenheit keine Steuern nachzahlen.
Ausstiegshilfen: Der Staat bietet aktiv Geld, Modelle und Schulungen an, dass Frauen der Ausstieg erleichtert wird.
Das Thema muss in Schule und Bildung aufgenommen werden. Welches Bild haben Männer von Frauen, die es als „cool“ empfinden, wenn sie ins Bordell gehen? Frauen sind keine Ware. Diese Rollenbilder gehören hinterfragt.
Damit der Kampf gegen Menschenhandel erfolgreich ist, hat das nordische Modell auch die Beweislast umgekehrt. Nicht die Frau wird bestraft, sondern der Mann, der Sex kaufen möchte – das sogenannte Sexkaufverbot. Prostitution ist keine Frauenfrage, sondern ein Männerproblem!“
Ordensleute seit langem im Einsatz
Frage: Ordensgemeinschaften engagieren sich schon seit Jahrhunderten im Sinne des Evangeliums und der Ordensberufung für die Ärmsten und Wehrlosesten unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems, so auch für Opfer von Menschenhandel.
P. Eidenberger: „Ordensgemeinschaften haben sich schon immer um dieses Thema angenommen. Auch unser Ordensgründer Wilhelm Josef Chaminade hat schon um 1800 in Bordeaux in einem Frauenhaus mitgearbeitet. Ziel war und ist es, Menschen einen Raum anzubieten, wo sie überhaupt eine Ausstiegsmöglichkeit wahr- und annehmen können. Ausstieg geht nicht einfach von heute auf morgen. Es braucht einen Raum, einen Ort, wo Menschen diesen Übergang schaffen. Es ist tatsächlich ein Übergang. Auch im Schutzhaus in Wien dienen die ersten Monate nur der Stabilisierung der Person.“
Frage: Wie kann jede/r Einzelne helfen?
P. Eidenberger: „Auf wirtschaftlicher Ebene können Konzerne darauf achten, dass eine gerechte Produktionskette eingehalten wird. Dass der Lohn dort ankommt, wo die Arbeit geleistet wird, dass keine Menschen ausgebeutet werden und dass faire Arbeitsbedingungen herrschen.
Auf der persönlichen Ebene kann ich nur dazu aufrufen, die Würde einer jeden Person zu sehen. Sobald das geschieht, kaufe ich diese Person nicht. Würde impliziert Respekt und Respekt schafft Begegnung von Freiwilligkeit und Akzeptanz. Solange Männer sich Frauen kaufen können, herrscht keine Geschlechtergerechtigkeit.”
(Das Interview führte Renate Magerl vom Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreichs)
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