Buchtipps: Das Geräusch und die Arbeit
In dem Buch „Sie nannten es Arbeit“ des Anthropologen James Suzman findet sich eine überraschende Hypothese und Neuinterpretation der aktuellen Bedeutung einer grundlegenden menschlichen Tätigkeit: Weshalb arbeiten Menschen eigentlich? Wieso tun wir uns das an?
James Suzman, ein südafrikanischer Anthropologe, geht von einer ethnografischen Feldforschung über einen Stamm in Namibia aus. Suzman sammelte das Zeugnis der alten Jäger eines Stammes in der Kalahari darüber, wie die heute aufgegebene „Jagd durch Erschöpfung“, die bis in die 1950er Jahre praktiziert wurde, funktionierte. Dabei wird die Beute, z. B. eine Antilope, ausgesucht und dann angegriffen. Die Antilope ist viel schneller als der Mensch, aber ihr Körper ist mit Fell bedeckt und sie schwitzt nicht, so dass sie nach ein paar hundert Metern zusammenbricht und sich ausruhen muss. Das reicht der Antilope in der Regel aus, um z. B. einem Löwen zu entkommen, der ebenfalls ein Fell hat, nicht schwitzt und nach einem kurzen Sprint zur Ruhe kommen muss; aber der Mensch ist anders gebaut und besiegt die Antilope durch größere Ausdauer. Um ihm zu entkommen, sprintet die Antilope immer wieder los und bleibt stehen, während der menschliche Jäger ihr mit einem gleichmäßigen Lauf folgt, bis die Antilope beim x-ten Sprint erschöpft zusammenbricht und sich fangen und töten lässt. Und so habe der Mensch die Arbeit erfunden.
Eine weitere Erkenntnis aus Suzmans Buch: Haben Sie sich jemals gefragt, warum in den Städten der Antike und des Mittelalters jede einzelne wirtschaftliche Aktivität, ob Handel oder handwerklich, dazu tendierte, sich an einem einzigen städtischen Ort zu konzentrieren, und nur an diesem Ort? Warum entstand die Straße der Apotheker, die Straße der Schuster, die Straße der Schmiede und so weiter? Die Antworten, die zwar logisch erscheinen, aber in Wirklichkeit falsch sind, wollen wir gleich ausschließen: Die Konzentration des Kunsthandwerks wurde nicht durch städtebauliche Vorschriften erzwungen; sie diente auch nicht dazu, den Kunden die Möglichkeit zu geben, Preise und Qualität von Waren und Dienstleistungen zu vergleichen; nein, es war nicht der Anreiz zum Wettbewerb, der die Spezialisierung der Straßen hervorbrachte. Wenn sich Handwerker und Händler jeder Spezialität in der gleichen Straße versammelten, lag das an der natürlichen Tendenz, dass Gleiches mit Gleichem zusammenkommt. Der Apotheker hatte dem Drogisten mehr Interessantes zu sagen als jedem anderen, und dasselbe galt für diejenigen, die Felle gerbten oder Geld verliehen usw.
Was bringt uns die Zukunft?
In den letzten Kapiteln von Suzmans Buch geht es nicht um die Vergangenheit und die Gegenwart der Arbeit, sondern um ihre Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die Robotik, die viermal so viele Arbeitsplätze vernichten wird wie jede andere technologische Revolution in der Vergangenheit. Bisher wurden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und der Industrie durch Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor ersetzt, doch nun bedroht die künstliche Intelligenz die Beschäftigten im Dienstleistungssektor, einschließlich der Fachkräfte.
Um die Gesellschaft zu retten, könnte eine massive öffentliche Umverteilung des Reichtums notwendig sein, vielleicht in Form eines sogenannten Universaleinkommens; und wenn Arbeit wirklich einem uralten Bedürfnis der Menschheit entspricht, das sich im Laufe von Millionen von Jahren der Jagd nach Erschöpfung entwickelt hat, könnte auch die Perspektive des Universaleinkommens attraktiv sein. Oder die Ökonomen haben doch Recht, dass die beginnende technologische Revolution die gleiche ist, wie alle anderen Wirtschaftsrevolutionen zuvor und dass die damit verbundenen Probleme automatisch von der unsichtbaren Hand des Marktes gelöst werden.
Suzman scheint dies nicht zu glauben und zitiert den Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith, der sagte, dass die Wirtschaftswissenschaften „eine äußerst nützliche Form der Beschäftigung für Wirtschaftswissenschaftler“ seien; Galbraith beschuldigte fast alle seine Kollegen, Banalitäten zu verbreiten, die sie dann einfach häufig wiederholen und mit Schnörkeln überdecken.
Ein weiteres spannendes Buch ist jenes des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman, der mit Olvier Sibony und Cass R. Sunstein über „Noise“ geschrieben hat. Der Untertitel erläutert mehr dazu: Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können. Es geht darin um die Frage, wieso zwei Experten, die über identische Informationen verfügen, zu komplett anderen Schlussfolgerungen kommen.
Nobelpreisträger Kahneman klärt über die Vielzahl von oft zufälligen Faktoren auf, die unsere Entscheidungsfindung stören und häufig negativ beeinflussen - sie sind im Begriff „Noise“ zusammengefasst. Wir müssen lernen, diese „Störgeräusche“ zu verstehen und mit ihnen umzugehen, nur dann können wir auf Dauer bessere Entscheidungen treffen.
Ursachen der Störungen
Und doch ist es der „Lärm“ – auf Englisch „Noise“, der für all diese „Mängel“ verantwortlich ist. Der, die nicht von den Ohren, sondern vom Gehirn wahrgenommen wird: Laute Situationen machen unser Leben zu einer unerwünschten und unerwarteten Lotterie. Man muss bis unter die Spitze des Eisbergs vordringen - und komplexe „Noise-Audit“-Systeme schaffen, aber das ist der technischere Teil des Buches -, um die Ursachen von Störungen zu finden und schockierende Entdeckungen zu machen, wie die, die Kahneman vor einigen Jahren machte: Er nahm an einer Studie teil, die von einer Versicherungsgesellschaft durchgeführt wurde, um den Fehlerquotienten ihrer Experten zu ermitteln.
Dazu brauchte es die drei Köpfe des Begründers der „Behavioral Finance“ Kahneman, des Experten der Irrationalität Sunstein und eines ehemaligen Senior Partners bei McKinsey, wo er 25 Jahre seines Lebens verbrachte, Sibony. Es hat sie Jahre des Studiums gekostet, ein allumfassendes Handbuch zu erstellen, das zumindest teilweise die große Lücke schließt, die uns von der Möglichkeit trennt, Entscheidungen, Urteile, Prognosen und Diagnosen zu erhalten, die nicht nur objektiv, sondern auch akzeptabel sind, also zwar mit einem erträglichen Fehlerprozentsatz.
Zum Mitschreiben:
*James Suzman: Sie nannten es Arbeit: Eine andere Geschichte der Menschheit. Erschienen im C.H. Beck-Verlag.
* Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sunstein: Noise: Was unsere Entscheidungen verzerrt - und wie wir sie verbessern können. Erschienen im Siedler-Verlag.
Eine Rezension von Mario Galgano.
(vatican news)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.